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Im ukrainischen Kramatorsk steht die Ernte von Getreide und Sonnenblumensaaten bevor.

© Miguel Medina/AFP

Weltweiter Weizenmangel: „Großteil der Exporte bleibt in der EU“

Der Export von ukrainischem Getreide per Landweg erreicht das Ziel nicht. Das hat Norbert Lins, der Chef des Agrarausschusses im EU-Parlament, festgestellt.

Herr Lins, nach wie vor blockiert Russland die Ausfuhr von ukrainischem Getreide über den Hafen von Odessa. Welche Rolle spielt der Export über die See bei der weltweiten Versorgung mit Weizen?

Russland blockiert nicht nur den Hafen von Odessa, sondern hat auch begonnen, Getreide über das Schwarze Meer zu transportieren. Ein Schiff wurde vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der Türkei gestoppt. Grundsätzlich spielt der Transport auf dem Seeweg eine enorme Rolle. Vor dem Krieg liefen 90 Prozent der Getreideexporte über den Seeweg. Ein Schiff kann 50.000 bis 70.000 Tonnen transportieren, ein Güterzug aber nur 2000 Tonnen. Das macht die Dimension deutlich.

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Tut die EU genug, um zumindest einen Teil der Ernte aus der Ukraine auf dem Landweg herauszubringen?

Es wurden zwar so genannte „solidarity lanes“ eingerichtet - also Verfahren, mit denen Nahrungsmittelexporte aus der Ukraine schneller die Grenzen zu Polen und Rumänien passieren können. Damit wurde erreicht, dass im Juni 2,17 Millionen Tonnen Getreide und Sonnenblumensaaten die Ukraine verlassen konnten. Allerdings waren darunter nur 138.000 Tonnen Weizen. Das Problem ist, dass ein Großteil dieser Exporte bislang in der EU bleibt und nicht dorthin gelangt, wo er eigentlich benötigt wird – also in Länder wie dem Libanon und Tunesien. Auf den Agrarmärkten von Polen und Rumänien, wo kein Weizenmangel herrscht, sorgt dies wiederum für Verwerfungen.

Zuletzt ist der Weizenpreis wieder auf den tiefsten Stand seit Beginn des Ukraine-Krieges gefallen. Rechnen Sie damit, dass es so bleibt?

Nein. Während der Ernte ist es traditionell so, dass die Preise nach unten gehen. Ich bin ganz sicher, dass wir im Herbst und Winter wieder eine deutliche Preissteigerung erleben werden. Wenn man sich die weltweiten Ernteprognosen anschaut, zeichnet sich eine große Knappheit ab.

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Knappheit gibt es auch beim Gas. Wo sind Landwirte in der EU am stärksten von den gestiegenen Energiepreisen betroffen?

Grundsätzlich sind Landwirte überall in der EU betroffen. In Bereichen wie der Viehhaltung und der Milchproduktion ist der Energiebedarf besonders hoch. Da sind erheblich höhere Kosten auf die Landwirte zugekommen als beispielsweise im klassischen Ackerbau.

Was kann die EU tun, um etwas gegen die steigenden Lebensmittelpreise zu tun?

Die EU kann vor allem versuchen, die Produktion insbesondere für das kommende Jahr aufrecht zu erhalten und im besten Fall noch ein wenig zu steigern. Das tut sie bisher leider nicht. Bisher will die Kommission nicht die vorgesehenen Regelungen für den Fruchtwechsel und die Stilllegung von vier Prozent der Flächen aus ökologischen Gründen aussetzen. Die bislang noch geltende Politik im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik, die ab dem 1. Januar 2023 greift, führt zu einer geringeren Produktion. Das gilt insbesondere für das Getreide.

Norbert Lins (CDU),der Vorsitzende des Agrarausschusses im EU-Parlament.

© Promo

EU-Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski hat nicht ausgeschlossen, dass sich an den Regeln für brach liegende Flächen auch im kommenden Jahr noch etwas ändert.

Entscheidend für diese Frage ist innerhalb der EU-Kommission allerdings nicht der Agrarkommissar, sondern Vizepräsident Frans Timmermans, der auch für den Klimaschutz zuständig ist. Timmermans will bisher an dem Ziel festhalten, vier Prozent der Flächen ab dem kommenden Jahr stillzulegen. Timmermans hatte ja ursprünglich bei den Verhandlungen über die Reform der EU-Agrarpolitik eine Stilllegung von zehn Prozent der Flächen gefordert. Leider ist weder in Brüssel noch in Berlin der Wille erkennbar, etwas an dem Vier-Prozent-Ziel zu ändern.

Die Beimischung von Biokraftstoffen in Benzin oder Diesel hat sich als ineffizient erwiesen. Ist es an der Zeit, diese Praxis zu beenden, auch um mehr Nahrungsmittel für den Teller zu produzieren?

Die These, dass die Beimischung von Biokraftstoffen ineffizient ist, teile ich nicht. Wenn Nahrungs- und Futterpflanzen für Biokraftstoffe verwendet werden, sehe ich darin nicht in dem Maße eine Konkurrenz für die Ernährungssicherheit, wie es Landwirtschaftsminister Özdemir tut. Im Zweifel würde ich aber auch sagen: Vorfahrt für die Ernährungssicherheit. Ich sehe da aber ohnehin schon ein Umdenken. Die Landwirte profitieren derzeit mehr davon, wenn sie Rapsöl nicht für das Benzin im Tank, sondern für den menschlichen Verzehr anbieten.

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