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Hubertus Heil (SPD) wollte wissen: Warum Deutschland? Hier sei es doch so kalt? Adrian Gomez sagte, ihm gefalle das milde Klima. In seiner Heimatstadt seien Temperaturen über 40 Grad nicht selten.

© dpa/Britta Pedersen

Heil und Habeck besuchen Berliner Charité: Klinik wirbt 2023 mehr als 500 ausländische Pfleger an

Die Berliner Charité will jährlich mehr als 500 ausländische Pflegekräfte nach Berlin holen. Die Bundesminister Hubertus Heil und Robert Habeck sahen sich am Mittwoch das Modell näher an.

Anfang Juni war Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in Brasilien, um dort um Pflegepersonal für den deutschen Arbeitsmarkt zu werben. Nagi Salaz, der die Stabsstelle Integration und Pflege an der Berliner Charité leitet, war damals ebenfalls dort. Im Deutschen Krankenhaus Oswaldo Cruz in São Paulo lernten sie sich zufällig kennen.

Heil und Salaz sahen sich nun wieder, der Bundesminister besuchte am Mittwoch mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Charité. Diese wirbt so viele Pflegekräfte an wie kein anderes Krankenhaus: Bereits 640 Pflegekräfte hat diese nach Berlin geholt. Nur zehn seien wieder in ihre Heimat zurückgekehrt, erzählte Salaz. Momentan befänden sich 467 weitere Pflegekräfte „in der Pipeline“.

Salaz und sein sieben Mitglieder starkes Team reisen auf der Suche nach Personal in die Türkei, in den Kosovo, nach Brasilien, Mexiko, Tunesien und nach Kolumbien. 2015 hatte die Klinik beschlossen, Personal aus dem Ausland anzuwerben. Vor fünf Jahren lief das Programm an, damals stellte die Charité jährlich 120 Fachkräfte ein. Dieses Jahr soll die Zahl auf mehr als 500 steigen. „Wir wollen die Schlagzahl erhöhen. Wir brauchen die Pflegekräfte, nur so können wir die Patientenversorgung verbessern“, sagte Salaz.

„Wir müssen nur die Sprache lernen“

Heil und Habeck nutzten ihren Besuch, um auf der neurochirurgischen Station mit drei ausländischen Pflegekräften zu sprechen. Einer von ihnen heißt Adrian Gomez und kommt aus Mexiko. Er gehört zur „ersten Generation“ ausländischer Pflegekräfte an der Charité.

640
Pflegekräfte aus dem Ausland hat die Charité insgesamt nach Berlin geholt.

Gomez hat in seinem Heimatland einen Bachelorabschluss gemacht, in Deutschland ist die Krankenpflege ein Ausbildungsberuf. Die Charité hätte ihm sämtliche Arbeit abgenommen, sagte er. Die Klinik kümmere sich etwa darum, dass er und seine Kolleg:innen eine Unterkunft fänden. „Wir müssen nur die Sprache lernen.“

Schon in der Heimat besuchen die Pflegekräfte einen Deutschkurs, sie müssen den Test für das Niveau B1 bestehen. Der Papierkram, etwa die Anerkennung von Berufsabschlüssen, findet ebenfalls dort statt. Dieser sei enorm, sagte Salaz: „Ich reise mit leeren Koffern in die Länder und komme mit 17 Kilogramm Papier pro angeworbener Pflegekraft zurück.“

Schlechte Arbeit? Laut Heil nicht hier!

Bundesminister Heil kritisierte den Vorwurf, dass Deutschland anderen Ländern das Pflegepersonal klaue: „Wir werben keine Pflegekräfte aus Ländern an, die selbst Arbeitskräfte brauchen.“ In Brasilien gebe es eher zu viele Krankenpfleger:innen, sagte er. Anschließend beschwerte er sich über schlechte Presse: Er höre, dass Deutschland zunächst die Arbeitsbedingungen im eigenen Land verbessern müsse, bevor es Arbeitskräfte hierher hole.

Wir werben keine Pflegekräfte aus Ländern an, die selbst Arbeitskräfte brauchen.

Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister (SPD)

Mit Heyo Kroemer, dem Vorstandsvorsitzenden der Charité, hatte Heil einen dankbaren Antwortgeber. Kroemer wies auf den Entlastungstarifvertrag hin, der an der Charité einen fixen Personalschlüssel festlegt. Eine Intensivpflegekraft soll maximal 1,8 Patient:innen pro Schicht versorgen, auf Normalstationen kommt eine Pflegekraft auf 15 Fälle.

Kroemer meinte damit: Gerade wegen der guten Bedingungen braucht das Universitätskrankenhaus Personal aus dem Ausland. „Angesichts des demographischen Wandels ist das nicht allein mit eigenen Pflegekräften lösbar“, erklärte er.

Tatsächlich ging dem Tarifvertrag ein wochenlanger Arbeitskampf voraus. Ende 2021 einigte sich die Klinik mit der Gewerkschaft Verdi. Die Streikenden wollten erreichen, dass sich der Stress auf den Stationen reduziert. Mittlerweile gilt der Tarifvertrag bundesweit als Vorbild.

Andere Länder für Fachkräfte attraktiver

So erfolgreich Salaz und die Charité mit ihrer Strategie sind, der Weg in den deutschen Arbeitsmarkt ist beschwerlich, die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse aufwendig. Andere Länder machen es Fachkräften leichter. Laut einer Studie ist Deutschland unter den OECD-Staaten kürzlich auf Platz 15 zurückgefallen, was die Beliebtheit für Fachkräfte angeht.

Um den Prozess zu vereinfachen, hatte der Bundestag vor anderthalb Wochen eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beschlossen. Die Reform sieht ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild vor, Berufsabschlüsse sollen leichter anerkannt werden.

In Berlin ist dafür unter anderem das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zuständig. Der „dpa“ teilte eine Sprecherin im Mai mit, dass das Lageso 2022 bei Pflegeberufen einen Anstieg um 100 Prozent im Vergleich zu 2021 verzeichnete: Von 400 war die Zahl der Anträge auf Anerkennung einer Berufsqualifikation auf mehr als 800 gestiegen.

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