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Der Geschmack eines Menschen bildet sich in der Regel im Kleinkindalter.

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Kampf ums Werbeverbot: Özdemir sucht medizinischen Beistand

Verbände machen Stimmung gegen das Werbeverbot, das Ernährungsminister Özdemir durchsetzen will. Doch der Grünen-Politiker überlässt den Kritikern das Feld nicht allein.

Cem Özdemir steht am Montagmorgen am Ende seines Besuchs in der Adipositas-Ambulanz der Charité am Campus Virchow-Klinikum vor einer Packung mit Schoko-Riegeln. „8,5 Gramm Zucker pro Riegel“ steht da. Mehrere Zuckerwürfel liegen anschaulich daneben. Es sind Angaben, die die Werbung gern verschweigt.

Der Ernährungsminister will Werbung für ungesunde Snacks, die sich an Kinder richtet, möglichst verbieten. Welche Folgen ein ungezügelter Konsum von Nahrungsmitteln mit zu hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt hat, lässt sich in der Berliner Charité gut beobachten. „Die Kinder und Jugendlichen, die wir hier betreuen, sind alle chronisch krank“, sagt Susanna Wiegand, die Leiterin der Ambulanz. In 70 Prozent der Fälle kämen mehrere Folgeerkrankungen der Adipositas hinzu –  gestörter Zuckerstoffwechsel, hoher Blutdruck und Bewegungseinschränkungen. „Das führt zu einer massiven Einschränkung der Teilhabe“, sagt die Medizinerin.

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Prozent der 3- bis 17-Jährigen in Deutschland sind übergewichtig

„Wir reden über mehr als zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland, die ein Übergewicht oder bereits eine Adipositas haben“, erläutert Wiegand weiter. Das ist wohlgemerkt eine Zahl, die vor der Corona-Pandemie erhoben wurde. Seither dürfte der Anteil der Übergewichtigen noch gestiegen sein.

Nach den Worten der Ärztin prägt sich der Geschmack eines Menschen gerade in der Kleinkindphase. Wer von klein auf an Nahrung mit zu hohem Zuckergehalt gewöhnt ist, kann später nur schwer andere Vorlieben entwickeln. Viele Eltern, berichtet Wiegand, würden dann erklären: „Mein Kind mag kein Gemüse und kein Obst.“

Kampagne der Industrie gegen Özdemirs Pläne

Özdemir geht mit dem Termin in der Adipositas-Ambulanz seinerseits in die Offensive im Kampf um die Deutungshoheit darüber, wie viel Werbung für fett-, zucker- und salzhaltige Nahrung erlaubt sein soll. Es ist offensichtlich, dass der Grünen-Politiker nicht allein der Ernährungsindustrie das Feld überlassen will.

Denn nachdem Özdemir seinen Vorschlag für das Werbeverbot publik gemacht hatte, startete die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie unter dem Motto „Lieber mündig“ eine groß angelegte Kampagne gegen das Vorhaben. Auch der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft warnte vor einem Übermaß an Regulierung.

Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) im Gespräch mit der Leiterin der Adipositas-Ambulanz der Charité, Susanna Wiegand (Mitte) und dem Direktor der Klinik für pädiatrische Endokrinologie, Peter Kühnen (rechts).
Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) im Gespräch mit der Leiterin der Adipositas-Ambulanz der Charité, Susanna Wiegand (Mitte) und dem Direktor der Klinik für pädiatrische Endokrinologie, Peter Kühnen (rechts).

© Albrecht Meier

Im vergangenen Monat lenkte Özdemir unter dem Druck der Ernährungswirtschaft und der liberalen Ampel-Partner ein und entschärfte seinen Gesetzentwurf. Während zunächst ein TV-Werbeverbot für Schokoriegel, Chips und andere ungesunde Snacks zwischen 6 und 23 Uhr vorgesehen war, ist der Grünen-Politiker inzwischen einen Schritt auf die Kritiker zugegangen. Jetzt sieht der Entwurf nur noch ein Werbeverbot werktags von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich von acht bis elf und sonntags von acht bis 22 Uhr vor. Auch ein Plakatverbot im Umkreis von Sportvereinen wurde aus dem ursprünglichen Entwurf gestrichen.

85 Prozent der Menschen in Deutschland wollen, dass ich das mache.

Cem Özdemir, Ernährungsminister

Viel weiter will Özdemir bei den Details des Gesetzentwurfs, der sich derzeit in der Abstimmung zwischen den einzelnen Ministerien in der Bundesregierung befindet, aber nicht gehen.  Die Diskussion um das geplante Werbeverbot habe sich „sehr verkantet bedauerlicherweise, weil die Lobbymaschine angeworfen wurde“, sagt er am Montag. Umso wichtiger sei daher die Sicht von Kinderärzten, Krankenkassen oder Elternvereinen, die sein Vorhaben unterstützen.

Weniger Salz, Zucker und Fett

Wenn es weniger Salz, Zucker oder Fett in den jeweiligen Snacks gebe, „dann haben wir deutlich weniger Probleme“, lautet das Rezept des Grünen-Politikers. Das Werbeverbot betrachtet er indes nur als einen Baustein für eine bessere Gesundheit der Kinder. Mehr Bewegung, gesundes Essen an den Kitas und mehr Sport an den Schulen gehörten genauso zu einem Bündel von Maßnahmen im Sinne der nächsten Generation.

Bestärkt fühlt sich der Minister durch Umfragen, denen zufolge sein Feldzug gegen die Zuckerbomben große Zustimmung genießt: „85 Prozent der Menschen in Deutschland wollen, dass ich das mache.“ In anderen Ministerien, fügt Özdemir hinzu, „würde man träumen von solchen Werten“.

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