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Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hält Deutschlands Einfluss als möglicher Vermittler im Nahen Osten für begrenzt. 

© Imago Images/Reiner Zensen

„Wir sind nur Zuschauer“: Ex-Außenminister Gabriel sieht Deutschland im Israel-Krieg nicht als Vermittler

Deutschland sei dabei, im arabischen Raum seinen guten Ruf zu verspielen, sagt Sigmar Gabriel. Er hat keine Hoffnung auf baldigen Frieden – und kritisiert auch Israel.

Klare Worte eines ehemaligen deutschen Spitzenpolitikers: Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hält Deutschlands Einfluss als möglicher Vermittler im Nahen Osten für begrenzt. Deutschland und Europa spielten im Nahost-Krieg „praktisch keine Rolle“, sagte Gabriel der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Wir sind nur Zuschauer.“

Dass Deutschland und Frankreich in der UN-Generalversammlung unterschiedlich abstimmten, zeige für viele, „dass man aus Europa nichts zu erwarten hat, weil wir wie so oft uneinig sind“, erklärte der SPD-Politiker.

„Wir hatten im arabischen Raum mal einen sehr guten Ruf als fairer Vermittler, obwohl alle wussten, dass und warum wir an der Seite Israels stehen“, erklärte der Vorsitzende der Atlantik-Brücke. „Mein Eindruck ist, dass wir gerade dabei sind, diesen guten Ruf zu verlieren.“

Gabriel kritisierte in diesem Zusammenhang die Nahost-Außenpolitik der Bundesregierung. Deutschland scheine „inzwischen gut darin zu sein, die Türen der Diplomatie zu schließen“. Diese sollten jedoch auch dann noch offen sein, „wenn alle anderen Wege schon verschlossen scheinen“.

Der ehemalige Außenminister äußerte in dem Gespräch wenig Hoffnung, dass es bald Frieden geben könne. „Der Krieg war ja nie ganz verschwunden. Die Gewalt im Heiligen Land war immer da. Nicht so dramatisch wie seit dem 6. und 7. Oktober, aber die Israelis leiden seit Jahrzehnten unter dem Raketenterror von Hamas, Islamischem Dschihad oder der Hizbollah“, sagte Gabriel.

Die Größenordnung der Opfer hat ein Ausmaß erreicht, dass die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist.

Sigmar Gabriel, ehemaliger Außenminister (SPD)

Und die Palästinenser litten unter Israels militärischen Gegenschlägen, die in einem dichtbesiedelten Gebiet wie Gaza natürlich auch Unschuldige träfen. „Vor allem aber leider die Palästinenser unter der militärischen Besatzung und den brutalen Siedlerorganistationen im Westjordanland.“

Fanatiker beider Seiten hätten sich immer wieder gegenseitig bedient, sagte Gabriel weiter. „Nur hat sich die Weltgemeinschaft in den letzten mehr als 20 Jahren nicht mehr darum gekümmert. Aber nur, weil wir sie nicht mehr sehen wollten, war die Gewalt nicht weg.“

Es sei klar, dass es in einer solchen Auseinandersetzung auch unschuldige Opfer gebe, sagte Gabriel. „Aber die Größenordnung der Opfer hat ein Ausmaß erreicht, dass die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist. Das jedenfalls ist die Auffassung der Vereinigten Staaten, die der wichtigste Verbündete Israels sind.“

Gabriel sieht Israel in Zwickmühle

Aber es gebe ein Dilemma: „Eine Demokratie ist am Ende einer Diktatur oder einer Terrororganisation kurzfristig immer in einer Frage unterlegen. Eine Terrororganisation wie die Hamas muss ihre Gewalt nicht legitimieren. Eine Demokratie muss das immer“, so der ehemalige Außenminister. „Je mehr unschuldige Menschen sterben, desto stärker schwindet die Legitimation des Arguments der Selbstverteidigung.“

Auf die Frage, wie langfristig ein Frieden möglich sein solle, antwortete Gabriel: „Meine große Sorge ist, dass dieser Krieg die nächste Generation von Dschihadisten und Terroristen geradezu hervorbringt und nicht etwa die Zerstörung dieses Terrors zur Folge hat.“

Die Frage sei, ob Israels Sicherheit durch die Zerstörung der Hamas wiederhergestellt werden könne oder ob sie nicht durch einen neuen Anlauf für einen demokratischen Staat der Palästinenser, der sogenannten Zweistaatenlösung, wesentlich wirksamer und nachhaltiger erreicht werden könne.

„Die arabischen Staaten, die sich in den letzten Jahrzehnten aus dem Konflikt herausgehalten haben, werden erst dann bereit sein, auch Sicherheitsverantwortung für Israel zu übernehmen, wenn es einen Weg zur Selbstbestimmung der Palästinenser gibt“, so Gabriel.

Gabriel war von 2009 bis 2017 Vorsitzender der SPD, von 2017 bis 2018 Außenminister in der Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Heute ist der 64-Jährige unter anderem Vorsitzender der „Atlantik-Brücke“, einem Verein zur deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit. (lem)

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