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In Frankfurt (Oder) passiert ein Transporter einen Polizisten mit Haltekelle in der Hand. An deutschen Grenzen wurden im ersten Halbjahr 2023 mehr unerlaubte Einreisen von der Bundespolizei registriert als im Vorjahreszeitraum.

© dpa/Hannes P Albert

Illegale Einreisen an deutsch-polnischer Grenze: „Prognose für die nächsten Monate sieht düster aus“

Offenbar kommen wieder verstärkt Flüchtlinge über die Belarus-Route. Brandenburgs Innenminister Stübgen fordert Bundesinnenministerin Faeser zum Handeln auf.

Seit Wochen mehren sich die Hinweise darauf, dass Russland und Belarus offenbar eine Flüchtlingsroute wieder beleben, auf der 2021 schon einmal zahlreiche Migranten den Weg in die EU gesucht hatten. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) fordert Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu Gegenmaßnahmen auf. Doch die Berliner Ressortchefin sieht in der Frage verstärkter Grenzkontrollen derzeit keinen Handlungsbedarf.

Vor zwei Jahren brachte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko schon einmal gezielt Flüchtlinge an die Grenze zur EU. Die Geflüchteten, die aus Ländern wie dem Irak und Syrien stammten, ­wurden damals zum Großteil von Sicherheitskräften an den EU-Außengrenzen in Lettland, Litauen und Polen aufgehalten. Dennoch zogen etliche Migranten bis nach Deutschland weiter. Im Oktober 2021 wurden in der Regel mehrere hundert illegale Flüchtlinge pro Tag an der Grenze zwischen Polen und Deutschland registriert.

12.331
illegale Einreisen registrierte die Bundespolizei im ersten Halbjahr an der deutsch-polnischen Grenze

Auch der russische Präsident Wladimir Putin beteiligte sich 2021 an dem Versuch, die EU gezielt unter Druck zu setzen. Seinerzeit hätten die belarussischen Behörden „fast wie ein Reiseunternehmen“ Flüchtlinge an die polnische Grenze weitergeleitet, erinnert sich Andreas Roßkopf, Vorsitzender des Bezirks Bundespolizei und Zoll bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Es sei „gut möglich, dass wir wieder so weit sind“, sagte er dem Tagesspiegel.

Über zehntausend illegale Einreisen

Laut Roßkopf könne man davon ausgehen, „dass gerade Belarus wieder daran beteiligt ist“, wenn derzeit an der polnisch-deutschen Grenze die Zahlen illegaler Einreisen wieder steigen. Die Bundespolizei registrierte im ersten Halbjahr an der Grenze zwischen Deutschland und Polen 12.331 illegale Einreisen. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 4592 gewesen.

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Daher fordert Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), dass das Bundesinnenministerium bei der EU weitere Grenzkontrollen nach dem so genannten Schengen-Kodex notifizieren solle. Bislang kontrolliert Deutschland seit Herbst 2015 nur in Bayern an der Grenze zu Österreich. Die Bundespolizei kann nach einer solchen Notifizierung bei der EU lageabhängig selber entscheiden, ob und in welcher Form temporäre, mobile oder stationäre Kontrollen am besten geeignet sind, um die Grenze zu schützen.

„Russland wird seine Schleuseraktivitäten noch intensivieren“

Angesichts der Zahl von mehr als 10.000 Menschen, die im ersten Halbjahr illegal über die polnische Grenze nach Deutschland gekommen sind, sagte Stübgen dem Tagesspiegel: „Das sind deutlich mehr als über jede andere Route.“ Der CDU-Politiker fügte hinzu: „Die Prognose für die nächsten Monate sieht düster aus, denn Russland wird seine Schleuseraktivitäten noch intensivieren“, warnte er. „In Bayern lässt Nancy Faeser die Grenze kontrollieren und illegale Flüchtlinge zurückschicken. Worauf sie an der Grenze zu Polen noch warten will, weiß ich nicht“, so Stübgen.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) fordert, dass die Bundesregierung bei der EU weitere Grenzkontrollen notifizieren solle.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, sieht „zahlreiche Hinweise, dass Russland und Belarus Migranten missbrauchen, um die EU unter Druck zu setzen“. Obwohl dieses staatliche Schleusertum ganz offensichtlich und Teil einer gefährlichen Strategie sei, weigere sich Faeser zu handeln, kritisierte der CDU-Politiker.

Es sei „nicht akzeptabel“, dass die Bundespolizei entlang der Grenzen zu Polen und Tschechien allein in diesem Jahr mehrere tausend illegale Grenzübertritte festgestellt habe, sagte Frei weiter. Er forderte Faeser auf, Grenzkontrollen an den Brennpunkten einzusetzen. Zuletzt hatte dagegen ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärt, dass das „ultima ratio-Instrumentarium der vorübergehenden Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen“ derzeit „nicht Gegenstand der Überlegungen für eine weitere Ausweitung von Binnengrenzkontrollen“ sei

Die hohe Zahl illegaler Einreisen nach Deutschland vor allem aus Osteuropa sehe ich mit Sorge.

Dirk Wiese, SPD-Fraktionsvize

Auch in der Ampel-Koalition verfolgt man den Anstieg der Zahlen bei der irregulären Migration an den deutschen Grenzen genau. „Die hohe Zahl illegaler Einreisen nach Deutschland vor allem aus Osteuropa sehe ich mit Sorge“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. „Insbesondere nach den Erfahrungen der letzten Jahre, als Belarus die illegale Einschleusung von Geflüchteten als Mittel der Destabilisierung genutzt hat, müssen wir hier äußerst wachsam sein“, fügte er hinzu.

Wiese verlangte, dass „gezielte Schleusungen aus Russland und Belarus über die Grenze nach Polen in die Europäische Union“ verhindert werden müssten. „An die Adresse von Lukaschenko und Putin sage ich erneut: Die Verzweiflung und das Leid von Geflüchteten als Waffe gegen die EU einzusetzen, ist an Niedertracht nicht zu überbieten“, erklärte er. Möglichen Versuchen, die EU nachhaltig zu destabilisieren, müssten sich alle Europäer nach seinen Worten „gemeinsam entgegenstellen“.

Gleichzeitig ging Wiese scharf mit der AfD ins Gericht. Es sei die „putinhörige AfD“, welche die gemeinsame europäische Geschlossenheit untergrabe, sagte er. „An der Seite des russischen Diktators zu stehen, der die EU bekämpft, schadet unserem Land massiv und führt zu weiteren belarussischen und russischen Kampagnen – auf dem Rücken der Schwächsten.“ Weiter sagte Wiese: „Wie perfide muss man als AfD sein: Hier die Flüchtlinge angreifen und gleichzeitig Putin stützen.“

Der Grünen-Innenpolitiker Marcel Emmerich hält es unterdessen für eine „Mär“, wenn immer wieder suggeriert werde, Binnengrenzkontrollen würden die Zahl ankommender Geflüchteter reduzieren und die Kommunen entlasten. „Wir sehen bereits seit Jahren in Bayern, dass Binnengrenzkontrollen keine Probleme lösen, sondern massiv der Freizügigkeit, Wirtschaft und den Menschen vor Ort schaden“, sagte Emmerich weiter. 

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