zum Hauptinhalt
Lisa Paus (Grüne), Bundesfamilienministerin, bei der ersten Lesung der Gesetzentwurfs für eine Kindergrundsicherung im Bundestag.

© dpa/Kilian Genius

Kindergrundsicherung im Bundestag: „Wie viele Stellungnahmen brauchen Sie noch?“

Die Ampelkoalition hat die Kindergrundsicherung ins Parlament eingebracht. Die Kritik, vor der Ministerin Lisa Paus steht, ist gewaltig und kommt aus vielen Richtungen.

„Wie viele Experten-Stellungnahmen brauchen Sie noch, die diesen Gesetzentwurf in der Luft zerreißen?“ Dorothee Bär, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, brachte am Donnerstag im Bundestag die Kritik auf den Punkt, vor der die Ampelkoalition im Ringen um die geplante Kindergrundsicherung steht.

Nach Monaten des koalitionären Theaterdonners war es so weit: Das Herzensprojekt von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) kam in erster Lesung in den Bundestag. Die Kritik an den Plänen ist immens und kommt aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Kommunen, Unionsfraktion, Sozialverbände und Linkspartei monieren: Die Pläne taugten nichts und machten das Leben für Familien eher komplizierter als einfacher. Die Kritik in den Stellungnahmen für die Sachverständigenanhörung am kommenden Montag ist teils vernichtend.

Von ihrem Vorschlag überzeugt zeigte sich hingegen Ministerin Paus. Der Koalition gelinge ein echter Systemwechsel, sagte sie. Das Projekt sei der Einstieg in die Bekämpfung der strukturell verfestigten Kinderarmut. „Ich bin nichts, also kann ich auch nichts“: Mit diesem Glaubenssatz würden in Deutschland zu viele Kinder aufwachsen. „Das ist unwürdig“, sagte Paus.

Hunderte Millionen Euro für neue Verwaltungsstrukturen

Silvia Breher, familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, zerlegte die Pläne der Ministerin am Rednerpult analytisch. Die Ampel sei grundlegend auf dem falschen Weg. Sie investiere Hunderte Millionen Euro in neue Verwaltungsstrukturen, statt das Geld über die bewährten Wege Familien zugutekommen zu lassen.

Künftig soll ein neu zu schaffender Familienservice alle finanziellen Leistungen für Kinder aus einer Hand auszahlen. Allerdings: Für Familien, die vollständig vom Bürgergeld leben, erhöht sich damit die Anzahl der Anlaufstellen. Bisher sorgen die Jobcenter für den finanziellen Bedarf aller Familienmitglieder. Künftig wäre für die Kinder der Familienservice zuständig, die Eltern würden beim Jobcenter verbleiben.

Umgekehrt könnte der Familienservice eine Vereinfachung zum Beispiel für jene Familien bringen, die bisher wegen schwankenden Einkommens mal mehr, mal weniger Transferleistungen beziehen und so zwischen verschiedenen Anlaufstellen hin- und hergeschickt werden.

Bundesagentur für Arbeit warnt vor massiver Verzögerung

Das Echo der betroffenen Verbände allerdings ist so gut wie einhellig negativ. Die Stellungnahme des Bundesrats wurde für die Anhörung am Montag gar nicht erst abgewartet. Auch das erbost die Union.

Absehbar ist, dass der nun ins Parlament eingebrachte Gesetzentwurf noch überarbeitet werden wird. Hinter den Kulissen ringt auch die Ampel selbst nach wie vor um den Zuschnitt des Projekts. Mit ihrer ursprünglichen Forderung, die Transferleistungen für Familien auf breiter Front zu erhöhen, hatte sich Paus nicht gegen Finanzminister Christian Lindner (FDP) durchsetzen können. Dieser Konflikt ist erledigt, übrig ist eine Verwaltungsreform, die dafür sorgen soll, dass das Geld bei mehr Familien tatsächlich ankommt, und zwar unkomplizierter als bisher. Soweit das Versprechen.

Von besonderem Interesse ist die nun veröffentlichte Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit. Unter ihrem Dach soll der Familienservice eingerichtet werden. Die Bundesagentur warnt, eine geordnete Umsetzung zum 1. Januar 2025 sei „nicht realisierbar“. Stattdessen wird für eine Einführung ab Juli 2025, dann aber auch nur schrittweise, plädiert. Bereits in einer ersten Version dieser Stellungnahme, über die der Tagesspiegel berichtet hatte, hatte die Bundesagentur vor einer massiven Verzögerung gewarnt.

Paus ist auf eine Mehrheit auch im Bundesrat angewiesen. Dort gibt es bereits jetzt vernehmbare Kritik auch aus Ländern, in denen das zuständige Ministerium von den Grünen geführt wird. Doch nicht nur das: Am Ende wird die Ampel auch mit der Union einen Kompromiss finden müssen, denn ohne Stimmen aus Ländern, in denen diese mitregiert, wird es nicht gehen.

„Dieses Gesetz wird kein einziges Kind in diesem Land aus der Armut holen“, sagte Dorothee Bär im Bundestag. Es ist an Ministerin Paus und der Ampelkoalition, im weiteren Verfahren die vielen Kritikerinnen und Kritiker vom Gegenteil zu überzeugen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false