zum Hauptinhalt
Gewohnte Pose. Niclas Füllkrug hat in elf Länderspielen neun Tore erzielt.

© dpa/Federico Gambarini

Die Rückkehr der Mittelstürmer: Niclas Füllkrug liegt bei der Nationalmannschaft voll im Trend

Vor einem Jahr hat Niclas Füllkrug sein Debüt in der Nationalmannschaft gefeiert. Dass er inzwischen unumstritten ist, liegt auch an den Veränderungen im internationalen Fußball.

Vor ziemlich genau einem Jahr hat bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft eine neue Zeitrechnung begonnen. Der Moment lässt sich sogar bis auf die Minute exakt bestimmen. Es war am 16. November 2022 im Sultan Qaboos Sports Complex in Muscat, als Niclas Füllkrug im Testspiel gegen Oman zur Pause eingewechselt wurde und sein Debüt für die Nationalmannschaft feierte. Zehn Minuten vor Schluss erzielte der Mittelstürmer aus Bremen den Treffer zum 1:0-Endstand.

Seitdem sind für Füllkrug zehn Länderspiele und acht Tore hinzugekommen. Er ist Torschützenkönig der Bundesliga geworden, spielt jetzt nicht mehr mit Werder Bremen gegen den Abstieg, sondern für Borussia Dortmund in der Champions League und darf sich auch in der Nationalmannschaft längst als unumstrittene Stammkraft fühlen.

Vor einem Jahr, kurz vor der Weltmeisterschaft in Katar, war das noch anders. In kaum einem Bericht über den Neuling im Kader wurde damals die Tatsache unterschlagen, dass Füllkrug ja noch ein Jahr zuvor nicht mal gut genug für die Zweite Liga gewesen sei und bei Werder zeitweise nur auf der Bank gesessen hatte.

Für Bundestrainer Hansi Flick sollte Füllkrug in Katar das sein, was sein Vorgänger Joachim Löw einmal als Spezialkraft bezeichnet hatte: der Mann für bestimmte Momente, den man bringen kann, wenn es im Spiel hakt und mehr Wucht gefragt ist. Tatsächlich wurde der Bremer bei allen drei Vorrundenspielen in Katar jeweils in der zweiten Halbzeit eingewechselt.

9
Tore hat Niclas Füllkrug in elf Länderspielen erzielt

Inzwischen muss sich Füllkrug bei der Nationalmannschaft nicht mehr mit einem Platz auf der Bank begnügen, es sei denn aus Gründen der Belastungssteuerung. Der 30-Jährige ist gesetzt. Das war schon in den letzten Monaten unter Flick so, und unter dessen Nachfolger Julian Nagelsmann ist es nicht anders.

Mit und dank Füllkrug hat sich auch in der Nationalmannschaft ein Trend durchgesetzt, der im Großen schon länger zu beobachten ist. Der Fußball erlebt gerade die Rückkehr der Mittelstürmer.

Eine Zeitlang war es Mode, mit einer falschen Neun zu spielen. Jetzt hat es sich wieder in die andere Richtung entwickelt.

Mittelstürmer Niclas Füllkrug

„Eine Zeitlang war es Mode, mit einer falschen Neun zu spielen“, sagt Füllkrug. Mit kleinen, wendigen, technisch guten Spielern also, die nicht nur im Strafraum lauern, sondern eher aus der Tiefe kommen; die sich ins Kombinationsspiel einbringen, aber auch in engen Räumen nicht die Orientierung verlieren. „Jetzt hat es sich wieder in die andere Richtung entwickelt“, sagt Füllkrug, „was kein Zufall ist.“

Das stimmt insofern, als es im Fußball keine endgültigen Wahrheiten gibt. Es ist tatsächlich wie in der Mode: Jede Bewegung erzeugt eine Gegenbewegung, alles ändert sich, und irgendwann kommt alles wieder. Die Schlaghose genauso wie der Mittelstürmer.

Mittelstürmer sind gefragt wie Flüssiggas

Der klassischen Nummer neun wird aktuell eine Zuneigung zuteil wie lange nicht – wobei es sich bei den Mittelstürmern der Neuzeit keineswegs um originalgetreue Kopien von Horst Hrubesch aus den Achtzigern handelt. Aber was Hrubesch konnte, das können seine späten Nachfolger eben auch wieder: zum Abschluss kommen, egal wie.

Mittelstürmer sind auf dem internationalen Markt derzeit gefragt wie Flüssiggas. Der FC Barcelona, der gewissermaßen das Copyright auf die Erfindung der falschen Neun besessen hat, ließ sich die Verpflichtung des immerhin schon 34 Jahre alten Robert Lewandowski im Sommer 2022 fast 50 Millionen Euro kosten.

Der FC Bayern München gab sogar das Doppelte für den Engländer Harry Kane, 30, aus – und erfährt nun viel Lob für das außergewöhnlich gut angelegte Geld. Und selbst Pep Guardiola, der vielleicht entschiedenste Verfechter fußballerischer Lösungen, setzt bei Manchester City mit Erling Haaland auf einen Mittelstürmer vom Sternzeichen Wucht, Aszendent Durchsetzungsvermögen.

100 Millionen Euro für einen 30 Jahre alten Mittelstürmer? Inzwischen gilt die Summe, die der FC Bayern für Harry Kane (beim Kopfball) ausgegeben hat, als gute Investition.
100 Millionen Euro für einen 30 Jahre alten Mittelstürmer? Inzwischen gilt die Summe, die der FC Bayern für Harry Kane (beim Kopfball) ausgegeben hat, als gute Investition.

© imago/Beautiful Sports/IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Wunderl

Im Kleinen hat diese Entwicklung auch die Nationalmannschaft erfasst. Das sei, sagt Niclas Füllkrug, eine Frage von Angebot und Nachfrage. Wobei das mit dem Angebot im deutschen Fußball lange ein Problem war. Oder ist. Denn während der Nachschub an spielstarken Mittelfeldspielern weiterhin reibungslos funktioniert, ist die Lieferkette bei Mittelstürmern schon seit Jahren brüchig.

Niclas Füllkrug war bei seinem Debüt für die Nationalmannschaft bereits 29, Kevin Behrens, der von Nagelsmann vor einem Monat für die Nordamerika-Reise nominiert worden war, sogar schon 32.

„Kevin hat einen guten Eindruck hinterlassen“, sagt der Bundestrainer. Trotzdem ist der Stürmer des 1. FC Union für die Länderspiele gegen die Türkei im Berliner Olympiastadion (Samstag, 20.45 Uhr) und gegen Österreich in Wien (Dienstag, 20.45 Uhr) nicht nominiert worden.

Stattdessen hat Nagelsmann erstmals Marvin Ducksch eingeladen, der ebenfalls schon 29 ist und dessen Karriere ebenfalls nicht immer einen geraden Verlauf genommen hat. Aber Nagelsmann will möglichst viele Kandidaten mit Blick auf die EM im kommenden Jahr testen – nicht als Ersatz für Niclas Füllkrug, sondern als Ergänzung zu ihm.

Mit Ducksch hat Füllkrug in Bremen zusammengespielt. Mit ihm, so sagt er, hatte er „eine extreme Verbindung auf dem Platz, die ich so noch mit keinem Spieler hatte“. Dass Marvin Ducksch es im fortgeschrittenem Fußballalter doch noch zur Nationalmannschaft geschafft hat, hat er also vermutlich auch Niclas Füllkrug zu verdanken. Oder besser: der Wertschätzung, die Füllkrug inzwischen genießt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false