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Petra Pau (Die Linke).

© dpa/Serhat Kocak

Linke ohne Fraktionsstatus: Petra Pau darf Vizepräsidentin des Bundestages bleiben

Die Abgeordneten um Sahra Wagenknecht und die verbleibenden Linken dürften den Bundestag jeweils um den Status als Gruppe bitten. Die Chancen dafür stehen gut.

Nach der Ankündigung von zehn Bundestagsabgeordneten der Linken um Sahra Wagenknecht, ihre Fraktion Anfang 2024 verlassen zu wollen, ringt das Parlament um den Umgang mit diesem beispiellosen Fall.

Einige der abtrünnigen Abgeordneten, die am Montag die Partei Die Linke verlassen hatten, wie Amira Mohamed Ali oder Klaus Ernst, kündigten bereits an, einen Status als Gruppe im Bundestag zu beantragen. Ali ist Vorsitzende des Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), das die Gründung einer neuen Partei vorantreibt.

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FDP: „Der Bundestag muss entscheiden“

„Wenn es zur Auflösung der Fraktion Die Linke kommt und sich ein Teil der bisherigen Fraktion zu einer Gruppe zusammenschließt, dann muss der Bundestag über Status und Rechte einer solchen Gruppe entscheiden“, sagte Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel.

Die AfD will „den Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE in Zukunft – wie immer sie sich organisieren – zugestehen, was ihnen nach der Geschäftsordnung des Bundestages zusteht“, sagte Bernd Baumann, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel. Das gelte für die Redezeit im Plenum wie für infrage stehende Positionen. „Gründe für darüber hinaus gehende Sonderregelungen erschließen sich uns nicht.“

Fraktionsstatus in akuter Gefahr

Der Linken-Fraktion gehören derzeit 38 Parlamentarier an. Der Status einer Fraktion erfordert mindestens 37 Sitze. Sollten also zwei oder mehr Abgeordnete die Linken-Fraktion verlassen, fällt der Fraktionsstatus weg. Auch die voraussichtlich rund zwei Dutzend übrig bleibenden Linken-Abgeordneten um Fraktionschef Dietmar Bartsch dürften eine Konstituierung als Gruppe planen.

Die Linke muss sich erst einmal sortieren. Erst dann kann man seriös über die Fragen sprechen, die sich dann stellen.

Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion

SPD: „Die Linksfraktion besteht fort“

Wie will der Bundestag damit umgehen? „Die Linke muss sich erst einmal sortieren. Erst dann kann man seriös über die Fragen sprechen, die sich dann stellen“, sagte Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, dem Tagesspiegel. Die Unionsfraktion wollte sich zu diesen Fragen nicht äußern. Ein Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion teilte mit, „die Linksfraktion besteht derzeit fort. Und es könnte ja auch sein, dass das so bleibt. Insofern ergibt sich weder Handlungsbedarf noch die Notwendigkeit, sich jetzt mit diesen Fragen zu beschäftigen.“ 

Die Gruppe ist im Parlament etwas zwischen einer Fraktion (die mindestens fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages erfordert) und fraktionslosen Abgeordneten. „Mitglieder des Bundestages, die sich zusammenschließen wollen, ohne Fraktionsmindeststärke zu erreichen, können als Gruppe anerkannt werden“, heißt es in der Geschäftsordnung des Bundestages.

Gruppen-Rechte sind zu verhandeln

Die Kann-Formulierung macht deutlich, dass das Parlament einem entsprechenden Antrag stattgeben muss. Die Rechte einer Gruppe sind in der Geschäftsordnung nicht fixiert. Klar ist: sie haben weniger Rechte als den Fraktionen zustehen (etwa das Recht, einen Vizepräsidenten des Bundestages zu stellen). Die Rechte der voraussichtlich beiden Gruppen sind also noch zu verhandeln.

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag

© REUTERS/ANNEGRET HILSE

Gleiches gilt für die Präsenz der bisherigen Linken-Fraktion in den Ausschüssen des Bundestages. Klaus Ernst könnte so seinen Vorsitz im Energie- und Klimaausschuss verlieren. Die Ausschüsse bestimmten ihre Vorsitze nach den Vereinbarungen im Ältestenrat, sagte ein Bundestags-Sprecher. Ernst habe „auf dieser Grundlage das Amt des Ausschussvorsitzes inne, solange keine Abberufung erfolgt“. Die Bundestags-Geschäftsordnung enthalte „keine Regelung, die für den Fall, dass ein Ausschussvorsitzender aus seiner Fraktion austritt bzw. seine Fraktion ihren Status verliert, einen automatischen Verlust des Amtes des Ausschussvorsitzes vorsieht“.

Petra Pau darf wohl bleiben

Bessere Aussichten hat Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die 2021 von einer Mehrheit der Mitglieder des Bundestages in ihr Amt gewählt wurde. Pau wird nach Auffassung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ihren Posten als Vizepräsidentin behalten können. Laut Geschäftsordnung des Bundestages wählt der Bundestag „den Präsidenten und seine Stellvertreter für die Dauer der Wahlperiode“, sagte ein Sprecher des Bundestages dem Tagesspiegel: „Das heißt, die Vizepräsidenten behalten ihr Amt, auch wenn sich ihre Fraktion auflösen sollte.“

So wird auch in den Fraktionen von SPD und FDP argumentiert. „Frau Pau ist als Vizepräsidentin des Bundestages für eine volle Wahlperiode gewählt. Ihre Funktion steht aus meiner Sicht nicht infrage, sollte die Linke ihren Status als Fraktion verlieren“, sagte FDP-Fraktionsgeschäftsführer Thomae dem Tagesspiegel.

Präzedenzfälle von 1990 und 1994

Mit Blick auf den Umgang mit parlamentarischen Gruppen können Präzedenzfälle helfen. Nach der Bundestagswahl 1994 saß die damalige PDS mit 4,4 Prozent der Zweitstimmen im Parlament. Sie hatte vier Direktmandate erzielt, die dann 26 weitere Sitze mit sich brachten. Die 30 PDS-Abgeordneten bildeten eine Gruppe. In der vorherigen Legislaturperiode (1990 bis 1994) gab es gar zwei Gruppen. Die PDS und das Bündnis 90 hatten bei der Bundestagswahl im Dezember 1990 im damaligen Wahlgebiet Ost die Fünf-Prozent-Hürde überwunden. Wenige Wochen nach der Vereinigung Deutschlands war die Sperrklausel auf Ost und West angewandt worden. Die PDS stellte 17 Abgeordnete, das Bündnis 90 acht Abgeordnete.

Redezeit, aber weniger Geld

Schon damals definierte der Bundestag interfraktionell, was beiden Gruppen zustand. Sie erhielten annähernd alle Rechte einer Fraktion: im Plenum eine ihrer Größe entsprechende anteilige Redezeit, das Recht, Aktuelle Stunden zu beantragen. Die Gruppen erhielten eine gekürzte Grundfinanzierung, sprich: weniger Geld, aber nicht essenziell weniger als die Fraktionen.

Das Parlament wird eine Lösung finden müssen, das die Rechte der Abgeordneten und seine eigene Funktionsfähigkeit abwägt. Der Bundestag und seine Fraktionen haben ein Interesse daran, dass sich Abgeordnete zusammenschließen. Je mehr Abgeordnete fraktionslos sind, desto komplizierter wird das Parlaments-Management.

38 frei schwebende Abgeordnete wären eine Zumutung

Der Linken gehören derzeit 38 Abgeordnete an. 38 frei schwebende Abgeordnete wären für das Parlament eine Zumutung. Man denke nur an das Recht jedes Abgeordneten, in jeder Kernzeit-Debatte das Wort zu ergreifen. Das würde Debattenstruktur und Debattenkultur zerschlagen.

Zu Bonner Zeiten, vor über 30 Jahren nutzte die fraktionslose Abgeordnete Trude Unruh, eine frühere Grüne, dieses Recht intensiv – und brachte damit selbst Kanzler Helmut Kohl (CDU) an den Rand seiner Nerven. Glücklicherweise war Unruh eine originelle Rednerin!

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Abgeordnete des Bundestages gehören keiner Fraktion an, unter ihnen ist Stefan Seidler vom dänisch orientierten SSW

Das Wüppesahl-Urteil

Die Rechte eines einzelnen Abgeordneten leiten sich unter anderem vom sogenannten Wüppesahl-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1989 ab. Thomas Wüppesahl, 1987 für die Grünen in den Bundestag gewählt, trat kurz danach aus der Partei aus und wurde später aus deren Fraktion ausgeschlossen. Er klagte gegen die Abberufung aus den Ausschüssen, und für sein Frage-, Antrags- und Rederecht. Außerdem wollte er in einer der beiden ersten Reihen des Plenums sitzen.

Karlsruhe stärkte die Rechte einzelner Abgeordneter. Es entschied, dass die Verwehrung der Mitgliedschaft in einem Ausschuss mit Rede- und Antragsrecht – aber ohne Stimmrecht – gegen die grundgesetzlich verankerten Recht des Abgeordneten verstoßen. Die Verfassungsrichter stellten außerdem ein Rederecht ungebundener Abgeordneter im Plenum fest. Der Bundestag hat derzeit sechs fraktionslose Abgeordnete.

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