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Ein Autofahrer in München hängt an einer Tankstelle eine Zapfpistole in die Zapfsäule.

© Foto: dpa/Lennart Preiss

Unvernünftig kompliziert: Bürgergeld, Tankrabatt, Gaspreisdeckel – geht’s nicht ‘ne Nummer einfacher?

Im Bestreben, Klimabelange und soziale Gerechtigkeit zu optimieren, erfindet die Politik immer komplexere Konzepte. Das kostet Zeit sowie Geld – und überfordert oft die Verwaltung.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Deutschen sind eine Nation von Tüftlern und Erfindern. Doch ihre Politiker gehen beim „Social Engineering“ womöglich nicht ganz so genial vor wie Ingenieure und Arbeiter beim Bau von Autos und Maschinen.

Ob Bürgergeld, Wohngeld oder die Entlastungspakete gegen den Preisschub, es fällt vor allem eines auf: Eine Hilfe, die die Bedürftigen rasch und transparent erreicht und für die Verwaltung mit den vorhandenen Kräften umsetzbar ist, kriegen die Deutschen nicht hin.

Dabei gehört das Tempo der Hilfe zum Kern sozialer Gerechtigkeit. Geduldiges Warten können sich am ehesten die Wohlhabenden leisten.

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Die Umsetzung zentraler Ideen des Bürgergelds soll auf den 1. Juli 2023 verschoben werden. Immerhin soll die Not lindernde Anhebung des Regelsatzes weiter zum 1. Januar kommen.

Die Verzögerung liegt nicht allein daran, dass die Union, deren Zustimmung die Regierung benötigt, Einwände gegen das Konzept hat. Bereits bevor der Streit in das Vermittlungsverfahren ging, war klar, dass die Jobcenter personell nicht in der Lage sind, die vielfältigen Voraussetzungen für Millionen Haushalte ab Jahresbeginn zu prüfen. Sie sind mit der Betreuung von Arbeitssuchenden und Ukraine-Flüchtlingen ausgelastet und müssen erst mehr Personal finden und einarbeiten.

Pragmatisch und rasch umsetzbar kann die deutsche Politik nicht

Wie viel Aufwand und Kosten will sich die Gesellschaft leisten, um durch eine Fülle von Anforderungen – vielleicht – etwas mehr Gerechtigkeit zu erreichen? Wäre es sinnvoller, ein gewisses Maß an Streuverlusten hinzunehmen, wenn das die Verwaltungsarbeit und den Zeitverlust für Betroffene spürbar senkt? Gemünzt auf das Vermittlungsverfahren: Geht’s nicht ’ne Nummer kleiner?

Zuvor fiel Deutschland im EU-Vergleich dadurch auf, dass es Tankrabatt und Gaspreisbremse viel später als Frankreich, Italien oder Spanien einführte – aber aus deren Erfahrungen nicht lernen wollte, sondern eine nationale Lösung suchte, als müsse es das Rad neu erfinden.

Auch hier war das Muster: Pragmatisch, transparent und rasch umsetzbar kann oder will die deutsche Politik nicht. In Spanien zieht der Tankwart an der Kasse 25 Cent pro Liter ab. Deutschland erfand Steuerrabatte für Mineralölkonzerne mit unterschiedlichen Sätzen für Benzin und Diesel. Das führte zu allgemeinem Frust. Die Bürger klagten, der Vorteil werde nicht an sie weitergegeben.

In Sachen Gaspreis verfolgte die Ampel erst eine komplizierte Gasumlage, deren Details am Ende nur noch Spezialisten verstanden. Wirtschaftsminister Robert Habeck schwenkte zum Preisdeckel um. Aber nicht zu dem simplen Modell wie in Frankreich oder Spanien.

Abermals wurden parteipolitisch motivierte Zusatzanforderungen drauf gepackt, die die Einführung beträchtlich verzögern. Die Grünen forderten einen zusätzlichen Anreiz zum Energiesparen – als wären die exorbitant gestiegenen Preise nicht Antrieb genug.

So wird die Entlastung in diesem Winter nicht mehr greifen, weil die Energieversorger Verbrauchsdaten aus dem Vorjahr bereitstellen sollen, um die politisch gewünschte Aufteilung in 80 Prozent subventioniertes Gas und 20 Prozent zum höherem Marktpreis zu ermöglichen. Das braucht Zeit.

Muss das sein? Deutsch als Synonym für überkompliziert, langsam und in der Folge nicht fair für die Bürger? Es ist ein Irrweg, wenn jede Partei überall eine für die eigene Identität wichtige Zusatzanforderung drauf packen möchte – die Grünen oft Klimabelange, die SPD meist den Ruf nach sozialer Gerechtigkeit, ohne Rücksicht darauf, was der Aufbau von Behörden zur Erhebung der individuellen Daten kostet. Einen Abgleich vorhandener Daten zwischen Finanz- und Sozialverwaltung verbietet der Datenschutz.

Es ist ja richtig: Das Prinzip Gießkanne ist weder effektiv noch gerecht. Besserverdiener kommen auch ohne staatliche Hilfe durch die Krise.

Richtig ist aber auch: Wenn die Suche nach Perfektion gebotene Hilfe um Monate verzögert und die Verwaltungskosten unvernünftig steigert, ist rasche, simple und transparente Unterstützung für alle das kleinere Übel.

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