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Es brennt bei Ajax Amsterdam. Der Klassiker gegen Feyenoord musste am Sonntag nach knapp einer Stunde abgebrochen werden.

© imago/Pro Shots/imago

Ein Klub in Flammen: Der Niedergang von Ajax Amsterdam nimmt dramatische Formen an

Hollands Rekordmeister Ajax Amsterdam macht schwierige Zeiten durch. Die erste Konsequenz: Der deutsche Sportdirektor Sven Mislintat muss gehen.

Hans Kraay jr., früher selbst Profi und einer der bekanntesten Fußball-Moderatoren in den Niederlanden, versuchte es noch einmal. Für ESPN hatte er Maurice Steijn vor der Kamera, den Trainer von Ajax Amsterdam. Steijn hatte sich bereits ausführlich über De Klassieker, das Duell zwischen Ajax und Feyenoord, geäußert, aber als es um grundsätzliche Dinge ging, reagierte Steijn wie eine vorab programmierte Maschine: „Lass uns über das Spiel reden.“

Als alles gesagt schien, wagte Kraay einen letzten Anlauf. „Ich will dir nichts in den Mund legen“, sagte er. „Aber der Mislintat muss weg.“ Steijn zuckte kurz, man sah, wie es in seinem Kopf arbeitete, ehe er doch wieder die programmierte Antwort abspulte: „Lass uns über das Spiel reden.“

Nur wenige Stunden später wurde Kraays Wunsch erfüllt. Ajax Amsterdam, der taumelnde Rekordmeister des niederländischen Fußballs, hat Sportdirektor Sven Mislintat am Sonntagabend mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden.

Nach nur vier Monaten endet damit seine Tätigkeit bei Ajax. Der Klub begründete die Trennung mit mangelnder Unterstützung für den Sportdirektor aus Deutschland. In Wirklichkeit ging es wohl vor allem darum, Schlimmeres zu verhindern.

Sven Mislintat (l.) wollte Trainer Maurice Steijn loswerden. Jetzt hat es ihn selbst erwischt.
Sven Mislintat (l.) wollte Trainer Maurice Steijn loswerden. Jetzt hat es ihn selbst erwischt.

© IMAGO/ANP

Schlimm genug ist es schon jetzt. Ajax Amsterdam, der stolze Klub, steht in Flammen.

„Der sportliche und moralische Zusammenbruch von Ajax hat am Sonntag auf makabre Weise Gestalt angenommen“, schrieb die Zeitung „De Volkskrant“, nachdem der Klassiker gegen den fußballerischen Erzfeind Feyenoord Rotterdam in der eigenen Arena nach einer knappen Stunde abgebrochen worden war. Weil beim Stand von 0:3 zum zweiten Mal Bengalfackeln aus dem Ajax-Fanblock aufs Feld geflogen waren, blieb dem Schiedsrichter keine andere Wahl.

Es war nur der Anfang eines unrühmlichen Sonntags. In den sozialen Medien tauchten später Bilder auf, wie vermummte Gestalten mit Fußtritten den Haupteingang der Arena malträtierten und sich auf diese Weise Zugang verschafften. Die Polizei musste Tränengas einsetzen, um die Situation unter Kontrolle zu bringen.

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„Chaos und Anarchie herrschen über den Klub mit dem Talent zur Selbstzerstörung“, urteilte die „Volkskrant“. Das Spiel gegen Feyenoord werde „als Tiefpunkt in die Klubgeschichte eingehen“.

Tatsächlich präsentiert sich Ajax derzeit auf allen Ebenen in einem bemitleidenswerten Zustand. Seit der unausweichlichen Trennung von Sportchef Marc Overmars vor etwas mehr als anderthalb Jahren ist es mit dem Verein kontinuierlich bergab gegangen.

Chaos und Anarchie herrschen über den Klub mit dem Talent zur Selbstzerstörung.

Die niederländische Zeitung „De Volkskrant“ über Ajax Amsterdam

Geht man davon aus, dass die Partie vom Sonntag für Feyenoord gewertet wird, dann bleibt es für die Mannschaft bei gerade mal fünf Punkten aus den ersten sechs Spielen in der Eredivisie. So schlecht war Ajax zuletzt vor knapp 60 Jahren.

In der Europa League ist der Start ebenfalls missglückt. Vor eigenem Publikum führten die Amsterdamer in der vergangenen Woche 2:0 und 3:2 gegen Olympique Marseille. Am Ende mussten sie sich mit einem 3:3 begnügen.

Der jetzt geschasste Mislintat, 50, ist dabei immer stärker in die Kritik geraten. Er kam im Mai mit dem Ruf, ein Diamantenauge zu sein, weil er als Scout bei Borussia Dortmund und als Sportdirektor des VfB Stuttgart einen exzellenten Blick für Talente offenbart hatte. In Amsterdam aber konnte er diesem Ruf nicht mal ansatzweise gerecht werden.

Selbst van Gaal äußert Kritik

Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch, dass Mislintat in diesem Sommer einen Transferüberschuss von knapp 50 Millionen Euro erwirtschaftet hat; dass Ajax durch die Abgänge von Jurrien Timber, Edson Alvarez, Dusan Tadic, Calvin Bassey, Davy Klaassen und Muhammed Kudus die halbe Stammelf abhandengekommen ist. Und dass Stammtorhüter Geronimo Rulli monatelang ausfällt, nachdem er sich kurz vor Saisonbeginn schwer verletzt hat.

Der Unmut gegen Mislintat hat sich vor allem an seinen Einkäufen entzündet. Zu teuer, nicht gut genug, passen nicht zu Ajax: So lautete der Tenor der Kritik, in die zuletzt selbst Louis van Gaal eingestimmt hat. „Ajax hatte früher die beste Jugendausbildung. Das ist jetzt nicht mehr so“, klagte der ehemalige Bondscoach. „Jetzt siehst du eine Fremdenlegion. Das kann eigentlich nicht sein.“

110 Millionen Euro für neue Spieler

Mislintats Name ist zuletzt schon zu „Sven Misluktat“ verballhornt worden: „Sven Misslingtdas“. Selbst Trainer Steijn hat sich kritisch über die Transferpolitik geäußert. Er sei nicht nur nicht eingebunden gewesen, seine Ratschläge seien auch ignoriert worden. Rund 110 Millionen Euro hat Ajax in diesem Sommer für neue Spieler ausgegeben. „Rausgeschmissenes Geld“ urteilte Rafael van der Vaart am Sonntag als Experte im öffentlich-rechtlichen Sender NOS.

Dass Ajax gegen Feyenoord trotz einer insgesamt ansprechenden Leistung bereits nach 37 Minuten hoffnungslos mit 0:3 zurücklag, hatte nicht zuletzt einer von Mislintats Einkäufen zu verantworten.

Der junge dänische Rechtsverteidiger Anton Gaaei, für 4,5 Millionen Euro aus Viborg gekommen, hatte sich vor den ersten beiden Gegentoren erschreckend naiv angestellt. Kurz darauf wurde er ausgewechselt. Im holländischen Fernsehen hieß es später, der für Dänemark zuständige Ajax-Scout habe aus Angst um seinen guten Ruf erklärt, dass er mit Gaaeis Transfer nicht zu tun gehabt habe.

Schon in der vergangenen Woche hatte sich die Situation für Mislintat zugespitzt. Er steht im Verdacht, gegen die Compliance-Regeln des Klubs verstoßen zu haben. Der Spielerberater von Borna Sosa, den Ajax von Mislintats Ex-Klub VfB Stuttgart verpflichtet hat, hält Anteile an dem Fußballdaten-Analyse-Unternehmen Matchmetrics, an dem auch Mislintat beteiligt ist.

Der Klub strengte eine externe Untersuchung an und untersagte seinem Sportdirektor den Besuch der Spiele der Profimannschaft. Am Tag vor dem Klassiker soll Mislintat dann auf dem Vereinsgelände aufgetaucht sein und verbal gegen den Cheftrainer gewütet haben: Das Spiel gegen Feyenoord sei der D-Day für Maurice Steijn. Ein D-Day wurde es, aber nicht für Steijn.

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