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Kühltürme des Braunkohlekraftwerkes in Jänschwalde in Brandenburg.

© Patrick Pleul/dpa

Schulterschluss von FDP und Grünen: "Die Frage nach dem Ausstieg aus der Kohle ist absolut drängend"

Ingrid Nestle und Lukas Köhler, Sprecher für Energie- und Klimapolitik bei Grünen und FDP, stehen in regem Austausch zum Klimaschutz. Im Interview sprechen sie über Emissionshandel und sieben Gigawatt Kohle.

Die Jamaika-Koalition ist auch an Unstimmigkeiten bei der Energie- und Klimapolitik gescheitert. Ingrid Nestle, Sprecherin für Energiewirtschaft der Grünen-Bundestagsfraktion, und Lukas Köhler, klimapolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, treffen sich regelmäßig, damit es beim nächsten Mal besser klappt. Ein Gespräch über den Emissionshandel, sieben Gigawatt Kohle und neue Wege zu Jamaika.

Frau Nestle, Herr Köhler, Grüne und FDP haben sich bei den Verhandlungen über die Jamaika-Koalition auch bei den Themen Energie- und Klimapolitik zerstritten. Wie oft denken Sie beide eigentlich noch: Das hätte man doch hinbekommen müssen.

Nestle: Je länger, desto mehr. Meine Befürchtungen treten gerade ein, dass die große Koalition bei den Energie- und Klimathemen nicht vorankommt. Wir hätten mit Jamaika mehr Klimapolitik hinbekommen als es derzeit der Fall ist. Dafür haben wir Grüne gekämpft.

Köhler: Ich sehe das Scheitern von Jamaika mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Grundsätzlich hätte man in der Sache sicherlich viel bewegen können. Aber in den Sondierungsgesprächen und auch im Nachgang hat man gemerkt, dass immer dann, wenn es konkret wird, wenig Gestaltungsspielraum vorhanden ist. Das sieht man vor allem bei dem Teil, der heute nicht mit am Tisch sitzt: der Union.

Sie beide treffen sich regelmäßig, um sich bei Fragen der Energie- und Klimapolitik auszutauschen. Ist das schon die gelb-grüne Pizza-Connection, in Anlehnung an die Treffen der Abgeordneten von Union und Grüne.

Köhler: Unsere Treffen sind das Gegenteil der Pizza-Connection. Da habe ich nur wahrgenommen, dass sie sehr prominent öffentlich stattgefunden hat. Bei uns ist es aber so, dass man offen und konstruktiv über die Themen diskutieren kann und zwar nicht allein für die Öffentlichkeit, sondern um klar herauszufinden, was die Position des anderen ist.

Nestle: Ich fände es eher schlimm, wenn es keine Gespräche geben würde. Man ist doch interessiert, herauszufinden, warum die anderen so denken. Bei der FDP denke ich oft: Der liberale Grundgedanke hat viel für sich. Das ist genau meine Philosophie, nur meine Schlussfolgerungen sind komplett andere.

Ingrid Nestle, Sprecherin für Energiewirtschaft der Grünen im Bundestag und Lukas Köhler, Sprecher für Klimapolitik der FDP-Fraktion.

© Thilo Rückeis

Bringen Sie sich jetzt in Stellung für den Fall, dass die große Koalition in den kommenden Wochen an der Flüchtlingsfrage scheitert?

Nestle/Köhler: Unsere Treffen haben damit nichts zu tun. Wir tauschen uns schon seit Monaten aus.

Wer ist denn bei Ihnen zuerst auf wen zugegangen?

Nestle: Ich hatte eine Anmerkung zu deiner ersten Rede zum Thema Klimaschutz. Dann haben wir uns abends bei einer Veranstaltung getroffen, bei der wir gemeinsam auf dem Podium saßen. Und haben uns verabredet.

Köhler: Das Thema der Veranstaltung war, wie grüne Start-ups der Digitalisierung in der Energiewirtschaft auf die Sprünge helfen können. Für das Publikum waren wir beide bestimmt langweilig, da wir immer einer Meinung waren.

Digitalisierung ist also ein Thema, wo Sie viele Gemeinsamkeiten Ihrer Energiepolitik finden können.

Köhler: Das erste Thema, was umgesetzt werden muss, damit es auch mit der Digitalisierung klappt, ist der Ausbau der digitalen Infrastruktur. Dann sind große Fortschritte im Energiebereich möglich. Aber man muss halt mal damit anfangen. Und der erste Schritt wäre eben der Netzausbau.

Nestle: Die Digitalisierung ist wirklich eine Chance. Man kann für die Versorgungssicherheit durch die Digitalisierung ganz neue Potenziale erschließen, wenn etwa Märkte viel kurzfristiger werden und wenn Bilanzkreise Fahrplanabweichungen selbst korrigieren können. Den Netzbetreibern muss man obendrein Anreize geben, digital und intelligent auszubauen. Die Bedingung für all das ist, dass der gesamte Strommarkt marktnäher wird: sprich der Verbraucher finanziell belohnt wird, wenn er flexibel Strom abnimmt. Leider passiert dabei in der großen Koalition rein gar nichts. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat jüngst gesagt, dass er das Strommarktdesign nicht angehen wird.

Altmaier hat damit auch dem CO2-Preis eine klare Absage erteilt.

Nestle: Dass Altmaier diesen Vorschlag so vom Tisch gewischt hat, ist fatal und widerspricht sowohl grüner Programmatik als auch der Programmatik der FDP. Die sagt: Wir wollen Marktwirtschaft und Klimaschutz. Wie das ohne CO2-Preis gehen soll, ist mir ein völliges Rätsel.

Herr Köhler, Sie haben sich zuletzt dafür ausgesprochen, den Emissionshandel auf die Sektoren Verkehr und Wärme auszuweiten. Frau Nestle, die Grünen wollen einen Preis auf CO2 in Form einer Steuer oder Abgabe. Wie kommen Sie da zusammen?   

Nestle: Wir Grünen sind an dieser Stelle deutlich pragmatischer als die FDP. Wir schauen auf das, wofür die Türen gerade offenstehen. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat Deutschland zu einer gemeinsamen Initiative bei einem CO2-Mindestpreis im Stromsektor aufgefordert. Ich habe nichts gegen einen funktionierenden Emissionshandel, aber der ist momentan nicht umzusetzen. Also konzentrieren wir uns auf machbare Lösungen. Ich hoffe auf den Pragmatismus der FDP, beim CO2-Preis mitzuziehen, der ebenso ein marktwirtschaftliches Instrument darstellt.

Köhler: Ich widerspreche deinen Thesen, dass der Emissionshandel derzeit nicht diskutiert werde oder gar nicht funktioniere. Es liegen die beiden Möglichkeiten auf dem Tisch, um CO2 einen Preis zu geben. Für mich stellt der Zertifikatehandel die bessere Lösung dar, weil wir damit die Emissionsmenge genau festlegen, die Industrie aber selbst entscheiden kann, wo sie diese Emissionen reduziert.

Nestle: Der Europäische Emissionshandel, an dem derzeit Kraftwerke und Industrieanlagen teilnehmen, ist in seinem Anspruch nicht konform mit den Pariser Klimazielen. Bevor wir uns also überlegen, diesen Emissionshandel auf andere Sektoren auszuweiten, müssen wir doch erstmal den Anspruch des bestehenden Systems heben.

An dieser Stelle ist die Diskussion aber leider nicht offen: Es gab viele Runden auf europäischer Ebene zu der Frage, wie der Emissionshandel wirkungsvoller werden kann. Ich habe niemals einen FDP-Abgeordneten erlebt, der dafür vehement eingetreten ist, die Emissionsmenge zu senken. Jetzt ist die Reform des Emissionshandels beschlossen, und wir haben mit diesem Instrument gerade keine Chance, die Klimaziele zu erreichen. Da wünsche ich mir Ehrlichkeit.

Herr Köhler, wären Sie bereit, dafür einzutreten, das Cap des Emissionshandels zu senken, so dass es mit den Pariser Klimazielen konform ist?

Köhler: Da wäre ich klar mit dabei. Ich möchte aber nochmal betonen, dass der Emissionshandel funktioniert. Mit ihm konnten die Emissionen im Stromsektor gesenkt werden. Deshalb wird es auch in den Bereichen Verkehr und Gebäude funktionieren.

Nestle: Dir ist aber schon klar, dass dann das Cap  irre niedrig sein muss.

Köhler: Die Ziele des Pariser Klimaabkommens werden nachgeschärft werden. Da werden dann auch die CO2-Mengen zur Erreichung der Klimaziele 2030 und 2050 festgelegt. Wir können einen Emissionshandel so gestalten, dass diese Ziele erreicht werden, vor allem für die Sektoren Verkehr und Gebäude. Im Energiebereich ist schon viel erreicht worden.

Nestle: Das liegt aber in erster Linie am Ausbau der erneuerbaren Energien und nicht am Emissionshandel. Aber gut: Deutlich ist, dass wir beide etwas unternehmen wollen. Ich kann auch einen Emissionshandel akzeptieren, wenn er anspruchsvoll genug ist. Wieso kannst du dann nicht auch einen gesetzten CO2-Preis akzeptieren?

Mittlerweile ist die Kohle-Kommission vom Kabinett eingesetzt. Die Bundesopposition ist nicht in der Kommission repräsentiert. Ist das aus Ihrer beider Sicht ein Fehler?

Nestle: Ich finde das schon dreist. Entweder hat man das Parlament geschlossen dabei, oder aber nicht. Nur die Regierungsfraktionen mit hinein zu nehmen, ist keine gute Lösung.

Köhler: Da stimme ich mit dir 100 Prozent überein. Ich halte es auch strukturell für einen massiven Fehler. Die Frage nach dem Ausstieg aus der Kohle ist absolut drängend und wir müssen darüber diskutieren und zwar als Gesellschaft. Dazu gehören natürlich die Parteien, inklusive der Opposition.

Ein Thema, was die Kohle-Kommission angehen möchte, ist eine Reduzierung der Lücke zum 40 Prozent Ziel bis 2020. Die Lücke beträgt neuesten Berechnungen zufolge acht Prozentpunkte. Herr Köhler, wie viel Abschalten von Kohlekapazität gestehen Sie den Grünen bis 2020 denn zu?

Köhler: Da ist aus meiner Sicht eine gute Grundlage gewesen, was Jamaika festgelegt hat. Das waren fünf Gigawatt (GW).

Waren es nicht sieben Gigawatt?

Köhler: Die sieben GW waren etwas, was an diesem besagten Sonntagabend von der Kanzlerin nochmal vorgeschlagen wurde. Das war einer der Gründe, warum das Ganze gescheitert ist.

Nestle: Union und Grüne hatten sich auf sieben GW geeinigt. Wir hatten den Eindruck, dass die FDP auch mitgehen könnte. Es war aber noch nicht zugesagt. Die sieben GW hätten wir mindestens gebraucht.

Köhler: Wir als FDP sehen die Dringlichkeit des Kohleausstiegs. Gleichzeitig sind noch keinerlei Antworten auf die Fragen gefunden worden, was passiert, wenn 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht und wir es nicht schaffen, das Netz auszubauen.

Nestle: Die übernationalen Studien der Netzbetreiber sagen, dass elf Gigawatt abgeschaltet werden können, ohne dass es Probleme gibt. Wir dürfen die Versorgungssicherheit nicht national betrachten, sondern europäisch.

Köhler: Das Problem ist, dass die Annahmen, auf denen die Studien beruhen, nicht gesichert sind. Möglicherweise haben wir ein Potenzial zur Überkapazität in Deutschland. Aber was ist, wenn es mit dem Netzausbau stockt? Was passiert denn, wenn das Wirtschaftswachstum in Frankreich exponentiell steigt und damit auch der Energiebedarf explodiert? Wie können wir das austarieren?  Das scheint mir alles sehr unsicher.

Ein Thema, was der FDP immer wichtig ist, ist die sogenannte „Technologieoffenheit“ beim Klimaschutz. Frau Nestle, so lange die Klimaziele eingehalten werden, wäre Ihre Partei auch dafür zu gewinnen?

Nestle: Technologieoffenheit ist grundsätzlich ein gutes Konzept. Gerade im Verkehrsbereich wird derzeit auf EU-Ebene ein sehr wichtiges und technologieoffenes Instrument verhandelt: Der Flottenverbrauch von PKW und leichten Nutzfahrzeugen. Fraglich ist nur, ob wir da etwas Ambitioniertes hinbekommen. Dafür können FDP und Grüne jetzt gemeinsam kämpfen.

Köhler: Wir haben ja schon Grenzwerte und eine Diskussion darüber, wie hoch die sein müssen, weil die bestehenden offenbar nicht funktionieren. Das ist merkwürdig, dass du in diesem Fall bei dem bestehenden Instrument festhalten willst, beim Emissionshandel aber nicht, obwohl er im Stromsektor funktioniert. Ich bleibe dabei, dass es im Verkehrs- wie im Gebäudebereich einen Emissionshandel braucht. Damit ist die CO2-Menge festgelegt, aber der Weg dahin muss offen sein.

Nun ziehen Sie mal Bilanz: Klappt Jamaika 2021?  

Köhler: Bei den Zielen sind wir beide einer Meinung. Nur die Methoden müssen wir noch ausdiskutieren.

Nestle: Und über die verschiedenen Fakten müssen wir auch noch sprechen. Aber klar ist: Wir Grüne wollen den Klimaschutz aus der Regierung heraus voranbringen – und somit werden wir uns auf verschiedene Koalitionsoptionen vorbereiten.

Weitere Hintergründe zu diesem und anderen Themen aus dem Bereich Energie und Klima finden Sie bei Tagesspiegel Background - dem Entscheider-Briefing für den Energie- und Klima-Sektor. Sie können das Briefing hier kostenlos und unverbindlich testen.

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