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Wandgemälde - wie hier in Hessen - reichen nicht an Unterstützung der Demokratiebewegung Irans

© dpa / dpa

Der Westen und die Proteste im Iran: Es ist Zeit für eine politische Zeitenwende

Europa und die USA machen sich zu Kollaborateuren des Regimes, wenn sie weiter zusehen. Die breite Protestbewegung braucht Unterstützung – jetzt. Ein Gastbeitrag.

Wenn man mit europäischen Diplomaten über ihre größte Sorge im Hinblick auf den Iran spricht – dann ist das eine Revolution in dem Land. Nicht Atomwaffen, nicht Terror, nicht regionale Destabilisierung und auch nicht die schweren Menschenrechtsverletzungen bereiten die größten Sorgen, sondern politischer Wandel.

Nun ist dieser Albtraum des Auswärtigen Amtes und anderer Außenministerien endlich wahr geworden: Der Iran erlebt eine gewaltige Revolution. Nicht erst seit dem 19. September, sondern bereits seit 2009. Nach der angeblichen Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinejad bildete sich eine das ganze Land erfassende Protestbewegung, die seither stetig gewachsen ist. Mittlerweile sind an ihr alle sozialen Gruppen beteiligt – mit Ausnahme der Mitglieder dieser Diktatur.

Jetzt ist keine Zeit, aufzuarbeiten, mit welchem Hochmut in westlichen politischen Zirkeln der Idee einer iranischen und vor allem säkularen Freiheit begegnet wird. Von höchster Dringlichkeit ist in diesen Tagen, dass Europa und Amerika alles an politischer Unterstützung geben, damit die mutigen Iraner ihre Unterdrücker zu Fall bringen können.

Es ist ja nicht so, dass die freie Welt nicht lernfähig wäre – die Ukraine ist das beste Beispiel dafür, dass eine fehlgeleitete Politik innerhalb von 48 Stunden wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen kann und korrigiert werden musste. Die Betonung liegt auf „musste“, weil freiwillig keine Selbstkorrekturen in unseren Breitengraden stattfinden.

Hannah-Arendt-Übersetzungen und Diktatur - geht das?

Der Iran ist ein komplexes Thema, auch weil seine Betrachtung von besonders dummen Sichtweisen geprägt ist. Manche fragen sich, ob ein Land, das Werke von Hannah Arendt übersetzt und verlegt, wirklich eine vollständige Diktatur sein kann. Wenn iranische Offizielle Karl Popper zitieren, dann haben wir es doch mit klugen Unterdrückern zu tun, die man im Dialog zu verstehen versuchen muss, oder?

Diese Haltung ist im besten Fall reichlich naiv und nicht mehr weit von einer Kollaboration entfernt, weil sie die Realitäten innerhalb des Irans verkennt und daher für die iranische Zivilgesellschaft ernste Gefahr bedeutet.

Dieses Regime zitiert Karl Popper, weil es genau weiß, wie leicht Europäer um den Finger zu wickeln sind.

Saba Farzan

Um es einmal klar zu sagen: Arendt erscheint im Iran, weil der Iran nicht Nordkorea ist. Weil man als Regime das Internet abschalten kann, aber nicht eine alte Zivilisation von der modernen Welt isolieren kann. Popper zitiert dieses Regime, weil es genau weiß, wie leicht Europäer und US-Demokraten zu täuschen und um den kleinen Finger zu wickeln sind.

Täuschung ist eine Art Doktrin der Islamisten. Auch deswegen möchten die Iraner so vehement und eindeutig diese Diktatur loswerden. Sie wollen einmal ihren historischen Fehler von 1979 korrigieren und sie wünschen sich, dass der Iran als ein aufrichtiges, friedliches und fortschrittliches Land auftritt.

Die Revolutionsgarden müssen finanziell ausgetrocknet werden

Diese Korrektur der islamischen Revolution wird erfolgreich sein, wenn die Revolutionsgarden und paramilitärische Miliz der Basij ihre Waffen niederlegen und aufhören, unschuldige Demonstranten zu ermorden. Freiwillig wird das nur vereinzelt passieren und es gehört zur Fehleinschätzung der Autorin dieser Zeilen im Jahr 2009, dass die Revolutionsgarden irgendwann die Seiten wechseln werden. Zu viel Blut haben sie vergossen, zu viel Unheil haben sie angerichtet und zu viel Geld ist für sie im Spiel, um ein menschliches Gewissen zu entwickeln.

Deswegen sind politische und finanzielle Sanktionen so wichtig – die Geldquellen dieser Gruppen müssen vollständig ausgetrocknet und sie müssen kontinuierlich isoliert werden. Nur wenn buchstäblich kein Cent mehr da ist, werden sie nicht mehr auf ihre Landsleute schießen.

Selbstverständlich sind die Garden in der iranischen Gesellschaft längst kulturell geächtet: Eine persische Kultur, die so lebensfroh und tiefgründig zugleich ist, kann mit den islamistischen Oberflächlichkeiten nichts anfangen.

Der UN-Menschenrechtsrat ist dysfunktional - ihn muss man nicht anrufen

Was also soll die freie Welt jetzt tun? Zunächst einmal verdient Außenministerin Annalena Baerbock Respekt dafür, dass sie sich schon in den ersten Tagen der revolutionären Entwicklungen so klar zur Verteidigung der Frauen- und Menschenrechte geäußert hat – und zwar gegen den Willen ihres zögerlichen Apparates.

Die Idee, den Mord an Jina Mahsa Amini vor den UN-Menschenrechtsrat zu bringen, ist in der Theorie ehrenwert, aber in der Praxis ist dieser ein dysfunktionales Forum des absurden Theaters mit keinerlei Sanktionsrecht. Und deswegen fragt man sich: „Soll das Ihr Ernst sein, Frau Baerbock?“

Die EU sollte mindestens ihre Botschafter aus Teheran abziehen.

Saba Farzan

Die Einbestellung des iranischen Botschafters war zwar ein guter Schritt, aber noch besser wäre seine Ausweisung. Eine einzige Sprache, die die Islamische Republik versteht, ist Druck. Der Fahrplan sollte beinhalten: ein möglichst schnelles Ende jeglicher Verhandlungen, die Schließung sämtlicher Außenvertretungen des Regimes und mindestens den Abzug aller europäischer Botschafter aus dem Iran verbunden mit harten Wirtschaftssanktionen.

Es ist fast alles schon mal dagewesen – wir können bei diesem islamischen Regime die Samthandschuhe ausziehen, auch wenn unsere die Politik das gar nicht will. Die Zeitenwende für den Iran ist mehr als überfällig. Und sie muss auch kommen, weil die Wahrung der Frauen- und Menschenrechte kein moralisches Thema ist, sondern essentiell mit Sicherheit zu tun hat. Ein Land, welches seine eigenen Menschen achtet, begeht auch keine Destabilisierung nach außen.

Das Ende des politischen Islam im Iran bedeutet auch Ruhe in den vier arabischen Hauptstädten Damaskus, Beirut, Sanaa und Bagdad. Sich diese nahe Zukunft vorzustellen, hat nichts mit Visionen oder Wunschdenken zu tun, sondern ist Realpolitik durch und durch.

Der Glaube von Jake Sullivan, dem nationalen Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, gleichzeitig Menschenrechte einzufordern und mit diesem Regime verhandeln zu können, ist utopisch. Und es ist ein Verrat an dem Freiheitswillen der Iraner. Damit haben die US-Demokraten seit 2009 viel Erfahrung gemacht und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein Politikdarsteller wie Donald Trump im Hinblick auf den Iran mit seiner harten Haltung mehrmals richtig gehandelt hat.

Die Biden-Regierung muss jetzt schnellstens eine bessere Iranpolitik formulieren – auch und gerade, weil dies eine vernünftige Regierung ist, die bei der Unterstützung für die Ukraine zur Selbstkorrektur fähig war und viel leistet.

Die Ukraine als eine junge Demokratie und die iranische Zivilgesellschaft auf dem Weg in die Freiheit haben viel gemeinsam – beide verdienen größtmögliche politische Unterstützung. Worauf wartet die Welt beim Iran noch?

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