zum Hauptinhalt
Minister Hubertus Heil während der Debatte im Bundestag.

© REUTERS / Foto: Reuters/Michele Tantussi

„Mit dieser Arroganz werden Sie scheitern“: Der Streit ums Bürgergeld ist noch lange nicht beendet

Im Bundestag entbrannte eine hitzige Debatte über das Bürgergeld. Die Reform wurde verabschiedet, doch das Kapitel ist noch nicht abgeschlossen. Nächste Bühne: der Bundesrat.

Der Bundestag hat das geplante Bürgergeld am Donnerstag endgültig beschlossen – politisch klar ist damit aber noch lange nichts. Mit einer Blockade der Union im Bundesrat ist zu rechnen, Regierung wie Opposition geben sich politisch rauflustig. In entsprechendem Tonfall wurde die abschließende Debatte im Parlament ausgetragen, inklusive persönlicher Spitzen.

So etwa von der grünen Fraktionschefin Britta Haßelmann an die Adresse von CDU-Fraktionschef Friedrich Merz. Der war bekanntermaßen im Sommer im Privatflugzeug bei der Hochzeit von Finanzminister Christian Lindner eingeflogen. Haßelmann nutzte das als Vorlage.

Wer sich überlegen müsse, ob er mit Privatjet, Auto oder Zug zu einer Party düse, der könne sich eben nicht hineinversetzen in eine alleinerziehende Frau, für die die Frage sei, ob in der Eisdiele mehr als drei Kugeln für ihre drei Kinder drin seien. Haßelmann warf Merz außerdem vor zu „kneifen“: In Sachen Bürgergeld hatte der zuletzt großzügig in Richtung der Ampel ausgeteilt, trat nun im Parlament aber nicht ans Rednerpult.

Tiefpunkt jeglicher demokratischer Debatte

Der CDU-Abgeordnete Marc Biadacz

Die Attacken auf die Regierungskoalition übernahmen andere. So sprach der CDU-Abgeordnete Marc Biadacz von einem „Tiefpunkt jeglicher demokratischer Debatte“, weil SPD-Chef Lars Klingbeil kürzlich Merz vorgeworfen hatte, beim Thema Bürgergeld mit der Verbreitung von Fake News den Weg eines Donald Trump einzuschlagen.

Fake News oder nicht? Die Materie ist kompliziert, die gegenseitigen Vorwürfe werden schnell grundsätzlich. Das Bürgergeld soll Hartz IV ablösen, mit einem auf 502 Euro erhöhten Regelsatz und einem Fokus auf beruflicher Qualifizierung. Bei Schonvermögen und Sanktionen soll künftig großzügiger mit den Betroffenen umgegangen werden – vor allem mit diesen beiden Punkten ist die Union nicht einverstanden.

Der Bundesrat wird sich nun schon am Montag und damit anderthalb Wochen früher als bisher geplant wieder mit dem Thema befassen. Für das Bürgergeld und das ebenfalls drängende Thema des Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetzes wurde eine Sondersitzung einberufen. Gut möglich, dass es danach wegen des Themas Bürgergeld zum ersten Mal in der laufenden Legislaturperiode in den Vermittlungsausschuss geht. Die Zeit drängt, zum Januar soll die neue Sozialleistung eingeführt werden – eigentlich.

Johannes Vogel (FDP) sprach ebenfalls im Bundestag.
Johannes Vogel (FDP) sprach ebenfalls im Bundestag.

© dpa / Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Union hatte vorgeschlagen, zunächst nur gemeinsam die Regelsätze zu erhöhen und alles weitere in Ruhe zu verhandeln. Das aber wies die Ampelkoalition auch am Donnerstag im Bundestag noch einmal scharf zurück. „Absurd“ nannte das Ansinnen etwa der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel.

Nicht „mehr Lässigkeit“, sondern das Leistungsprinzip stehe im Zentrum der Reform, sagte sein Fraktionskollege Jens Teutrine. Und Minister Heil nannte es einen „logischen Bruch“ dass die Union einerseits behaupte, Arbeit würde sich künftig nicht mehr lohnen, dann aber isoliert die Regelsätze erhöhen wolle.

Änderungen am Zeitplan hat die Koalition zuletzt allerdings durchaus vorgenommen, und zwar vor allem aufgrund der deutlichen Rückmeldung der Bundesagentur für Arbeit, dass der Zeitplan nicht zu halten ist. Es gab schon immer für unterschiedliche Teile der Reform verschiedene Startzeitpunkte, nun wird bei vielem rund um die Eingliederung in den Arbeitsmarkt mit einem einheitlichen Start am 1.7. geplant. Das bedeutet, dass einiges, was für das Frühjahr geplant war, sich verzögert, etwa das Anheben der Hinzuverdienstgrenzen.

Mit dieser Arroganz werden Sie scheitern.

Hermann Gröhe, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion

Dabei geht es um die Frage der organisatorischen Machbarkeit und die Kritik von Jobcentern und Bundesagentur für Arbeit. Politisch aber hat die Ampel im bisherigen parlamentarischen Verfahren nur kleinere Zugeständnisse an die Union gemacht. In den Kernfragen des Schonvermögens und der Sanktionen liegen die Positionen noch deutlich auseinander. Hermann Gröhe, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, warf der Regierung vor, sie verweigere trotz massiver Kritik aus der Fachwelt jede grundsätzliche Debatte über die „Webfehler“ des Gesetzes. „Mit dieser Arroganz werden Sie scheitern“, prophezeite Gröhe.

Hermann Gröhe in der Debatte im Bundestag.
Hermann Gröhe in der Debatte im Bundestag.

© Foto: Michael Kappeler/dpa

Er verwies auf den früheren SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. Der hatte in einem Interview gesagt, er sei kein besonderer Fan des Bürgergeldes, dieses verringere den Anreiz zu arbeiten und koste viel Geld. Zudem befand Gröhe, die Regierung gehe „kaltschnäuzig“ mit den Personalräten der Jobcenter um, die in einem Brandbrief Überlastung beklagt hatten.

Vollends schizophren

Johannes Vogel, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion

Die Koalition hingegen argumentierte gegen die Behauptung der Union, durch das Bürgergeld werde sich das Arbeiten nicht mehr lohnen. „In jedem einzelnen Fall falsch“ sei das, sagte der Liberale Vogel. Die Kritik der Opposition sei in diesem Punkt „vollends schizophren“, schließlich habe einst eine CDU-Ministerin die Berechnungsmethode für die Regelsätze eingeführt.

„Schmierentheater“ musste sich die Union schließlich von Dietmar Bartsch (Linkspartei) vorwerfen lassen. Die Konservativen würden Geringverdiener gegen Arbeitslose ausspielen, sagte er. Die künftigen Regelsätze seien deutlich zu niedrig, das Bürgergeld sei in der Substanz „Hartz fünf“.

Als nächstes wird darüber der Bundesrat zu befinden haben. Dort darf am Montag weiter debattiert werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false