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Kameras und Mikrofone vor dem Reichstagsgebäude.

© dpa/Ralf Hirschberger

Gefährdet das Strafrecht die Pressefreiheit?: Klage gegen das Informationsportal „Frag den Staat“

Der Chefredakteur von „Frag den Staat“ wird angeklagt, weil er Dokumente aus laufenden Strafverfahren veröffentlicht hat. Er hat jedoch prominente Vorbilder – sogar im Bundeskanzleramt.

Es waren nur ein paar Dokumente, aber nach Ansicht der Berliner Staatsanwaltschaft gehörten sie nicht in die Öffentlichkeit. Deshalb hat sie gegen den Chefredakteur der Recherche- und Transparenzplattform „Frag den Staat“, Arne Semsrott, der sie online stellte, Anklage erhoben. Der Vorwurf: Es handele sich um eine „verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen“ nach Paragraf 353d Nummer 3 Strafgesetzbuch.

Es ging um Ermittlungen gegen Klima-Aktivisten

Die Anklage ist ganz im Sinne Semsrotts und seiner Unterstützer von der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ (GFF), die mit strategischen Klageverfahren rechtspolitische Ziele verfolgt. Die GFF meint, die Vorschrift sei „Ausdruck einer veralteten Vorstellung von Medienöffentlichkeit“. Semsrott sagt: „Es kann nicht sein, dass die Pressefreiheit durch das Veröffentlichungsverbot derart eingeschränkt wird.“ Der Gesetzgeber müsse die Norm endlich streichen. Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) ruft den Bundestag zu einer Reform auf. 

Konkret hatte sich der Journalist mit Ermittlungsmaßnahmen gegen die Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ beschäftigt und in diesem Zusammenhang Gerichtsbeschlüsse aus dem laufenden Verfahren auf seiner Plattform hochgeladen. Genau das soll die – seit langem umstrittene – Strafnorm verhindern.

Ihr zufolge wird bestraft, wer amtliche Dokumente aus Strafverfahren sowie Bußgeld- oder Disziplinarverfahren „ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist“. Kein schweres Delikt, die Strafen reichen von Geldstrafen bis zu einem Jahr Haft.

Eine Berichterstattung über Strafverfahren einschließlich der sinngemäßen Wiedergabe von Verfahrensinhalten ist und bleibt zulässig.

Eine Sprecherin von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP)

Zweck des Strafgesetzes ist der Schutz des laufenden Verfahrens. Die Beteiligten – einschließlich Richtern oder Schöffen – sollen nicht dadurch beeinflusst werden, dass Originalinhalte der Akten in den Medien erörtert werden. Zugleich sollen auf diese Weise Persönlichkeitsrechte und die Unschuldsvermutung des Beschuldigten geschützt werden.

Vor knapp vierzig Jahren hielt das Bundesverfassungsgericht die Strafnorm angesichts dieser Ziele für verhältnismäßig, trotz der Bedürfnisse der Presse, auch im Wortlaut über Verfahrensdokumente berichten zu können.

Semsrott und die GFF glauben sich trotzdem im Recht und können sich dabei auf prominente Vorbilder berufen – nicht nur aus dem Journalismus. Denn mit der Möglichkeit digitaler Verbreitung über Webseiten und soziale Netzwerke laufen auch andere zunehmend Gefahr, sich wegen des Paragrafen strafbar zu machen.

Einer war der heutige Chef des Bundeskanzleramts, Wolfgang Schmidt (SPD). Als im Herbst 2021 im Schlussspurt des Bundestagswahlkampfs überraschend Strafverfolger im Bundesfinanzministerium des damaligen Ministers Olaf Scholz (SPD) auftauchten, veröffentlichte Schmidt, der damals Finanzstaatssekretär war, Auszüge aus dem Durchsuchungsbeschluss auf seinem „Twitter“-Account. Es sei „nötig, dass sich die Öffentlichkeit selbst ein Bild von den Fakten machen kann“, schrieb er. Tatsächlich war die Durchsuchung rechtswidrig, wie Gerichte später bestätigten.

5000
Euro musste der damalige Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt (SPD) zahlen, damit das Verfahren gegen ihn eingestellt wird.

Trotzdem kam es zu einem Strafverfahren wegen des Paragrafen 353d. Zwar zeigte sich Schmidt öffentlich „zuversichtlich, dass sich die Vorwürfe schnell ausräumen lassen werden“. Wie die Berliner Staatsanwaltschaft aber jetzt auf Anfrage darlegt, verfolgte Schmidt im Ermittlungsverfahren eine Doppelstrategie: Einerseits bedauerte er den Vorfall und räumte das Geschehen ein, andererseits beharrte er darauf, korrekt gehandelt zu haben.

Im Ergebnis wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage von 5000 Euro eingestellt. „Obwohl es bei der rechtlichen Bewertung nach wie vor unterschiedliche Ansichten gab, konnte davon ausgegangen werden, dass der Beschuldigte sich dieses Verfahren eine Warnung sein lassen und es nicht zu einer Wiederholung kommen wird“, vermerkte die Staatsanwaltschaft dazu.

Thomas Strobl (CDU), Innenminister von Baden-Württemberg, wurde beschuldigt, weil er ein Dokument an eine Zeitung weitergereicht hatte.

© dpa / Bernd Weißbrod

In eine ähnliche Falle tappte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). Er hatte sich einer Zeitung in einer örtlichen Polizei-Affäre als heimlicher Informant angedient und ein Anwaltsschreiben weitergereicht, damit die Zeitung – ohne Nennung der Quelle – darüber berichtet.

Auch Strobl stellte sich auf den Standpunkt, es sei ihm um „Transparenz“ gegangen. Die zuständige Staatsanwaltschaft kannte trotzdem keine Nachsicht. Strobl zahlte 15.000 Euro, damit das Verfahren eingestellt werden konnte.

Greift das Bundesverfassungsgericht ein?

Nicht nur Medienleute, auch manche Politiker dürften deshalb erleichtert sein, wenn es den Paragrafen nicht mehr gäbe. Der Weg dahin könnte verkürzt sein. Die Staatsanwaltschaft hat Semsrott trotz des leichten Delikts gleich vor dem Landgericht angeklagt, weil der Fall grundsätzliche Fragen zur Pressefreiheit aufwerfe.

Als nächste Instanz ginge es direkt zum Bundesgerichtshof, der ein pressefreundliches Grundsatzurteil fällen könnte – falls nicht, kann der „Frag den Staat“-Chefredakteur es vor dem Bundesverfassungsgericht versuchen. Eine Korrektur des Urteils vor knapp 40 Jahren dürfte allerdings schwer zu erreichen sein.

Aus der Bundesregierung ist vorerst keine Hilfe zu erwarten. Das Delikt findet sich nicht in einem Katalog, den Justizminister Marco Buschmann (FDP) zur Streichung vorgeschlagen hat. Dies sei auch nicht geplant, bestätigte das Ministerium auf Anfrage.

Mögliche Gefahren schätzt man dort undramatisch ein: Das Strafgesetz beschränke die Meinungsfreiheit „nur in geringem Maße“, denn es verbiete nur die wortlautgetreue Veröffentlichung von Dokumenten. „Eine Berichterstattung über Strafverfahren einschließlich der sinngemäßen Wiedergabe von Verfahrensinhalten ist und bleibt zulässig.“

Transparenzhinweis: Der Verfasser des Artikels ist mit Arne Semsrott persönlich bekannt und steht mit ihm gelegentlich im Austausch zu Fragen der Informationsfreiheit.

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