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Hubert Aiwanger ist Bundesvorsitzender der Freien Wähler. Am 8. Oktober wird in Bayern gewählt.

© dpa/Daniel Löb

Update

Bruder soll Flugblatt verfasst haben: Aiwanger weist Antisemitismus-Vorwürfe zurück

Bayerns Vize-Ministerpräsident soll einem Bericht zufolge als 17-Jähriger ein Hetzflugblatt verfasst haben. Aiwanger dementiert: „Mein Bruder war es.“ Söder fordert Aufklärung.

| Update:

Mitten im bayerischen Landtagswahlkampf sieht sich der Chef der Freien Wähler, Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger, Vorwürfen ausgesetzt, er habe als 17-jähriger Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst.

Aiwanger ließ über einen Sprecher zunächst am Freitagabend noch ausrichten, dass „er so etwas nicht produziert“ habe und „gegen diese Schmutzkampagne im Falle einer Veröffentlichung vorgehen“ werde. Partei und Fraktion äußerten sich zunächst nicht.

Am Samstagnachmittag dementierte Aiwanger nach Informationen des Tagesspiegels vor der eigenen Landtagsfraktion, dass er das Flugblatt geschrieben habe. Außerdem ließ er über seinen Sprecher mitteilen:  „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend. Weiter hieß es in einer schriftlichen Erklärung, die dem Tagesspiegel vorliegt: „Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären.“

Aiwanger: „Mein Bruder war es“

Später bestätigte Hubert Aiwanger dem Tagesspiegel: „Mein Bruder war es.“ Der Bruder selbst teilte in einer Stellungnahme am Abend mit: „Ich bin der Verfasser des in der Presse wiedergegebenen Flugblattes.“ Er erklärte weiter, dass er sich in jeder Hinsicht „von dem unsäglichen Inhalt“ distanziere und sehr die Folgen dieses Tuns bedauere.

„Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war. Ich war damals noch minderjährig.“ 

Aiwanger sagte am Abend dem Tagesspiegel: „Ich bin schockiert, mit welchen Methoden hier gearbeitet wurde und wird. Hausaufgabenhefte mit kriminalistischen Methoden zu überprüfen und Leute 40 Jahre später damit erledigen zu wollen.“

Söder fordert vollständige Aufklärung

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte umgehende und vollständige Aufklärung: „Es sind schlimme Vorwürfe im Raum. Dieses Flugblatt ist menschenverachtend, geradezu eklig.“ Die zentrale Forderung an seinen Stellvertreter Aiwanger sei daher, „die Dinge einfach zu klären und öffentlich zu erklären“, sagte er am Rande eines Termins in Augsburg, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete. Aiwanger sollte eigentlich auch zu dem Termin auf einem Volksfest kommen, erschien aber nicht.

Markus Söder, (CSU) Ministerpräsident von Bayern, fordert seinen Stellvertreter auf, „die Dinge einfach zu klären und öffentlich zu erklären“.
Markus Söder, (CSU) Ministerpräsident von Bayern, fordert seinen Stellvertreter auf, „die Dinge einfach zu klären und öffentlich zu erklären“.

© dpa/Peter Kneffel

Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) hatte zuvor in ihrer Wochenendausgabe über ein Flugblatt berichtet, das Aiwanger verfasst haben soll. Im Schuljahr 1987/88 habe das Burkhardt-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg in Niederbayern an einem Erinnerungswettbewerb „Deutsche Geschichte“ teilgenommen.

Dem Bericht zufolge soll der heute 52-jährige Aiwanger damals eine Art Preisausschreiben erfunden haben – mit der Überschrift „Wer ist der größte Vaterlandsverräter“? Bewerber sollten sich „im Konzentrationslager Dachaus zu einem Vorstellungsgespräch“ melden.

Ein Weggefährte Aiwangers sagt, er sei ihm nie als antisemitisch aufgefallen

Im Flugblatt, das die SZ veröffentlicht hat und das in sozialen Medien geteilt wird, werden zu „gewinnende Preise“ aufgelistet. Es heißt etwa: „1. Preis: Ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“ oder „Ein lebenslänglicher Aufenthalt im Massengrab.“

Der Zeitung zufolge, die nach eigenen Angaben mit mehreren Personen zu dem Fall gesprochen hat, habe ein Lehrer ausgesagt, man habe Aiwanger damals als überführt betrachtet. Es habe aufgrund des Vorfalls ein Disziplinarverfahren gegeben, die Kopien des Flugblatts seien in Aiwangers Tasche gefunden worden.

In der Erklärung, die Aiwanger am Samstagabend verbreiten ließ, hieß zu den Flugblättern in der Tasche: „Bei mir als damals minderjährigen Schüler wurden ein oder wenige Exemplare in meiner Schultasche gefunden.“ Daraufhin sei er zum Direktor einbestellt worden. Man habe ihm mit der Polizei gedroht, wenn er den Sachverhalt nicht aufkläre.

Aiwanger weiter: „Meine Eltern wurden in den Sachverhalt nicht eingebunden. Als Ausweg wurde mir angeboten, ein Referat zu halten. Dies ging ich unter Druck ein. Damit war die Sache für die Schule erledigt. Ob ich eine Erklärung abgegeben oder einzelne Exemplare weitergegeben habe, ist mir heute nicht mehr erinnerlich. Auch nach 35 Jahren distanziere ich mich vollends von dem Papier.“

Aiwanger hat die Freien Wähler erstmals 2008 in den bayerischen Landtag geführt. Damals musste die bis dato immer allein regierende CSU einen Koalitionspartner suchen – und entschied sich für die FDP. Seit 2018 regieren die Freien Wähler mit der CSU, der Aiwanger einst „die Arroganz und Allmacht“ austreiben wollte.

Auf Nachfrage des Tagesspiegels sagte ein politischer Weggefährte Aiwangers, dieser habe zwar immer wieder ausländerfeindliche Tendenzen gezeigt, sei ihm aber „nie antisemitisch oder mit Verehrung für das ‚Dritte Reich‘“ aufgefallen.

Der bayerische Vize-Ministerpräsident verwendet im aktuellen Bayern-Wahlkampf vor allem bei Reden in Fest- und Bierzelten eine populistische Sprache. So hat Aiwanger bei einer Veranstaltung in Erding davon gesprochen, dass die schweigende Mehrheit sich die Demokratie wieder zurückholen müsse.

Aiwanger verteidigt seine populistische Sprache mehrfach

Im TV und bei anderen Anlässen hat Aiwanger seine Worte verteidigt und gesagt, es vergehe kein Tag, an dem ihm nicht jemand sagt, er habe ihm aus der Seele gesprochen.

Nach Informationen des Tagesspiegels aus dem Umfeld von Söder ist dieser über die Art und Weise der Reden Aiwangers selbst irritiert.

Markus Söder (CSU), rechts, beobachtet als bayerischer Ministerpräsident sehr genau, was sein Vize von den Freien Wählern, Hubert Aiwanger, sagt.
Markus Söder (CSU), rechts, beobachtet als bayerischer Ministerpräsident sehr genau, was sein Vize von den Freien Wählern, Hubert Aiwanger, sagt.

© dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Im bayerischen Landtag warfen ihm die Grünen und die SPD Populismus vor, er sei „ein Brandstifter“, rief die bayerische Grünen-Chefin und Spitzenkandidatin Katharina Schulze.

SPD fordert Sondersitzung des Landtags, der in Sommerpause ist

Aus der Politik kamen umgehend aus fast allen Richtungen Forderungen nach Konsequenzen. Die SPD-Fraktion beantragte eine Sondersitzung des Bayerischen Landtags, der in der Sommerpause ist.

SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sagte einer Mitteilung zufolge: „Das Flugblatt ist Rechtsextremismus der untersten Schublade, das die Millionen Opfer des Holocausts und der Nazi-Diktatur auf das Übelste verunglimpft.“

Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze und Ludwig Hartmann sagten einer Mitteilung zufolge: „Wenn die Vorwürfe sich bewahrheiten, dann muss Markus Söder Hubert Aiwanger entlassen.“ Für die FDP forderte Fraktionsvorsitzender Martin Hagen: „Hubert Aiwanger muss sich persönlich erklären und die Vorwürfe ausräumen.“

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Die CSU ist ohnehin alarmiert, weil die Umfragen die Partei unter 40 Prozent sehen. Die AfD wiederum ist auch in Bayern erstarkt und liegt zwischen 13 und 15 Prozent, während die Freien Wähler zwischen zwölf und 14 Prozent liegen. Die Grünen kommen auf 14 Prozent, die SPD auf zehn und die FDP auf vier Prozent.

Allerdings wollen CSU und Freie Wähler die Koalition nach der Wahl am 8. Oktober fortsetzen. Politische Beobachter gehen davon aus, dass Söder nicht mit den Grünen zusammengehen wird, solange die Ampel mit den Grünen im Bund regiert.

Aiwanger hat im Wahlkampf immer wieder erklärt, er sei der Garant dafür, um die AfD kleinzuhalten. Das Starkmachen der Rechten hält er auch für eine Taktik der Linken, „um die Grünen an die Regierung zu bringen“. Eine langjährige politische Beobachterin der bayerischen Politik, die immer wieder auch mit Aiwanger gesprochen hat, sagt, er sehe sich als „legitime Stimme und Sprachrohr der normalen Menschen“, aus dem Zuspruch dieser Leute gewinne er seine Kraft.

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte: „Sollten die Vorwürfe zutreffen, ist Herr Aiwanger aus meiner Sicht als stellvertretender Ministerpräsident von Bayern und anderer Ämter untragbar“, sagte Klein der „Bild am Sonntag“. „Derartige menschenverachtende Äußerungen über Opfer des Holocaust dürfen von niemandem – auch nicht Jugendlichen – geäußert werden“, sagte Klein demnach. „Dies muss Konsens aller demokratischen Parteien sein.“

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