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Katharina Schulze, Spitzenkandidatin der Grünen in Bayern, und der Co-Fraktionsvorsitzende Ludwig Hartmann.

© dpa/Sven Hoppe

„Wir starten nicht mehr als Underdog“: Bayerns Grüne wollen Geschichte schreiben – und erstmals regieren

CSU, Freie Wähler und AfD machen im bayrischen Landtagswahlkampf mobil gegen die Grünen. Deren Spitzenkandidatin Schulze glaubt dennoch an ihre Chance. Unterwegs im Wahlkampf.

Nach einer Stunde holt das Heizungsgesetz Katharina Schulze doch wieder ein. Leidenschaftlich hat die Grünen-Politikerin bislang in dem Gasthaus, in dem es nach Pommes, Schaschlik und Braten riecht, über Gleichstellung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mehr Kita- und Lehrpersonal sowie effektiven Klimaschutz gesprochen. Doch nun steht ein älterer Mann im blau-weißen Kurzarmhemd auf und schildert seine Ängste.

1969 habe er sich ein Haus gebaut, damals nach dem gängigen Standard. Wenn er nun gemäß dem Heizungsgesetz eine neue Wärmepumpe einbaue, müsse er den Fußboden rausreißen und das Haus sanieren. 200.000 Euro koste das, abreißen sei billiger.

„Ich moch des ned. Da ko der Habeck sogn, woas er will“, sagt der 71-Jährige mit fränkischem Dialekt. „Das haben uns die Grünen eingebrockt.“

Wir starten nicht mehr als Underdog. Wir werden richtig kämpfen müssen.

Katharina Schulze über die Chancen der Grünen in Bayern

Doch Schulze strahlt richtig: „Ich nutze jetzt die Chance, über das Heizungsgesetz zu sprechen“, sagt sie. Dann legt sie los und erklärt mehr als fünf Minuten lang. Öl und Gas würden teurer, das Gesetz gelte nur für kaputte Heizkörper, es gebe bis zu 70 Prozent Förderung und überhaupt brauche es keine extra Dämmung und eine Wärmepumpe koste bei weitem keine 200.000 Euro.

Das habe ihr kürzlich nochmal ein Heizungsmonteur in der Region bestätigt. „Wir Grüne sind jetzt Expert*innen beim Thema Wärmepumpen“, sagt sie. Da muss selbst der ältere Herr lachen.

17,6
Prozent holten die Grünen in Bayern 2018, so viel wie nie zuvor.

Den Gegenwind, den die Spitzenkandidatin der bayerischen Grünen in diesen Tagen erfährt, ist häufig deutlich stärker als in diesem Gasthaus tief in der Oberpfalz. Mit der CSU, den Freien Wählern und der AfD haben gleich drei Parteien die Grünen zum Hauptgegner bei der Landtagswahl am 8. Oktober erklärt.

Auf Rückenwind aus Berlin kann Schulze angesichts der Ampel-Performance nicht hoffen, in den Umfragen zittert ihre Partei um ihren zweiten Platz, den sie bei der Landtagswahl 2018 sensationell mit 17,6 Prozent erreichen konnte.

Schulze kann nicht Ministerpräsidentin werden

Mit einem Gute-Laune-Wahlkampf gewannen die Grünen mit Schulze an der Spitze damals neun Prozentpunkte hinzu. Die CSU verlor die absolute Mehrheit. Doch aktuell liegen die Grünen bei 14 bis 15 Prozent, der Partei droht ein harter Wahlkampf. „Wir starten nicht mehr als Underdog“, sagt Schulze.

Sie ahnt: „Wir werden richtig kämpfen müssen.“ Trotzdem hat sie ein ambitioniertes Ziel ausgerufen: „Wir wollen regieren.“ Es wäre das erste Mal in der Geschichte Bayerns.

Doch selbst bei einem Wahlwunder ist für Schulze der Weg in die Staatskanzlei versperrt. Zwar ist sie nach Anton Hofreiter und Claudia Roth wohl die bekannteste Grüne Bayerns und laut Umfragen die bekannteste Oppositionspolitikerin. Zehntausende folgen ihr bei Instagram und Twitter, gerade für junge Frauen und Mütter ist sie ein Vorbild. Doch mit ihren 38 Jahren ist sie laut Landesverfassung zwei Jahre zu jung, um das Amt zu bekleiden.

Katharina Schulze mit der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth.

© Imago/Peter Kolb

Die CSU hat zuletzt nur die Altersgrenze für Mandatsträger nach oben aufgehoben. Schulze ärgert das: „Das ist eine aus der Zeit gefallene Regelung. Die Wählerinnen und Wähler sollten entscheiden, nicht das Geburtsdatum.“ Sollten die Grünen entgegen aller Wahrscheinlichkeiten stärkste Kraft werden, würde ihr Co-Fraktionsvorsitzender Ludwig Hartmann Ministerpräsident.

Neben dem steht sie acht Stunden vor ihrem Besuch in der oberpfälzischen Gaststube im bayerischen Landtag und zieht Bilanz der vergangenen fünf Jahre. Die beiden kennen sich seit ihrer Zeit bei der Grünen-Jugend, nun teilen sie sich ein Büro und schon zum zweiten Mal die Spitzenkandidatur.

Ludwig Hartmann und Katharina Schulze im Wahlkampf.

© dpa/Sven Hoppe

Die meisten Anfragen, Änderungsanträge und Gesetzesentwürfe habe man eingebracht, rechnen sie vor. Zwar wurden alle Vorschläge von der Landesregierung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) abgelehnt, aber häufig seien die Ideen später aufgegriffen worden. Etwa bei der Einführung eines Lobbyregisters, der kostenfreien Meisterausbildung oder dem Ziel, den Flächenverbrauch zu reduzieren.

Markus Söder ist und bleibt bei der Energiepolitik der größte Versprechensbrecher in Deutschland.

Ludwig Hartmann, Co-Spitzenkandidat der Grünen in Bayern, über Ministerpräsident Söder (CSU)

Doch mehr noch als ihre Oppositionserfolge arbeiten sich Hartmann und Schulze an Söder und seinem Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ab. „Ich verstehe manchmal nicht mehr, was in seinem Kopf los ist“, sagt Hartmann über Aiwangers jüngste Relativierungen des Klimawandels.

Schulze wirft Söder vor, nichts gegen die Kitakrise zu tun. „Er macht nur die schnelle Überschrift.“ Wiederholt rechnet sie mit der „Söder-Regierung“ ab. Hartmann erinnert an die fehlenden Windräder in Bayern: „Markus Söder ist und bleibt bei der Energiepolitik der größte Versprechensbrecher in Deutschland.“

Die einzige Machtoption für die Grünen ist ein Bündnis mit der CSU

Doch bislang bekommen die Grünen den Ministerpräsidenten nicht gestellt. Söder schimpft lieber über die Ampel und entzieht sich bisher der Kritik der Grünen, gemeinsame Podiumsdiskussionen gab es noch nicht. Eine Koalition mit den Grünen hat der CSU-Politiker ausgeschlossen. Schulze glaubt jedoch, dass Söder seine Meinung wieder rasch ändern könne, wenn es ihm opportun erscheine.

Ein Bündnis mit der CSU könne das Beste aus beiden Welten vereinen, sagt sie. „Anstatt Stillstand durch die CSU-Freie-Wähler-Regierung hätte Schwarz-Grün Bayern die letzten fünf Jahre gutgetan.“

Söder als Angriffsfläche und Hoffnungsträger – so richtig passt das nicht zusammen. Und seit Söder und Aiwanger auf einer Anti-Ampel-Demo in Erding vor Querdenkern auftraten, wäre ein Bündnis der eigenen Wählerschaft auch immer schwerer zu vermitteln.

Markus Söder (CSU) auf der Demonstration in Erding.

© dpa/Matthias Balk

Für die Grünen ein Wahlkampfgeschenk – sie betonen seither offensiv den Wert der Demokratie. Es ist Schulzes Steckenpferd. „Ich bin nicht hauptsächlich wegen der Ökologie zu den Grünen gekommen, sondern weil wir auch die Partei der Verfassungsschützer*innen sind“, sagt sie.

Schon als Schülerin des Christoph-Probst-Gymnasiums – benannt nach dem NS-Widerstandskämpfer der Weißen Rose – sei ihr vermittelt worden, dass eine Gesellschaft aktive Demokraten brauche.

Ich mag Sachen, die nicht so erwartbar sind.

Katharina Schulze, Spitzenkandidaten der Grünen in Bayern

Als sie 2013 als damals jüngste Abgeordnete in den Landtag gewählt wurde, sei ihr die Jugend- und Bildungspolitik nahegelegt worden. Schulze bestand darauf, innenpolitische Sprecherin zu werden. „Ich mag Sachen, die nicht so erwartbar sind.“

Anders als manch anderer bei den Grünen hat sie keine Berührungsprobleme mit der Polizei. „Es braucht starke Sicherheitsbehörden, um unsere Demokratie zu verteidigen“, sagt sie. Auf Instagram posiert Schulze mit schusssicherer Weste, im Landtag hat sie kürzlich eine Sicherheitskonferenz organisiert.

Sie fordert eine Beobachtung der AfD durch den Bayerischen Verfassungsschutz, will virtuelle Polizeiwachen gegen Hate Speech im Internet, mehr Polizeikräfte und mit alkohol- und zielgruppenspezifischer Gewaltprävention Rettungskräfte, Feuerwehr und Polizei besser vor Gewalt schützen.

Trotz der mäßigen Umfragen ist Schulze zuversichtlich, dass sie ihre Ideen in den kommenden fünf Jahren nicht mehr aus der Opposition vorantreiben muss. „Bayern hat sein eigenes Tempo, aber hier verändert sich auch etwas.“ Ob die Veränderung für Schulzes Ambitionen ausreicht, wird sich in etwa 70 Tagen zeigen.

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