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Silvia Westerwick, seit 2022 Professorin für Medienwissenschaft.

© Christian Kielmann

Media Science: Macht Künstliche Intelligenz Menschen toleranter?

Silvia Westerwick erforscht Medienkonsum und selektive Mediennutzung in der Gesellschaft.

Von Sybille Nitsche

Kann Künstliche Intelligenz Musik so steuern, dass Menschen gegenüber anderen Menschen toleranter werden? Dieser Frage möchte Silvia Westerwick demnächst in einem Forschungsprojekt nachgehen. „Musik spielt bei der Definition des eigenen Ichs und der Gruppenzugehörigkeit eine herausragende Rolle.

Auf den einschlägigen Musikportalen bekommt man immer wieder Songs vorgeschlagen, die dem eigenen Musikgeschmack ebenfalls entsprechen könnten. Mich interessiert, was passiert, wenn KI die Vorlieben durchbricht und jemandem Musik vorschlägt, die er bislang nicht gehört hat – zum Beispiel Latino-Pop. Wird es angeklickt oder sofort wegklickt? Wie könnten Empfehlungssysteme einen Beitrag leisten, damit man sich dieser Musik öffnet und in Folge Gruppen wie Latinos gegenüber offener wird, denen man sich nicht zugehörig fühlt“, erklärt Silvia Westerwick. Seit 2022 hat sie eine Professur für Medienwissenschaft mit dem Fokus Web Science inne. Das Forschungsvorhaben plant sie zusammen mit Steffen Lepa vom Fachgebiet Audiokommunikation.

Silvia Westerwick forschte 19 Jahre in den USA, zuletzt an der Ohio State University. Ein zentrales Thema ihrer Arbeiten ist, warum Menschen bestimmte Medieninhalte auswählen. Das „Warum“, so Westerwick, gebe tiefe Einblicke in das, was Menschen antreibe, wie sie sozialisiert seien oder wie sie andere Menschen wahrnähmen. „Und die Motive sind vielfältig. Ich habe ein dickes Buch darüber geschrieben, aber vier rangieren ganz vorn: die Nützlichkeit von Informationen, die Regulierung der eigenen Stimmung, Selbstsozialisation, also was von mir gesellschaftlich erwartet wird, und das Bedürfnis, seine eigene Meinung bestätigt zu bekommen. Der wissenschaftliche Begriff dafür ist selektive Mediennutzung“, sagt Silvia Westerwick.

Bei ihrem letzten Projekt in den Staaten gelangte sie diesbezüglich zu einer überraschenden Erkenntnis. Untersucht wurde, welche Auswirkung es hat, wenn Leser:innen einen Text positiv oder negativ bewerten können. Die Forscher:innen konnten feststellen, dass dadurch die Lesezeit sank. Einigen Proband:innen reichte sogar nur das Lesen der Überschrift und der ersten Zeile, um den Artikel zu bewerten. „Die Möglichkeit der Interaktion lenkt von der Beschäftigung mit dem Thema ab“, erklärt Westerwick. „Wer bewertet, beschäftigt sich mit seinen eigenen Gedanken und weniger mit fremdem Inhalt.“

Laut der „Onlinestudie“ von ARD und ZDF aus dem Jahr 2022 verbringen die 14- bis 29-Jährigen täglich fast sieben Stunden im Internet. Ob das gut oder schlecht ist – Westerwick liegt es fern, das zu bewerten. Man müsse sich nur der Folgen bewusst sein. „Wer immerzu Online-Inhalte nutzt, die ständig von den Anbietern im Sinne maximaler Emotionalität und Bindungskraft optimiert werden, wird seine reale Umgebung, zum Beispiel einen echten Sonnenuntergang, eher als langweilig empfinden und sich weniger darauf konzentrieren können.“    

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