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Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) muss entscheiden, ob Brachflächen für den Getreideanbau genutzt werden können.

© Bernd Weißbrod/dpa

Streit zwischen Bund und Ländern: Weizen contra Öko-Regeln

Eine Mehrheit der Bundesländer verlangt, im kommenden Jahr Brachflächen für den Getreideanbau zu nutzen. Doch Agrarminister Özdemir hat andere Vorstellungen.

Soll die geplante Flächenstilllegung in der Landwirtschaft, die der Artenvielfalt zu Gute kommt, wegen des zunehmenden Hungers in der Welt ausgesetzt werden? Mit dieser Frage müssen sich in den kommenden Tagen Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) und die Landwirtschaftsministerien der Bundesländer befassen. Bei einem Sondertreffen des Bundes mit den Ländern hatten Özdemir und die Ressortchefs der Länder am Donnerstag in der Streitfrage noch keine Einigung erzielt.

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Ursprünglich hatte die EU-Kommission vorgesehen, dass zum Beginn des kommenden Jahres für die Bauern in der Gemeinschaft weitere Öko-Regeln in Kraft treten: Vier Prozent der Ackerflächen sollen brach liegen. Zudem soll jedes Jahr auf den Flächen zum Schutz der Böden etwas anderes angebaut werden. Wegen des Krieges in der Ukraine und der weltweiten Nahrungsmittelknappheit hat Brüssel die Vorgaben für den Getreideanbau aber wieder gelockert. Die Brüsseler Kommission räumte den EU-Mitgliedstaaten vergangene Woche die Option ein, die Öko-Regeln im kommenden Jahr auszusetzen.

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Beim Sondertreffen der Agrarminister sprachen sich Ressortchefs aus neun Bundesländern dafür aus, die Brüsseler Ausnahmeregelungen voll auszuschöpfen. Özdemir befürwortet zwar eine Aussetzung beim Fruchtwechsel – also die Möglichkeit, in zwei aufeinanderfolgenden Jahren Weizen anzubauen. Eine mögliche Freigabe der Brachflächen für den Getreideanbau zur Lebensmittelproduktion müsse nach den Worten des Agrarministers hingegen erst geprüft werden, zumal auch die Kommission gerade erst eine Expertenanhörung zur Lockerung bei den Öko-Regeln durchgeführt habe. Wer so tue, dass bei der Aussetzung der Stilllegungs-Regeln sofort mehr Lebensmittel zur Verfügung stünden und die Bauern keinerlei negative Auswirkungen hätten, „macht es sich wider besseres Wissen zu einfach“, sagte Özdemir.

Stuttgarter Agrarminister Hauk kritisiert Vertagung

Wie Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) nach dem Sondertreffen kritisierte, herrscht nach der Vertagung vom Donnerstag Unklarheit, ob die abgeernteten Flächen zu 100 Prozent oder nur zu 96 Prozent angepflanzt und bebaut werden könnten. Spätestens bis Ende August will die EU-Kommission aber von den Mitgliedstaaten wissen, wie sie mit den Ausnahmeregeln umgehen wollen. Wie es aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium hieß, will Özdemir in den kommenden zwei Wochen mit den Bundesländern offene Fragen klären und einen innerhalb der Bundesregierung abgestimmten Vorschlag vorlegen, ob und gegebenenfalls wie Deutschland die Ausnahmeregeln nutzen wolle.

In den kommenden beiden Wochen steht also ein hartes Ringen zwischen dem Bund und jenen Bundesländern bevor, die eine vollständige Ausschöpfung der Brüsseler Ausnahmemöglichkeiten befürworten. Das sind Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Bauernpräsident Joachim Rukwied verstärkte am Freitag schon einmal den Druck. Die Landwirte seien enttäuscht, dass die Agrarminister-Konferenz keinen Beschluss im Sinne der neun Bundesländer gefasst habe, sagte Rukwied im ZDF. Wenn Deutschland der Brüsseler Lockerung folge, sei es möglich, auf zusätzlichen 200.000 Hektar 1,4 Millionen Tonnen Weizen zu erzeugen, so Rukwied.

EU-weiter Rückgang bei Getreide um 2,5 Prozent erwartet

Derweil erwartet die Kommission, dass die Getreideernte in der EU in diesem Jahr – nicht zuletzt wegen der lang anhaltenden Trockenheit – geringer ausfallen wird als 2021. Für dieses Jahr sagt die Brüsseler Behörde einen Rückgang der Produktion um 2,5 Prozent voraus.

Auch aus diesem Grund hat sich die Kommission entschieden, für das kommende Jahr eine Lockerung bei den Öko-Vorgaben zuzulassen. Allerdings hatte sich Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans, der für den Kampf gegen den Klimawandel zuständig ist, lange gegen eine Lockerung gesperrt.

Auch in Frankreich - wie hier in Bernay in der Normandie -. dürfte die Getreideernte 2022 geringer ausfallen.
Auch in Frankreich - wie hier in Bernay in der Normandie -. dürfte die Getreideernte 2022 geringer ausfallen.

© Joel Saget/AFP

Wie die Brüsseler Option zur Nutzung der Brachen EU-weit umgesetzt wird, hängt indes von den einzelnen Mitgliedsländern ab. Nach den Worten von Özdemir könne auch die französische Regierung, die sich für eine vorübergehende Aussetzung der Öko-Regeln stark gemacht habe, mit der jüngsten Entscheidung der EU-Kommission wenig anfangen. Dort werde überlegt, ob die Option überhaupt gezogen werden soll.

Bei Frankreichs Landwirten, die zu den wichtigsten Getreideexporteuren in der EU gehören, stehen derzeit andere Fragen im Vordergrund als eine mögliche Freigabe der Brachflächen im kommenden Jahr. Die Vorsitzende der größten Bauerngewerkschaft FNSEA, Christiane Lambert, hatte in der vergangenen Woche zwar per Twitter erklärt, dass sie im Sinne der Nahrungsmittelsicherheit eine Nutzung der Stilllegungsflächen im kommenden Jahr befürworte. In einem Interview mit dem französischen Auslandssender RFI ging Lambert aber am Freitag in erster Linie auf die Frage ein, wie Frankreichs Landwirte mit den diesjährigen Ernteausfällen zurechtkommen sollen. „Hitzewelle, Trockenheit, Wassermangel, dazu noch die Frostwelle im Frühjahr – dieses Jahr ist besonders kompliziert für die Landwirte“, klagte Lambert.

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