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Bloß keinen offenen Konflikt: Kanzler Olaf Scholz (rechts) und sein Verteidigungsminister Boris Pistorius.

© Imago/NurPhoto/Emmanuele Contini

Update

Bundeswehrtagung und Wehretat: Bald knallt es zwischen Pistorius und Scholz

Wann wird Deutschland die versprochenen zwei Prozent ausgeben? Wenn Trump 2024 erneut US-Präsident wird und Pistorius 2025 Bundeskanzler.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

| Update:

Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit in der deutschen Verteidigungspolitik wächst. Und das wird über kurz oder lang zum Clash zwischen Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius führen.

Bislang bemühen sich Scholz und Pistorius, jeden Anschein von Konflikten zwischen ihnen in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Doch je näher die Bundestagswahl 2025 rückt, desto stärker wird der sachpolitische Konflikt um die Ausstattung der Bundeswehr durch eine nahezu unvermeidliche persönliche Konkurrenz aufgeladen.

Der Rückhalt für den Kanzler sinkt in den Umfragen. Pistorius ist der mit Abstand beliebteste Politiker der Koalition. Wenn die SPD auch die nächste Regierung führen will, so raunen viele in Berlin, kann das nur mit einem Kanzlerkandidaten Pistorius gelingen.

„Kriegstüchtigkeit“ als neues Ziel

Pistorius hat seine Ziele rund um die Bundeswehrtagung unmissverständlich definiert. Deutschland muss zum „Rückgrat der Abschreckung in Europa“ werden. Deutschland muss „Kriegstüchtigkeit“ erlernen. Deutschland muss „sicherheitspolitisch erwachsen werden“ – was das Eingeständnis beinhaltet, dass es das bisher nicht ist.

Das alles kostet Geld. Der Kanzler jedoch weckt mit seinem Verhalten den Verdacht, dass er die zentralen Versprechen seiner Zeitenwende-Rede längst wieder scheibchenweise einkassiert hat. Auf der Bundeswehrtagung versprach er, die Zwei-Prozent-Zusage dauerhaft zu erfüllen, „die ganzen 20er Jahre über, die 30er“. Beim Blick in die Haushalte 2022, 2023, 2024 und die Finanzplanung belegt das nicht.

„Wir werden ein Sondervermögen Bundeswehr einrichten“ und „einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten“, hatte Scholz wenige Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine versprochen. Und: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“

Die Zeitenwende scheibchenweise einkassiert

An dieser Zusage wird Deutschlands international gemessen, darunter auch seine Verlässlichkeit als Nato-Partner. Doch in keiner Haushaltsplanung seit dem tiefen Einschnitt des Kriegsbeginns im Februar 2022 finden sich diese „Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent“. Weder in den jährlichen Budgets noch in der mittelfristigen Finanzplanung.

Anfangs hatte Scholz den Eindruck erweckt, er habe eine doppelte Zusage gegeben: Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent plus das Sondervermögen. Als der Bundestag kurz darauf im März 2022 über den laufenden Haushalt und die Finanzplanung beriet, war von einer Erhöhung des Wehretats nichts zu sehen.

Nun hieß es, das Sondervermögen sei nicht zusätzlich zu den zwei Prozent gemeint gewesen. Sondern wenn man es auf vier bis fünf Jahresraten von 20 bis 25 Milliarden aufteile, dann ergeben sich aus der Summe des Wehretats, der bei gut 50 Milliarden oder 1,4 Prozent gedeckelt bleibe, plus dieser Rate eine Summe, die in etwa zwei Prozent entspreche.

In den Haushaltsberatungen 2023 fehlte erneut jeder Hinweis, wie Deutschland dauerhaft auf die versprochenen mehr als zwei Prozent kommen möchte. Dieses Vorgehen ist das Gegenteil von Pistorius Forderung, deutsche Verteidigungspolitik erfordere „ambitionierte, glaubhafte, realistische Planungen“.

Der böse Verdacht der Alliierten, dass Deutschland die neue Bedrohungslage noch immer nicht akzeptieren will, wird durch eine auffallende Diskrepanz genährt: Bei anderen Versprechen der Zeitenwende-Rede geht die Koalition viel konsequenter vor – und scheut auch keine Ausgaben.

Zum Beispiel die Abkehr von Energieimporten aus Russland. Hält es irgendjemand für denkbar, dass eine Bundesregierung sich in den kommenden Jahren wieder in hohe Abhängigkeit von russischem Gas und Öl begibt?

Das Verteidigungsbudget ist das krasse Gegenbeispiel. Obwohl der Krieg in der Ukraine noch tobt und weitere Bedrohungen hinzugekommen sind, hält ein Gutteil der deutschen Politiker an der Illusion fest, das Land könne seine Sicherheit auch mit deutlich weniger als zwei Prozent vom BIP finanzieren. Weil sie die politischen Kämpfe und Mühen einer im Grunde sehr überschaubaren Umschichtung im Haushalt fürchten.

In Anlehnung an ein berühmtes Zitat könnte man spotten: „Niemand hat die Absicht, auf zwei Prozent zu kommen.“ Ist der Schock noch immer nicht groß genug, um den deutschen Unwillen zum Umdenken zu überwinden?

Vielleicht braucht es wirklich erneut einen US-Präsidenten Donald Trump nach der Wahl 2024 und einen Bundeskanzler Boris Pistorius 2025, um Deutschland aus seinen sicherheitspolitischen Tagträumen zu wecken.

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