zum Hauptinhalt
Hubertus Heil, Lisa Paus und Christian Lindner gehen die Treppe zur Bundespressekonferenz herauf.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Kabinett vertagt Beschluss: Das sind die großen Probleme rund um Paus’ Kindergrundsicherung

Am Mittwoch sollte das Kabinett die Kindergrundsicherung beschließen. Doch daraus wird nichts. Woran hakt es? Ein Überblick.

Ende gut, alles gut? Keineswegs, und von Ende kann noch lange keine Rede sein. Am Mittwoch sollte das Bundeskabinett den Gesetzentwurf von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) für eine Kindergrundsicherung beschließen. Doch am späten Dienstagabend sickerte durch: Daraus wird nichts, der Beschluss muss noch einmal vertagt werden. Grundsätzlich ist man sich einig, aber eben noch nicht in allen Details.

Damit geht die Debatte in die nächste Runde, am Referentenentwurf muss weiter gearbeitet werden. Der Gesetzgebungsprozess geht so holprig weiter, wie er schon in den vergangenen Monaten gelaufen ist. Denn dem Projekt stehen noch große Probleme bevor. Ein Überblick.

1 Für Einwände ist keine Zeit

Kaum war der monatelange Streit zwischen Paus und Finanzminister Christian Lindner (FDP) Ende August zumindest grundsätzlich beigelegt, hatte die Ampelkoalition es plötzlich mächtig eilig. Unter Hochdruck wurde am Gesetzentwurf gearbeitet, um ihn am heutigen Mittwoch ins Kabinett zu bringen. Doch dieser Versuch scheiterte.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Das dürften Länder und Verbände mit Interesse beobachten. Ihnen war kaum Zeit für die regulär vorgesehenen Stellungnahmen im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses eingeräumt worden. Das aber könnte sich im weiteren Verfahren rächen, denn der sehr große Diskussionsbedarf wurde bisher nicht befriedigt.

„Es ist nicht akzeptabel und völlig unangemessen, dass Ländern und Verbänden bei einem derart umfassenden und komplexen Gesetzesvorhaben lediglich eine Woche Frist zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt wird“, heißt es in der Stellungnahme des Landes Berlin, die dem Tagesspiegel vorliegt. Diverse Verbände haben sich ähnlich geäußert. Entsprechend wird im parlamentarischen Verfahren noch viel zu besprechen sein.

„Die neuen Regelungen zur Kindergrundsicherung sind gut gemeint, aber richtig schlecht gemacht. Der Bund peitscht das Vorhaben durch, ohne die unzähligen kritischen Hinweise aus den Ländern und Verbänden zu berücksichtigen“, sagt dazu Falko Liecke (CDU), Staatssekretär für Jugend und Familie im Land Berlin. „Ich bin mir sehr sicher, dass es seitens des Bundesrates hier deutlichen Nachbesserungsbedarf gibt, um eine Kindergrundsicherung zu entwickeln, die tatsächlich bei den Kindern auch ankommt.“

Auch die Opposition im Bund wird deutlich: „Mehr Bürokratie für Familien, verschiedene Zuständigkeiten, ein Behördendschungel, der noch nebulöser zu werden scheint“, kritisiert Silvia Breher, familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion.

Und selbst innerhalb der Koalition gibt es nach wie vor Bedenken. „Wenn Lisa Paus das Risiko eingeht, bei so deutlichen Bedenken der Verwaltungsprofis das Kabinettsverfahren dennoch durchzuziehen, ist es in jedem Fall sehr entschlossen. Ob das auch klug ist, steht auf einem anderen Blatt“, sagte Martin Gassner-Herz, Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion für die Kindergrundsicherung, am Dienstag, bevor klar war, dass der Kabinettsbeschluss vertagt würde. Die Bedenken müssten im anstehenden parlamentarischen Verfahren ernst genommen werden. Das sei klüger „als später Notreparaturen zu riskieren“.

Ohnehin steht der Zeitplan infrage: In der Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit zum Gesetzentwurf, über die der Tagesspiegel zuerst berichtete, ist von einer drohenden Verzögerung von bis zu anderthalb Jahren im Vergleich zum geplanten Start im Januar 2025 die Rede.

2 Eine umstrittene Personalie

Seit wenigen Tagen ist der bisherige Leiter der Familienkasse, Karsten Bunk, seine Aufgabe los. Diese Behörde ist es, die unter dem Dach der Bundesagentur für Arbeit zu einem Familienservice ausgebaut werden und die Kindergrundsicherung umsetzen soll.

Da demonstrierten sie noch Einigkeit: Karsten Bunk (l.), damaliger Chef der Familienkasse, Familienministerin Lisa Paus (Grüne), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vanessa Ahuja, Vorständin der Bundesagentur für Arbeit, bei einem gemeinsamen Termin im Sommer.
Da demonstrierten sie noch Einigkeit: Karsten Bunk (l.), damaliger Chef der Familienkasse, Familienministerin Lisa Paus (Grüne), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vanessa Ahuja, Vorständin der Bundesagentur für Arbeit, bei einem gemeinsamen Termin im Sommer.

© picture alliance/dpa/Soeren Stache

Der Vorgang wirft – wieder einmal – die Frage auf, wie glatt das Management rund um die künftige Kindergrundsicherung läuft. Dieses Mal im Fokus: die Bundesagentur für Arbeit, wo auf Vorstandsebene entschieden wurde, Bunk abzuberufen. Er ist weiter in der Bundesagentur beschäftigt und äußert sich zu dem Vorgang nicht. Eine offizielle Stellungnahme gibt es ebenfalls nicht, mit Verweis auf Personendatenschutz und Mitarbeiterfürsorge.

Die Opposition will Bunks Abberufung nicht einfach hinnehmen. „Es muss Aufklärung her, warum Karsten Bunk, der Leiter der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, so plötzlich seinen Stuhl räumen musste“, sagt CDU-Familienpolitikerin Breher.

3 Zufrieden ist niemand

Es fließt enorm viel Energie von Politik und Verwaltung in das Projekt Kindergrundsicherung. Die Stellungnahmen der Verbände, von denen zahlreiche dem Tagesspiegel vorliegen, zeigen allerdings, dass im Grunde niemand von dem überzeugt ist, was nun verabredet wurde.

Da sind zum einen die Sozialverbände, die auf eine breit angelegte Erhöhung der Transferleistungen gehofft hatten. Eine solche kommt nicht, daher ist es wenig überraschend, dass sie enttäuscht sind. Und doch ist aufschlussreich, welch vernichtendes Zeugnis sie dem Projekt teilweise ausstellen.

So heißt es in der Stellungnahme der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie: „Die vorgelegten Regelungen vermitteln (…) den Eindruck, dass es gerade das oberste Ziel dieser ‘Kindergrundsicherung’ ist, auch zukünftig keinen Cent mehr als ein möglichst kleingerechnetes sozialrechtliches ‘Minimum’ für Kinder auszugeben.“

Und von der viel beschworenen Formel, die Leistungen für Kinder würden zur Bringschuld des Staates, bleibt aus Sicht der Verbände ebenfalls nichts übrig. Für den Kindergrundsicherungs-Check sei nur eine Kann-Regel vorgesehen, keine Verpflichtung der Behörden, monieren sie. Überhaupt werde strukturell gar nichts einfacher, heißt es in den Stellungnahmen.

Und es gibt viele Einzelfragen: Die Vertretungen der Alleinerziehenden monieren, Kinder, die im Wechselmodell leben, würden schlechter gestellt, weil der künftige Kinderzusatzbetrag zwischen den Haushalten der Eltern aufgeteilt werden müsse. Auch bei der Anrechnung von Unterhalt drohen den Stellungnahmen zufolge in bestimmten Konstellationen im Ergebnis Verschlechterungen.

„Es wird nicht ersichtlich, wo genau die viel gepriesenen Verbesserungen für Kinder aus Einelternfamilien sein sollen“, so lautet das Fazit des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter. Es ist nur eines von vielen Beispielen, das zeigt, wie viel Diskussionsbedarf es beim sozialpolitischen Prestigeprojekt der Ampel noch gibt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false