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Neues Selbstbewusstsein. Ter Stegen will seine Position als Nummer eins mit aller Macht verteidigen.

© IMAGO/Ulrich Hufnagel/IMAGO/Ulrich Hufnagel

Marc-André ter Stegen und das DFB-Team: Es könnte doch noch was werden

Die Auftritte von Torhüter ter Stegen in der Nationalmannschaft sind oft kritisch beäugt worden. Inzwischen ist er auch im DFB-Team so stabil, dass er Manuel Neuer herausfordert.

Die Manuelneuerwerdung von Marc-André ter Stegen nimmt immer konkretere Züge an. Am Dienstagabend um kurz vor halb elf erreichte sie im Länderspiel gegen Frankreich ihren vorläufigen Höhepunkt.

Ter Stegen trägt bereits seit Anfang des Länderspieljahres Neuers Nummer 1 auf dem Rücken. Er darf sich aktuell als Stammtorhüter der deutschen Fußball-Nationalmannschaft fühlen. Und nun streifte er sich auch noch die schwarz-rot-goldene Kapitänsbinde über den Arm, die zuvor Thomas Müller getragen hatte, die aber eigentlich zur Ausrüstung von Manuel Neuer gehört.

Ilkay Gündogan, Neuers erster Vertreter, war schon früh verletzt ausgewechselt worden, Joshua Kimmich fehlte angeschlagen, und Thomas Müller wurde von Teamchef Rudi Völler nach etwas mehr als einer Stunde vom Feld geholt. Es waren also eine Menge Zufälle, die den Torhüter des FC Barcelona zum Kapitän der Nationalmannschaft beförderten.

Dass es für ter Stegen ein temporäres Vergnügen bleiben dürfte, ist keine allzu gewagte These. Eine Prognose, wie in naher und mittlerer Zukunft seine sportliche Position in der Nationalmannschaft aussehen wird, ist da schon deutlich komplizierter.

Ja, ich bin die Nummer eins im Moment. Ich werde alles dafür tun, dass ich den Status behalte.

Nationaltorhüter Marc-André ter Stegen

„Ja, ich bin die Nummer eins im Moment. Ich habe lange auf diesen Moment gewartet und glaube, dass ich den Moment nutzen kann“, hat ter Stegen in der vergangenen Woche gesagt. Das war noch vor dem Länderspiel gegen Japan, das die Verhältnisse im deutschen Fußball ins Wanken gebracht und Bundestrainer Hansi Flick schließlich aus dem Amt befördert hat. „Ich werde alles dafür tun, dass ich den Status behalte.“

Ter Stegen hat Wort gehalten. Beim 1:4-Debakel gegen Japan war er nicht nur der beste, sondern auch der einzig gute Mann im deutschen Team. Mit einigen guten Paraden bewahrte er seine Mannschaft sogar vor einer deutlich höheren Niederlage.

Angesichts der Vorgeschichte konnte man das nur als paradox bezeichnen. Ter Stegen verfügt als Torhüter über außergewöhnliche Qualitäten, sonst würde er nicht im inzwischen zehnten Jahr beim FC Barcelona unter Vertrag stehen. Aber seine Auftritte in der Nationalmannschaft sind immer kritisch beäugt worden.

Das liegt vor allem daran, dass ter Stegen in den ersten seiner inzwischen 36 Länderspiele einige heftige Patzer unterlaufen sind. Dieser Eindruck hat sich irgendwann in den Köpfen des Publikums festgesetzt: Ja, viel Talent und bestimmt ein sehr guter Torhüter. Aber Nationalmannschaft ist nicht so sein Ding.

Dass das längst nicht mehr stimmt, hat der 31-Jährige nicht nur vorigen Samstag gezeigt, sondern auch am Dienstag gegen Frankreich. Anders als gegen Japan hat die Defensive vor ihm viel weggearbeitet. Aber das, was auf sein Tor kam, entschärfte ter Stegen: einen Kopfball und einen Distanzschuss von Aurélien Tchouaméni, ebenso einen Schlenzer von Antoine Griezmann. Bezwungen wurde er erst kurz vor Schluss, durch einen Elfmeter.

36
Länderspiele hat ter Stegen seit seinem Debüt im Mai 2012 bestritten

Trotz allem wird Marc-André ter Stegen immer noch als Nummer eins unter Vorbehalt gesehen – weil ein nicht zu unterschätzender Teil des Landes weiterhin dem Glauben anhängt, dass der inzwischen 37 Jahre alte Manuel Neuer nach seiner schweren Verletzung und einem Dreivierteljahr Pause wieder die Form haben wird, die er schon bei der WM in Katar längst nicht mehr hatte.

Marc-André ter Stegen ist schon einmal hingehalten worden. Das war vor der WM 2018, als Neuer ebenfalls Monate verletzt ausgefallen war und erst auf den letzten Drücker wieder fit wurde. Wie selbstverständlich wies der damalige Bundestrainer Joachim Löw ihm daraufhin den alten Platz wieder zu und verbannte ter Stegen zurück auf die Bank. Alte Verdienste zählten für Löw mehr als die aktuelle Form.

In der Nationalmannschaft ist gerade vieles in der Schwebe. An erster Stelle steht dabei natürlich die Frage, wer neuer Bundestrainer werden soll. Aber von der Antwort auf diese Frage hängt auch ab, wie es auf der Torhüterposition weitergehen wird. Ironischerweise haben die beiden Kandidaten, die derzeit am häufigsten als potenzielle Bundestrainer genannt werden, ein eher ambivalentes Verhältnis zu Manuel Neuer.

Louis van Gaal hat nicht zuletzt deshalb im Frühjahr 2011 seinen Job beim FC Bayern München verloren, weil er auf die Idee der Vereinsführung, den damaligen Schalker Neuer zu verpflichten, wenig euphorisch reagiert hat. Und das Verhältnis des bisherigen Kapitäns der Nationalmannschaft zu Julian Nagelsmann ist schon deshalb schwierig, weil Neuers Vertrauter und Torwarttrainer Filip Tapalovic auf Nagelsmanns Geheiß bei den Bayern entlassen worden war.

Die Perspektive von Marc-André ter Stegen in der Nationalmannschaft scheint im Moment wirklich nicht die allerschlechteste zu sein.

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