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Wolfgang Schäuble im Jahr 2021.

© dpa/Kay Nietfeld

Zum Tod von Wolfgang Schäuble: Eine einzigartige Instanz der deutschen Politik

Partei- und Fraktionschef, Innenminister, Bundestagspräsident – Wolfgang Schäuble hat sich vielseitig um die Demokratie verdient gemacht. Sein Vermächtnis ist in Europa einzigartig.

1972 war das Jahr, in dem dieser junge baden-württembergische Finanzbeamte in den Bundestag einzog: Wolfgang Schäuble. Und er blieb. Einzig ist das, einzig bleibt das, auch das. Keiner war je länger in einem deutschen Parlament, nicht einmal der legendäre August Bebel.

Der Christdemokrat Schäuble hat Geschichte geschrieben. Auch wer sich in Europa umschaut, wird keinen wie ihn entdecken.

Was er alles war! In seiner Fraktion, der von CDU und CSU, so gut wie alles, vom einfachen, aber seit mehr als 50 Jahren stets direkt gewählten Abgeordneten über den Parlamentarischen Geschäftsführer bis hin zum Fraktionsvorsitzenden, viele Jahre.

Als der war Schäuble von manchen wegen seiner Schärfe gefürchtet; eine Schärfe, die er selbst als dem Amt geschuldet bezeichnete: Jede Sitzungswoche hunderte Abgeordnete, die sich alle wichtig fühlten – und er musste doch Helmut Kohl, dem ewigen Kanzler, auch einem Rekordhalter, die parlamentarische Mehrheit organisieren. Da konnten nicht alle reden, nicht alle mitreden; da musste einer das Sagen haben. Das war er.

Dann war er eine Legislaturperiode Bundestagspräsident, bis 2021. Ein Amt, das er gerne behalten hätte. Aber dafür hätte die CDU mit der CSU die letzte Wahl gewinnen müssen. Schäuble hat alles dafür getan; manche sagen: zu viel. Denn er half, den Christdemokraten Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten zu machen. Der sitzt heute in der Hinterbank. Wo Schäuble sich mit ihm traf.

Schäuble war viel – aber nie Kanzler

Und in der Regierung? Kanzleramtsminister war er, zweimal Innenminister, einmal unter Kohl, einmal unter Angela Merkel, dann Finanzminister unter Merkel, die fast so lange regierte wie Kohl, 16 Jahre. Kohl und sie konnten das nur, weil es zur großen innerdeutschen Wendezeit ihn gab, Wolfgang Schäuble, ihn als den „Architekten der Einheit“.

Er war so viel – nur Kanzler nie. Er war der „Binnenkanzler“ unter Kohl, der Schatzkanzler unter Merkel, war der Kopf, der Stratege hinter vielen großen Entscheidungen, war ewiger unausgesprochener Kandidat, doch kein einziges Mal offiziell. Er war ein Kanzler im Konjunktiv: Der beste, den die Union nie hatte.

Warum? Das hatte viele Gründe.

Er hatte Demut. Vor der Aufgabe, vor den Ämtern zuvörderst. Er nahm sich in allen nicht immer so wichtig, einem christlichen Satz folgend. Oder genauer: Nahm sein Amt wichtig. Gewann auf diese Weise Autorität – als Instanz. Wobei: Heilig war er in der Amtsführung nicht. Streiten konnte er, und hochfahrend sein auch. Weil er vieles besser wusste und es auch sagte.

Hinzu kommt das Attentat, damals, im Amt des Bundesinnenministers 1990. Eine lebensgefährliche, lebensverändernde Verletzung, die ihn in den Rollstuhl zwang. Das Glück, das Leben noch zu haben – das macht demütig. Es zeigt die Begrenzungen auf.

Verbittert war er nach dem Attentat nicht, ein Vorwurf, dem ihm manche damals in der Fraktion wegen seiner Schärfe machten. Er war illusionslos. Schäuble selbst stellte öffentlich die Frage: Kann ein Krüppel Kanzler werden? Die unausgesprochene Antwort lautete damals: nein.

Und er war loyal. Vielleicht über die Maßen. Er war loyal bei Kohl, bei Merkel. Bei Kohl haben sich nicht wenige die Frage gestellt, wie er das sein konnte, so lange, zu lange, viel zu lange. Vielleicht wegen Kohls geschichtlichem Rang als „Kanzler der Einheit“?

Tatsache bleibt: Die Spendenaffäre ihrer Partei, der CDU, hat beide sehr, sehr viel gekostet, Schäuble die Ämter als Partei- und Fraktionschef. So ging die Chance dahin. Dabei war er dicht dran, die rot-grüne Regierung wankte.

Reden konnte er, denken auch. Wäre es nicht so, hätte seine Rede im Bundestag Berlin – eine mit den besten Argumenten – nicht zur Hauptstadt des vereinten Deutschlands gemacht. Aber er musste ertragen, dass da immer jemand über ihm war. Der Souverän, der Wähler, der sowieso. Aber auch in der Regierung. Das letzte Wort hatten andere.

Von dem, was er im Rollstuhl alles zu ertragen hatte, nicht weiter zu reden. Und von anderen Krankheiten zu schweigen.

Wie zum Trost war er so lange vom Souverän, von uns, abgeordnet in den Bundestag. Wie kein Zweiter. Schaden vom Volk abwenden, sein Wohlergehen mehren – das war seine Aufgabe. Bis zuletzt.

Wolfgang Schäuble ist im Alter von 81 Jahren daheim in Offenburg gestorben. Er hat sich um den Staat und um seine Demokratie verdient gemacht, ganz besonders. Einzigartig.

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