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Oscar Murillos Seerosen-Bilder weisen auf verleugnete Geschichten und Geschichte hin.

© Oscar Murillo, Gropiusbau

Wo geht’s zur Erkenntnis?: Seerosen im Indischen Ozean

Von Claude Monets Augenkrankheit zur sozialen Blindheit: Wie man sich in der Kunst in Assoziationsketten verheddern kann.

Eine Kolumne von Birgit Rieger

Claude Monets Seerosen sind weltberühmt. 30 Jahre lang soll er sich dem Thema gewidmet haben. 1893 ließ er in seiner Heimat Giverny einen Wassergarten gestalten und malte fortan den Teich nach japanischem Vorbild immer und immer wieder. Er stellte ihn ohne Horizont und räumliche Tiefe dar, was die wellige Wasseroberfläche aus groben Pinselstrichen zum grenzenlosen, ja, abstrakten Raum werden ließ.

Kürzlich sah ich im Gropiusbau zwei beeindruckende Seerosenbilder des kolumbianischen Künstler Oscar Murillo. Im Rahmen der Ausstellung „Indigo Waves and other Stories“. Es sind große Querformate mit dicken weißen, blauen, gelben Ölkreide-Strichen, mit Wellen und Linien, viele Schichten übereinander, auf einer mit Mustern bedruckten Leinwand. Werke voll wütender Energie.

Monet litt am Grauen Star

Murillo, der international eine steile Karriere hingelegt hat, hat in seiner Serie „surge (social cataracts)“ (auf Deutsch: sozialer Grauer Star) etliche Seerosenbilder gemalt. Er nutzte das Motiv auch in seiner Ausstellung als Nominierter zum renommierten Turner-Preis 2019 und malt es seitdem immer wieder. Murillo sieht Kunst als Gesellschaftsforschung, als Studie sozialer Phänomene, er behandelt Themen wie Migration, Arbeit, Konsum und Vertrieb und malt seine Bilder oft gar nicht selbst. Dass er sich für den Gartenmaler Monet interessiert, liegt nicht unbedingt nahe.

Es ist die Darstellung von Wasser und Fluidität, die Murillo an Monets Bildern faszinieren mag, vor allem aber ist es die persönliche Geschichte des Malers. Monet litt in seinen späten Jahren an Grauem Star, konnte Farben und Texturen nicht mehr klar erkennen. Er malte also eher aus dem Gedächtnis, mit einer Art Blindheit für die Realität. Diese Dunkelheit studiert Murillo als „soziale Blindheit“ in seinen eigenen Seerosenbildern.

„Indigo Waves and Other Stories“ behandelt die Verbindung zwischen dem afrikanischen und asiatischen Kontinent und dem Indischen Ozean als verbindendem Weltmeer. Dass er indisch genannt wird, dieser Ozean, hält man nur im Westen für glasklar. Anderswo heißt er Ratnakara, Östlicher Ozean oder Swahili-Meer.

Kolonialität sei sowas wie ein „gesellschaftlicher Grauer Star“, sagen die Ausstellungsmacher. So schließt sich der weite Bogen zu Murillos Seerosen.

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