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Sie schlendern deutsche Sonderwege und zeigen wenig Neugier, wie EU-Partner auf die Energie- und Preiskrise antworten: Kanzler Olaf Scholz (SPD - M), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen -r), und Finanzminister Christian Lindner (FDP) in Meseberg.

© Foto: dpa/Kay Nietfeld

Zögern der Ampel bei Entlastungen: Warum lernt Deutschland nicht von anderen Europäern?

Ob Preisdeckel für Gas und Strom, Atomkraft oder Tankrabatt: Die Ampel geht nationale Sonderwege – statt die Erfahrungen der EU-Partner zu nutzen.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wird Deutschland nur aus eigenen Fehlern klug? Oder kann es für seine Strategien gegen die Energieknappheit und die Überforderung vieler Bürger durch exorbitante Preise von anderen lernen?

Die Deutschen stehen nicht einsam vor der Aufgabe, die Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine zu meistern. Allein in der EU geht es 26 Partnern ähnlich. Warum nicht daraus einen Wettbewerb machen, wer die besten Ideen hat – und die Erfahrungen anderer nutzen, was funktioniert und was nicht?

In den deutschen Debatten fällt zweierlei auf: Die Ampel ist oft spät dran, zum Beispiel beim Vorschlag einer staatlichen Deckelung der Preise, die private Haushalte für Gas oder Strom bezahlen. Dennoch erörtern die drei Regierungsparteien diese und andere Ideen, ohne sich in Europa umzuschauen – als müssten sie das Rad neu erfinden.

Einige EU-Staaten haben den Preisdeckel längst

Einen Preisdeckel für Gas oder Strom oder beides haben zum Beispiel Belgien, Estland, Frankreich, Griechenland, Kroatien, Portugal, Rumänien, Spanien oder Ungarn – einige schon seit vielen Monaten. Der Staat trägt die Differenz zwischen dem Marktpreis und dem, was die Haushalte maximal zahlen sollen.

Österreich übernimmt gerade das Modell. In Großbritannien tut das auch die neue Regierungschefin Liz Truss, obwohl es ihrer neoliberalen Weltanschauung widerspricht, dass der Staat sich so weit wie möglich aus der Wirtschaft heraushalten solle. Und auch die EU-Kommission plant einen Preisdeckel.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission

© AP/dpa/Virginia Mayo

Wenn viele EU-Partner so handeln, heißt das nicht, dass diese Lösung besser ist als die bisherigen Wege der Ampel: nämlich die Bürger zu entlasten und Unternehmen, die von Insolvenz bedroht, aber unverzichtbar sind wie die Gasversorger, zu retten, statt mit Preisdeckeln in die Marktmechanismen einzugreifen. Doch warum fragt niemand nach den Erfahrungen anderswo?

So war es schon beim Tankrabatt im Juni und im Streit um eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Der Ampel fehlte die Neugier, was andere Europäer tun. Frankreich, Italien und Spanien zahlten Tankenden schon länger einen Zuschuss von 15 bis 30 Cent pro Liter. Das war transparent und wirksam. Der Kunde sah auf dem Kassenbon, was der Staat für ihn tut.

Deutschland wählte einen komplizierten Sonderweg: Senkung diverser Steueranteile für Mineralölkonzerne, unterschiedliche Rabatte für Benzin und Diesel. Kaum ein Bürger konnte nachvollziehen, wie die Staatshilfe wirkt. Prompt folgte ein Wehklagen, dass die Konzerne sie nicht voll weitergeben.

Scholz beschwört Europa in Prag, im Regierungsalltag spielt die EU kaum eine Rolle

Es ist ein trauriger Kontrast: In Europa-Reden beschwören deutsche Politiker, die EU sei unsere Zukunft, jüngst Bundeskanzler Olaf Scholz in Prag. In der Praxis spielt der Blick auf die EU-Partner kaum eine Rolle.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besucht den tschechischen Regierungschef Petr Fiala (rechts) in Prag.

© Foto: Imago/CTK Photo/Michal Kamaryt

Zwei deutsche Eigenheiten verstärken sich zudem in der Krise: die unausgesprochene Annahme, dass in der Regel kleinere Länder von den größeren lernen und nicht umgekehrt – und die Neigung zu perfektionistischen Lösungen, die oft so komplex werden, dass sie ihr Hauptziel verfehlen.

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Deutschland ist nach Bevölkerung und Wirtschaft das stärkste Land der EU. Dominanz und Erfolg verführen dazu, sich für klüger zu halten. Sollen die anderen doch von uns lernen! Dann werden sie vielleicht auch so erfolgreich wie wir.

Dänen, Niederländer, Österreicher, Schweizer, Tschechen sind es gewohnt, auf Deutschland zu blicken. Was der Riese in der Mitte Europas entscheidet – von der Verkehrs- über die Migrations- bis zur Energiepolitik –, bekommen sie zu spüren. Gute Lösungen übernehmen sie im Zweifel. Umgekehrt ist keine solche Abhängigkeit spürbar. Deshalb achten die Deutschen seltener darauf, was die Nachbarn anders machen und was sie eventuell von ihnen lernen könnten.

Deutsche Krisenpakete sind zu ehrgeizig – in der Praxis halten sie nicht, was sie versprechen

Die bisherigen Krisenpakete waren zudem überehrgeizig. Die Ampel wollte nicht nur die unmittelbaren Probleme lösen, sondern das Verhalten der Bürger lenken. Sind Widersprüche nicht unvermeidbar? Wenn der Staat Energiepreise senkt, sinkt auch der Druck, Energie zu sparen.

Ein anderer Zielkonflikt: soziale Gerechtigkeit. Es stimmt, pauschale Zuschüsse kommen auch denen zugute, die sie nicht brauchen. Doch wer gerecht trennen will zwischen unterschiedlichen Graden von Bedürftigkeit, braucht eine Bürokratie, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Millionen Haushalten abgleicht – soweit der Datenschutz das überhaupt erlaubt.

So erwecken die Rezepte der Ampel oft den Eindruck, dass die Suche nach Perfektion zu Regelungen führt, die in der Praxis nicht wirklich gerechter sind, aber so kompliziert und intransparent, dass viele Bürger ihnen misstrauen.

Geht's nicht simpler? Auch das könnte ein neugieriger Blick zu den Nachbarn klären.

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