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Pride Parade - mit Stolz für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi-, Inter- und transsexuellen und queeren Menschen (LGBTIQ+)..

© picture alliance / Sebastian Scheiner/AP/dpa / SEBASTIAN SCHEINER

Die Proteste in Israel werden zur Herausforderung : Ein schmaler Grat für die Bundesregierung

Tausende demonstrieren von Haifa bis Tel Aviv: für den Rechtsstaat - und für die Rechte von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten. Die Kritik an der Regierung Netanjahu wächst. Auch hier in Deutschland.

Eine Kolumne von Stephan-Andreas Casdorff

Wer glaubt, die Sache werde mit der Zeit womöglich einfacher, irrt: die deutsch-israelischen Beziehungen. Was grundsätzlich ja bewährt ist, seit Jahrzehnten, gerät täglich mehr unter Druck. Denn im Land selbst hat sich eine derartige Unruhe über die gesellschaftlichen Zustände unter der Regierung Benjamin Netanjahus entwickelt, dass das Maßhalten in der Beurteilung der Politik Israels eine Herausforderung wird.

Jüngste Fälle zeigen das. So haben Tausende Menschen – die Rede ist von 30.000 – an einer Pride-Parade in Jerusalem teilgenommen. Es wurden Regenbogenflaggen geschwenkt und auf Plakaten Forderungen nach gleichen Rechten für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans, inter und queere Menschen (LGBTIQ+) erhoben.

Im zunehmend religiös dominierten Jerusalem wollten gut drei Viertel der Einwohner nichts damit zu tun haben, mehr als die Hälfte wegen der Heiligkeit des Ortes. Und etwa 21 Prozent unterstützten die Parade – sie war die erste für die Rechte sexueller und geschlechtlicher Minderheiten. Weitere werden folgen.

Zumal diese Paraden zugleich Demonstrationen gegen den rechtsreligiösen Kurs von Premier Netanjahu sind. Es geht gegen die Machtausdehnung der Regierung durch die geplante Justizreform.

Demonstrierende Israelis warnen vor einer Staatskrise

Dass das Parlament künftig mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Obersten Gerichts aufheben können und die Regierung die Kontrolle über die Ernennung von Richtern am Obersten Gerichtshof bekommen soll, treibt die Menschen auf die Straße. Gegner:innen dieser Pläne sehen die Gewaltenteilung in Gefahr und warnen vor einer Staatskrise.

Woche für Woche protestieren dagegen Tausende – und jetzt werden es noch mehr. „Es gibt in Israel nicht einen Kampf für die Demokratie und einen anderen für die Rechte von LGBTIQ+“, sagt Oppositionsführer Yair Lapid. „Es ist der gleiche Kampf, gegen die gleichen Feinde, im Namen der gleichen Werte.“

Der Finanzminister erklärt sich zum „stolzen Homophoben“

Werte, die Polizeiminister Itamar Ben-Gvir nicht teilt. Er hat schon an Protesten religiöser Extremisten gegen die Pride-Parade teilgenommen.

Nie stand eine Regierung in Israel weiter rechts. Die Ultraanationalisten und Ultrareligiösen lehnen Gesetzesänderungen zugunsten nicht heterosexueller Menschen als Verstoß gegen religiöse Gebote ab. Mehrere Minister sind offen homophob. Finanzminister Bezalel Smotrich etwa hat sich zum „stolzen Homophoben“ erklärt.

Stimmen, die sich dafür aussprechen, die sich grundlegend verändernde israelische Demografie mit einem Erstarken des orientalischen, vergleichsweise religiöseren Judentums genauer zu betrachten, werden kaum gehört. Dabei steht das aschkenasische Israel mit seinen humanistischen Idealen im Kampf mit den Religiösen. So beschreibt es der Wissenschaftler Michael Wolfssohn.

Dazu gehört, dass der Likud, die Partei von Netanjahu, als einzige zur Brücke zu den Nationalreligiösen und Orthodoxen wird. Netanjahus Worten, er werde Rechte von LGBTQ+-Menschen schützen, wird dennoch kein Glaube geschenkt. Schon im Land nicht.

Das alles führt zu einem immer geringeren Verständnis in Deutschland für Israel, mit der Gefahr eines zunehmend antisemitischen Ressentiments. Dessen muss die Bundesregierung Herr werden: durch vermehrte Kontakte, Information, den Versuch, im besten Sinne Einfluss zu nehmen. Die Rechte sexueller und geschlechtlicher Minderheiten zu wahren, wäre ein verbindender Ansatzpunkt. Und würde zeigen, dass die deutsche Regierung keinerlei Anlass gibt, die israelische zu dämonisieren.

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