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Septemer 28, 2022 - Karaj, Alborz, Iran - This photo shows that Iranian women are on the front line of the protests and are fighting against the agents of repression.

© Foto: IMAGO/Social Media

Stoppt die Atomgespräche!: Es braucht ein Zeichen gegen Irans Regime

Irans Herrscher bekämpfen die Proteste im Land weiter mit Gewalt. Der Westen sollte die Verhandlungen über einen Atomdeal aussetzen.

Ein Kommentar von Christian Böhme

Er hat lange geschwiegen. Vermutlich aus Überheblichkeit. Nach dem Motto despotischer Herrscher: Was schert mich das Volk? Meinen Gefolgsleuten und mir geht es darum, an der Macht zu bleiben.

Womöglich hat sich Ali Chamenei auch lange Zeit nicht zu Wort gemeldet, weil Irans oberster Revolutionsführer glaubte, die Proteste nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in Polizeigewahrsam seien kaum mehr als ein Strohfeuer, das im Handumdrehen durch die Stiefel seiner Anhänger ausgetreten werden kann. Wie schon hundertfach in der Vergangenheit praktiziert.

Doch der greise Ajatollah hat sich geirrt. Tausende Iranerinnen und Iraner lassen sich nicht davon abhalten, ihrem Unmut Luft zu machen. Sie trotzen der Gewalt, stellen sich der brutalen Staatsmacht entgegen und riskieren so ihr Leben.

Die Menschen im Iran stellen immer lauter die Systemfrage

Im weiten Teilen des Landes fordern Demonstranten weniger Gängelung durch die volksfernen Herrscher und mehr Freiheiten. Sie dringen mit dem Mut und der Wut jener, die der Bevormundung leid sind, auf ein selbst bestimmtes Leben und stellen immer lauter die Systemfrage.

Den Versprechen der mehr als 40 Jahre zurückliegenden islamischen Revolution und ihrer Bannerträger schenken sie längst keinen Glauben mehr

Und wie reagiert Chamenei? Er macht in gängiger Manier die USA, Israel und den Westen für die Unruhen verantwortlich, redet den Aufstand als angeblich fremdgesteuerte „Krawalle“ klein.

Inzwischen protestieren auch Studierende gegen das Regime wie hier in Schiraz.
Inzwischen protestieren auch Studierende gegen das Regime wie hier in Schiraz.

© Foto: AFP

So als seien die Iranerinnen, die sich in aller Öffentlichkeit ohne Kopftuch zeigen und ihre Haare abschneiden, keine selbstbewussten Individuen, sondern nur willenlose Objekte. So als seien jene Studierenden, die auf dem Campus „Tod Chamenei“ skandieren, nichts anderes als ausländische Agenten. Welch ein Hochmut!

Wie soll der Westen auf die Gewalt der Hardliner reagieren?

Mit jedem Tag, den die Proteste anhalten und großflächiger werden, stellt sich für den Westen immer drängender die Frage: Wie mit dem Freiheitswillen der Iranerinnen und Iraner umgehen? Wie auf die tödliche Gewalt der fanatischen Hardliner reagieren?

Die Fragen sind leicht gestellt, aber schwierig zu beantworten. Denn die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, sind gering. Das liegt nicht nur an der Abschottung der Islamischen Republik und deren gnadenlosem Repressionsapparat.

Es liegt auch daran, dass der Westen einschließlich der USA mit Teheran im Gespräch bleiben will. Schließlich soll es ein neues Atomabkommen geben. Eine Übereinkunft, die den Iran vom Besitz einer Nuklearwaffe abhält.

Aber darf man diesem Ziel alles unterordnen? Das kann nur fordern, wer die Freiheitsrufe der Iranerinnen und Iraner kaltherzig ignoriert.

Wer ihnen Aufmerksamkeit verschaffen will, sollte die Atomgespräche auch um der eigenen Glaubwürdigkeit willen zumindest aussetzen. Und so ein Zeichen setzen, dass das Wüten der Mullahs nicht toleriert wird.

Klar, die werden mit dem Finger auf den Westen zeigen und dem Volk weismachen wollen, alles Böse käme von dort. Allerdings wissen die Menschen im Iran schon lange diese Lesart des Regimes richtig einzuordnen.

Verschärfte Sanktionen treffen die Machthaber kaum

Ja, und es stimmt auch: Das wäre Symbolpolitik. Aber eben eine, die den Iranerinnen und Iranern zeigt, dass ein Teil der Welt den Mullahs nicht alles durchgehen lässt.

Dennoch wird der Westen sich von den Gesprächen mit Teheran nicht abbringen lassen und als Antwort auf die Proteste mal wieder die Sanktionen verschärfen. Was Irans Herrscher wenig beeindrucken wird. Sie haben gelernt, Strafmaßnahmen zu unterlaufen.

Am Ende bleiben die Demonstranten in Teheran, Isfahan oder Maschhad auf sich allein gestellt, um einen Systemwechsel herbeizuführen. Sie müssen das Regime mit ihren Mitteln bekämpfen. Es mag wanken, ob es fällt, ist offen. Umso wichtiger ist es, den Iranerinnen und Iraner Mut zu machen.

Der Bundesregierung kommt dabei eine besondere Rolle zu. Sie hat sich einer feministischen, an Menschenrechten orientierten Außenpolitik verschrieben. Nun kann die Ampelkoalition zeigen, was ihr dieses Bekenntnis wert ist. Lautstark und sichtbar.

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