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Plenarsitzung im Europäischen Parlament in Brüssel: Geißeln des „grünen Verbotswahnsinns“.

© dpa/Hatim Kaghat

Empörung als politisches Prinzip: Wir sind auf dem besten Weg, das konstruktive Streiten zu verlernen

Die Politik befindet sich zunehmend im Dauermodus der Aufregung. Das aber führt nicht zu Lösungen und ist am Ende eine Gefahr die Demokratie.

Ein Kommentar von Knut Krohn

Die Empörung gehört zum Kerngeschäft der Politik. Debatten im Parlament und vor allem der Wahlkampf leben davon, dass Themen zugespitzt werden und gestritten wird. Die Demokratie ginge zugrunde, würde sie allein der Akten-lastigen, emotionslosen Arbeit der unzähligen Fachausschüsse im Politikbetrieb überlassen.

Doch was passiert, wenn die Empörung zum Dauerzustand wird? Wenn in der Auseinandersetzung mit der parlamentarischen Konkurrenz die Sache zu oft in den Hintergrund tritt und das Schüren von Emotionen bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum politischen Instrument wird? Es droht das Ende der demokratischen Verständigung.

Ein unrühmliches Beispiel ist der aktuelle Streit um die drohende Verschärfung der Führerscheinregeln in der EU. Die Aufregung ist gewaltig, plant die EU doch vermeintlich einen Angriff auf eine Liebe der Deutschen: das Auto.

Kein Dialog bei Verschärfung von Führerscheinregeln

Eine französische Grünen-Abgeordnete hatte im Verkehrsausschuss des Parlaments ein Diskussionspapier vorgelegt. Ein Tempolimit und andere Einschränkungen stehen im Raum.

Im Internet verbreitete sich diese Nachricht rasend schnell und traf dort auf eine Gesellschaft, die sich durch die Beschleunigung in der Mediendemokratie generell in einem Zustand beständiger Nervosität befindet.

Erstaunlich ist, dass auch mancher EU-Abgeordneter auf dieser Empörungswelle über eine vermeintlich übergriffige Europäische Union ritt, anstatt die Debatte einzuordnen und zu versachlichen.

Empörung als Strategie?

Denn schon im Verkehrsausschuss zeigte sich, dass die Vorschläge der Grünen-Parlamentarierin praktisch keine Chance auf Verwirklichung haben werden. Danach wird das Thema auch noch im gesamten Parlament diskutiert und am Ende hat der Rat noch ein gewichtiges Wort mitzureden.

Für manche EU-Abgeordnete war die Gelegenheit allerdings zu verlockend, in der allgemeinen Aufregung wohl wissend die politischen Realitäten auszublenden und den „grünen Verbotswahnsinn“ zu geißeln.

Wer sich empört, der will nicht reden, sondern konstruiert ein Feindbild.

Knut Krohn, EU-Korrespondent

Es mag auf den ersten Blick eine attraktive Strategie sein, die politischen Gegner auf diese Weise zu attackieren. Die Likes im Internet belegen, dass sie ungemein mobilisierend wirkt, wenn auch meist nur auf die eigene, ebenfalls empörte politische Gefolgschaft.

Wer sich empört, stellt sich moralisch über die Gegenseite, der will nicht reden, sondern konstruiert ein Feindbild. Am Ende geht es nicht um die Sache, sondern darum, eine Sache zu erledigen.

Diese permanente Empörung ist aber eine Gefahr für den offenen, auf Dialog ausgerichteten, nach einem Kompromiss suchenden politischen Diskurs. Der konstruktive Streit über angemessene, differenzierte politische Antworten ist in dieser Zeit der multiplen Krisen jedoch essenziell. Im Moment ist unsere Gesellschaft allerdings auf dem besten Weg, diese konstruktive Art des Streitens zu verlernen.

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