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Mittendrin. Antoine Griezmann wird bei der WM in Katar im Mittelfeld benötigt.

© REUTERS/Peter Cziborra

Der Uneitle: Wie Antoine Griezmann zum heimlichen Helden der Franzosen wurde

Er war lange der herausragende Offensivspieler der französischen Nationalmannschaft. Inzwischen hat er eine andere Rolle. Und ist nicht weniger wertvoll.

Vielleicht, wenn alles so läuft wie erhofft, vielleicht wird man dann später einmal sagen: Die entscheidende Eingebung, die letztlich zum dritten WM-Titel für die französische Fußball-Nationalmannschaft geführt hat, die hatte Didier Deschamps schon lange vor dem Turnier in Katar.

Um genau zu sein: im Oktober 2019, zwei Tage nach einem dünnen 1:0 in der EM-Qualifikation gegen Island, bei dem Antoine Griezmann wie so oft rechts in einem Dreiersturm gespielt hatte. Später im Quartier der Équipe Tricolore fragte Nationaltrainer Deschamps seinen Offensivspieler: „Weißt du eigentlich, dass du ein sehr guter defensiver Mittelfeldspieler wärest?“ Griezmann lächelte. Es war schließlich ein Scherz.

Obwohl: Inzwischen kann man sich da nicht mehr ganz so sicher sein. Griezmann, der 2016 EM-Torschützenkönig war und 2018 der beste Scorer der WM, überzeugt bei der Weltmeisterschaft in Katar in einer deutlich defensiveren Rolle. Als rechter Achter im französischen Dreiermittelfeld ist er natürlich auch für die Verbindung zwischen Abwehr und Angriff zuständig; darüber hinaus aber leistet Griezmann einen wertvollen Beitrag für die defensive Stabilität seines Teams.

Seine Leistungen werden wohlwollend gesehen

Seine Rückennummer, die 7, erinnert noch an alte Zeiten, im Halbfinale gegen Marokko aber hatte Griezmann insgesamt sieben Ballaktionen im Strafraum: zwei im marokkanischen, fünf im eigenen. Kurz nach der Pause verhinderte er am Fünfmeterraum den möglichen Ausgleich durch Achraf Hakimi, und in der Nachspielzeit blockte er einen Schuss von Zakaria Aboukhlal. „Er war auch ohne Ball und in der Verteidigung entscheidend“, schrieb Jürgen Klinsmann, der frühere Bundestrainer, in seinem täglichen Newsletter für die BBC.

Antoine Griezmann ist der heimliche Held einer Kampagne, die das französische Nationalteam erneut ins WM-Finale geführt hat. Wobei: Ganz so heimlich ist das inzwischen nicht mehr. Die Leistungen des 31-Jährigen, der nach seiner Leihe jetzt wieder fest angestellt ist bei Atletico Madrid, werden längst wohlwollend zur Kenntnis genommen.

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Torchancen hat Griezmann bei der WM in Katar eingeleitet.

„Er spielt ein wunderbares Turnier“, sagt Nationaltrainer Deschamps. Und noch einmal Jürgen Klinsmann nach dem Halbfinale: „Natürlich sticht Kylian Mbappé immer heraus, aber nach diesem Spiel muss man einfach über Griezmann sprechen. Er war das Herz der Mannschaft. Er war mit seinem Passspiel und seiner Übersicht entscheidend nach vorne.“

Lieblingsspieler. Nationaltrainer Deschamps weiß, was er Mbappé und Griezmann zu verdanken hat.

© AFP/Anne-Christine POUJOULAT

Auf den ersten Blick passt es natürlich, dass der Defensivfanatiker Deschamps einen seiner besten Offensivspieler in eine defensive Rolle zwängt. „Ich verlange jetzt wahrscheinlich andere Dinge von ihm. Aber es ist nicht so, dass wir ihn geopfert hätten“, entgegnet Frankreichs Nationaltrainer auf solche Vorhaltungen. „Er wird natürlich weniger Tore schießen, aber er interpretiert seine Rolle sehr intelligent und schafft ein Gleichgewicht.“

Uneitel und dienend

Zur ganzen Wahrheit gehört nämlich auch, dass Griezmann vor 13 Monaten – gegen Kasachstan – sein letztes Tor für die Nationalmannschaft erzielt hat und seitdem in 15 Länderspielen leer ausgegangen ist; dass er es in der Offensive angesichts der internen Konkurrenz also schwer haben dürfte. Die neue Rolle aber sichert Griezmann, Deschamps erklärtem Lieblingsspieler, weiterhin einen festen Platz im Team. Seit dem 13. Juni 2017 hat er kein einziges Länderspiel der Équipe tricolore verpasst.

Griezmann ist ausreichend uneitel, um in Abwesenheit der Mittelfeldspieler N’Golo Kanté und Paul Pogba eine eher dienende Rolle einzunehmen. Auf dem Platz ist er nahezu überall zu finden: als erster Anläufer gegen den Ball, als Verbindungsspieler im Mittelfeld, aber auch als Ausputzer im eigenen Strafraum.

Im Gruppenspiel gegen Dänemark gewann Griezmann nicht nur die meisten Zweikämpfe, er eroberte auch die meisten Bälle. Und im Achtelfinale gegen Polen lief er die meisten Kilometer.

„Er fühlt das Spiel“, hat Alain Giresse, in seiner aktiven Zeit selbst einer der besten Mittelfeldspieler Europas, über seinen Landsmann gesagt. „Auf der Achterposition haben wenige Spieler seine technischen Fähigkeiten und seine Auffassungsgabe. Es ist genau das, was es dieser Mannschaft ermöglicht zu funktionieren.“

Er fühlt das Spiel.

Alain Giresse, früherer französischer Nationalspieler, über Antoine Griezmann

Für die Offensive hat Griezmann nicht mehr die Explosivität seiner besten Tage, aber alles andere, was ihn immer schon ausgezeichnet hat, ist weiterhin vorhanden: die Ausdauer, die Spielintelligenz, der Scharfsinn, die Raffinesse, auch die Lust an der Defensive.

Er ist fast überall

„Wenn die französische Mannschaft ein Auto wäre, wäre Antoine Griezmann Scheibenwischer und Kolben zugleich“, hat die französische Sportzeitung „L’Équipe“ über ihn geschrieben. „Von rechts bis links, von hinten bis vorne: Er ist fast überall.“

In Katar hat Griezmann drei Tore vorbereitet, dazu die 21 Chancen eingeleitet. In beiden Kategorien führt der Franzose die Statistik an: bei den Assists gemeinsam mit Lionel Messi, bei den Chancen vor dem Argentinier (18). Und so ist das Finale der WM an diesem Sonntag auch ein bisschen das Duell dieser beiden Schlüsselspieler.

Zwei Jahre hat Antoine Griezmann zusammen mit Lionel Messi beim FC Barcelona gespielt. Richtig warm geworden sind sie in der Zeit nicht miteinander, was auch daran lag, dass beide um dieselbe Position rangelten. Es konnte nur einen geben. So wie an diesem Sonntag im Lusail-Stadion in Katar.

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