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Stürmer unter sich. Kevin Behrens (l.) ist ein ähnlicher Spielertyp wie Niclas Füllkrug, der auch erst im fortgeschrittenen Alter in die DFB-Elf berufen worden ist.

© Getty Images via AFP/Alex Grimm

Gute Zeiten, schlechte Zeiten: Kevin Behrens zwischen Union und der Nationalmannschaft

Für den 1. FC Union und Kevin Behrens läuft es aktuell nicht. Trotzdem ist der Mittelstürmer der Berliner jetzt erstmals mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft unterwegs.

Fußballer und ihre Frisuren: Das war schon immer ein weites Feld. Angefangen mit der langen Mähne von Günter Netzer in den Siebzigern über das seltsame Dreieck auf der Stirn von Ronaldo (dem Älteren) im WM-Finale 2002 bis hin zu Marcelinho, der sich in seiner Zeit bei Hertha BSC mal – wenn auch aus Versehen – die belgische Nationalfahne ins Haupthaar hatte färben lassen.

Kevin Behrens passt nur bedingt in diese Reihe. Exzentrische Anwandlungen sind dem Stürmer des 1. FC Union eher fremd. Und trotzdem lässt sich auch über seine Frisur gerade trefflich psychologisieren. Irgendwann in der vergangenen Woche, zwischen den Spielen gegen Sporting Braga und Borussia Dortmund, hat Behrens den Haarschneider angesetzt oder ansetzen lassen. Das Haupthaar trägt er jetzt raspelkurz.

Zufall oder Chiffre? In solchen Fällen wie bei Behrens, wenn es auf dem Fußballplatz nicht richtig laufen will, ist man mit entsprechenden Deutungen schnell bei der Hand. Von wegen: In Zeiten anhaltenden Misserfolgs muss man halt irgendwas ändern, und wenn es nur die Frisur ist.

Seit sieben Spielen ist Behrens, der Mittelstürmer des Berliner Fußball-Bundesligisten, inzwischen ohne Tor. Mit etwas mehr Durchsetzungsvermögen hätte er diese schwarze Serie am vergangenen Wochenende vergleichsweise simpel beenden können – als Union in Dortmund ein Elfmeter zugesprochen wurde. „Vielleicht hätte es gutgetan, mal wieder ein Tor zu schießen, auch wenn es vom Elfmeterpunkt ist“, sagte er.

Aber Behrens war nicht eingeteilt als Schütze, und sich einfach den Ball zu schnappen, das hat er sich dann doch nicht getraut. „Es ist abgesprochen, daran halte ich mich“, erklärte er. „Ich wollte daraus auch kein Drama machen.“

Der 32-Jährige erlebt ohnehin dramatische Zeiten. Seit Anfang der Woche hält er sich in den USA auf, weil der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann ihn erstmals in die deutsche Nationalmannschaft berufen hat. Gute Zeiten. Mit dem Verein aber läuft es überhaupt nicht. Die sieben Spiele, in denen Behrens nicht getroffen hat, hat Union allesamt verloren. Schlechte Zeiten.

Er ist das beste Beispiel, wie man mit wirklich harter Arbeit ganz Großes erreichen kann.

Urs Fischer, Trainer des 1. FC Union, über Kevin Behrens

„Natürlich freu ich mich übertrieben darauf“, hat Behrens vor dem Abflug in die USA gesagt. „Es ist Wahnsinn, dass ich für die Nationalmannschaft nominiert bin. Es ist ein Traum. Wirklich unbeschreiblich.“

Das Momentum sei bei der Nationalmannschaft immer ein ganz wichtiger Punkt, hat Julian Nagelsmann zu Behrens und dessen Nominierung gesagt. Man müsse die Spieler einladen, die auf dem Peak sind. Aber gerade deshalb kam die Berufung von Unions Stürmer ein bisschen überraschend. Vor einem Monat, beim letzten Länderspiel unter Nagelsmanns Vorgänger Hansi Flick, wäre das noch anders gewesen.

Da hatte es tatsächlich Stimmen gegeben, die sich für Behrens starkgemacht hatten. Weil nicht nur die Erfolgsgeschichte des 1. FC Union einfach immer weiterzugehen schien, sondern auch der Lauf seines Mittelstürmers.

Nach zwei Spieltagen hatte Behrens bereits vier Tore erzielt. Seitdem aber ist kein einziges mehr dazugekommen. Und so steht Behrens jetzt fast ein bisschen sinnbildlich für Union. Für die guten wie die schlechten Zeiten.

Er steht für die derzeitige Flaute in der Offensive. So wie er zuvor auch für den Höhenflug des Vereins gestanden hat, zu dem Kevin Behrens mit seinen Toren maßgeblich beigetragen hat, nachdem er – genau wie Union – scheinbar aus dem Nichts gekommen war.

Bis vor fünf Jahren hatte Behrens ausschließlich in der viertklassigen Regionalliga gespielt. „Er ist das beste Beispiel, wie man mit wirklich harter Arbeit ganz Großes erreichen kann“, hat Unions Trainer Urs Fischer über seinen Angreifer gesagt.

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ist die Rückennummer, die Behrens bei der Nationalmannschaft trägt

Ja, Behrens sei „natürlich schon ein bisschen älter“, gibt Bundestrainer Nagelsmann zu. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es sogar nur drei Feldspieler, die bei ihrem Länderspieldebüt älter waren, als es Behrens sein würde, wenn er gegen die USA (Samstag, 21 Uhr, RTL) oder gegen Mexiko (Mittwoch, 2 Uhr, ARD) zum Einsatz käme.

Nagelsmann, dessen Vertrag als Bundestrainer erst einmal bis zur EM im kommenden Jahr läuft, muss aktuell nicht über den Moment hinausdenken. Auch Rückkehrer Mats Hummels ist mit bald 35 Jahren kein Spieler mit Perspektive mehr. Aber er ist einer, der für den Augenblick noch eine wichtige Rolle spielen kann.

Behrens sei „ein sehr, sehr guter Typ, der immer gewinnen will, defensiv unglaublich viel marschiert und im Anlaufen sehr stark ist“, sagt Nagelsmann. Und auch wenn er mal nicht treffe, wie zuletzt, sei er im Strafraum jederzeit präsent und binde dadurch viele Gegenspieler.

Acht Monate sind es noch bis zur EM in Deutschland. Aber daran denkt Kevin Behrens, der vor etwas mehr als zwei Jahren noch für den SV Sandhausen in der Zweiten Liga gespielt hat, derzeit nicht. „Ich versuche für den Moment zu leben und nicht von einer Europameisterschaft zu träumen“, sagt er. Die Gegenwart ist aufregend genug.

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