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Stephan Steinlein ist nun zum zweiten Mal deutscher Botschafter in Frankreich.

© dpa/Soeren Stache

Der deutsch-deutsche Diplomat: Theologe Steinlein ist als einziger Mann zweimal als Botschafter in Paris

1990 war Stephan Steinlein für die DDR in der französischen Hauptstadt, nun für die Bundesrepublik. Mit seiner Erfahrung hat er das Potenzial, Paris und Berlin einander wieder näherzubringen.

Stephan Steinlein – wer den Namen bis jetzt noch nicht kannte, sollte ihn sich merken. Dieser Ostdeutsche hat es weit gebracht. Er schreibt Geschichte.

Der studierte Theologe wird als einziger deutscher Diplomat der Nachkriegszeit für zwei Staaten auf demselben Posten gewesen sein: in Paris, für die DDR einst und für die Bundesrepublik heute. Eine deutsch-deutsche, staunenswerte Karriere. Steinlein war mehr als zwei Jahrzehnte an der Seite Frank-Walter Steinmeiers, in dessen Zeit als Kanzleramtschef, als Außenminister und als Bundespräsident.

Jetzt, zurückgekehrt in den diplomatischen Dienst, ist der gebürtige Brandenburger Steinlein Botschafter in der Stadt seiner Träume – der Träume schon zu DDR-Zeiten.

Mit 29 Jahren aus Finsterwalde an die Seine

1990 wurde er als 29-Jähriger zum letzten Botschafter der DDR in Paris ernannt. Und das kam so: Stephan Steinlein, Sohn eines widerständigen Superintendenten aus Finsterwalde, der zeit seines Lebens gegen jede Anpassung der evangelischen Kirche an das SED-Regime aufgetreten war, ging nach den Massenprotesten gegen die DDR Anfang 1990 nach Straßburg. Er hatte bis 1987 im „Sprachenkonvikt“ in Ost-Berlin studiert, hatte das Vikariat absolviert, wollte in Straßburg in Theologie promovieren. Dort lernte er auch seine zukünftige Frau kennen – eine, genau, Französin.

Frankreich wurde endgültig seine Liebe. Nach den ersten demokratischen Wahlen in der DDR im März 1990 wurden viele, mit denen Steinlein verbunden war, aus der Opposition heraus auf Positionen des langsam versinkenden Staates berufen.

Paris ist auch Steinleins Stadt.
Paris ist auch Steinleins Stadt.

© IMAGO/Zoonar

Der neue Außenminister Markus Meckel, auch er ein Theologe, Pfarrer in Magdeburg, musste so viele Auslandsposten neu besetzen, alle mit unbelasteten Personen. Er suchte sie natürlich nicht zuletzt im Kreis seiner Kirche. „Und so wurde Stephan dann Botschafter in der DDR“, erzählte Meckel im ZDF.

Einer von Steinleins Kommilitonen aus dem „Sprachenkonvikt“, inzwischen Staatssekretär im Außenministerium, war es, der ihn fragte, ob er nicht Botschafter in Paris werden wolle. Und wie Steinlein wollte; er wollte doch das Land noch viel besser kennenlernen als aus den Filmen von Louis de Funès, die das DDR-Fernsehen zeigen durfte und die er alle gesehen hatte, naturellement!

Für die Akkreditierungszeremonie fehlte die Zeit

Zu der Zeit dachten die Offiziellen noch, auch die im Westen, dass bis zur Wiedervereinigung Jahre ins Land gehen würden. Steinlein amtierte dann am Ende doch nur sechs Wochen als DDR-Botschafter. Sein Akkreditierungsschreiben von damals konnte er nicht mehr übergeben. Er hat es noch, fein säuberlich aufbewahrt, hinter Glas, und zeigt es bei ihrer offiziellen Begegnung auch Staatspräsident Emmanuel Macron. Ehe der ihm dann Agrément erteilt, die Erlaubnis, als Botschafter wirken zu dürfen.

Er wusste, was Steinmeier dachte und wollte

Das alte Schreiben wird ins Museum der deutschen Geschichte kommen, das neue rundet seine Karriere im diplomatischen Dienst ab. Denn noch 1990 begann Steinlein als einer aus dem ersten gesamtdeutschen Jahrgang seine Attaché-Ausbildung, seinerzeit im Auswärtigen Amt in Bonn. Er lernte auch den Umgang mit der Presse, in der Ministeriums-Pressestelle, was ihm von Nutzen war, als Steinmeier 1999 Chef des Bundeskanzleramts unter Gerhard Schröder wurde. Referent, Büroleiter, Leiter Leitungsstab – Steinlein wusste, was Steinmeier dachte und wollte.

Der damalige Außenminister Steinmeier (rechts) und sein Staatssekretär Steinlein 2015 im Auswärtigen Amt.
Der damalige Außenminister Steinmeier (rechts) und sein Staatssekretär Steinlein 2015 im Auswärtigen Amt.

© Mike Wolff/Tagesspiegel

Und als der für den Kanzler angesichts der Millionen Arbeitslosen eine neue Politik erdenken wollte, da dachte Steinlein mit und vor: Die berühmte Agenda 2010 mit ihren Arbeitsmarktreformen ging aus dem „Kanzleramtspapier“ hervor, das zuvor in einer Klausur entstanden war. Sozialdemokrat war Steinlein bis dahin nicht, er wurde es erst, als viele der Partei eben wegen der Agenda 2010 den Rücken kehrten.

Wolfgang Ullmann war sein Leitstern

Länger vorher schon war Wolfgang Ullmann sein Leitstern, der große Theologe und Philosoph, im September 1989 einer der Gründer von „Demokratie Jetzt“ und kurzzeitig unter Hans Modrow Minister ohne Geschäftsbereich in der DDR. „Demokratie Jetzt“ ging später im Bündnis 90/Die Grünen auf, für die Ullmann Abgeordneter wurde. Steinlein war bei ihm Doktorand.

Wolfgang Ullmann, lange ein wichtiger Mensch für Steinlein.
Wolfgang Ullmann, lange ein wichtiger Mensch für Steinlein.

© Götz Sehteser

Steinlein machte dann Karriere hinter und mit Frank Walter-Steinmeier. Er wurde selbst Staatssekretär des Auswärtigen Amts und später des Präsidialamts. Er folgte Steinmeier auch als Büroleiter in die SPD-Bundestagsfraktion, deren Vorsitz sich dieser nach seiner misslungenen Kanzlerkandidatur 2009 sicherte. Die Posten wechselten, die Aufgaben nicht: Steinlein dachte vor und nach, und organisierte das Denken.

Die Einbeziehung Russlands in die Friedensarchitektur war im Grundsatz richtig

Er ist auch ein Fachmann für Mittel- und Osteuropa, war früher Referent an der Botschaft in Warschau. Vor dem Hintergrund findet Steinlein bis heute, dass der Ansatz einer deutschen Osteuropapolitik unter Einbeziehung Russlands in eine große Friedensarchitektur richtig war – aber selbst die besten Ansätze, Vorsätze können scheitern. Er sieht das, weiß das, gibt es zu. Nur bleibt das grundsätzlich die Aufgabe auch der Diplomatie: Neues zu denken, immer wieder, gegen Widrigkeiten, um Chancen zu schaffen.

Das kann und wird Steinlein jetzt in Paris. Er kann Macron einen Freund nennen, und mit dem Land hat er sich mehr als angefreundet. Alle vier Kinder haben in Frankreich studiert, die Familie verbrachte in den vergangenen 30 Jahren fast alle Ferien – mindestens die im Sommer - in Frankreich. Gerne in Südfrankreich; spielten nicht auch viele Filme von de Funès dort?

Offizier der französischen Ehrenlegion

Seit Januar 2022 ist er Offizier der französischen Ehrenlegion, seine Rede auf Französisch rührte auch die anwesenden hohen Emissäre: „Wenn es eine zweite Heimat gibt, dann ist Frankreich für mich eine solche geworden.“

Die vergangenen Monate bis zum Amtsantritt hat Steinlein „in Postenvorbereitung“ verbracht, in St. Gallen an der Universität und in Genf. Dort wollte er für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das IKRK, arbeiten, weil es für ihn immer ein wichtiger Ansprechpartner in Krisen und Kriegen war. Steinleins Großmutter stammte aus Genf, kam nach Berlin.

Der 62-Jährige ist auf Posten – in jeder Hinsicht. Er denkt sich seinen Teil, wie eigentlich immer. Was Steinlein denkt, kann Paris und Berlin wieder enger zusammenbringen. Denn Tatsache ist, dass die Differenzen immer mal wieder augenfällig werden – ob es nun um Rüstung, Währung oder Energie geht.

Und wenn es bisher Missverständnisse gegeben haben sollte zwischen Berlin und Paris - diese Gefahr besteht bei Stephan Steinlein nicht. Er versteht beide Seiten wie kein Zweiter und wird außerdem alles tun, beim jeweils anderen um Verständnis zu werben.

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