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Gespräch im Nebel

© Preußischer Kulturbesitz

Reform bei der Restitution von NS-Raubkunst: Für die Nachfahren ist es höchste Zeit

Einigkeit bei der Anhörung im Kulturausschuss des Bundestags: Die Politik will endlich mehr für die Erben jüdischer Sammler tun und plant ein neues Gesetz, das auch Privatbesitzer betreffen soll.

Die Zahl ist zwar bekannt, doch der Repräsentant der Claims Conference in Europa, Rüdiger Mahlo, nennt sie noch einmal: 70.000 Fund- und Suchmeldungen sind in der Lost Art Datenbank aufgeführt, darunter rund 1800 Gemälde. „Wenn die Erforschung der Verdachtsfälle im bisherigen Tempo weitergeht, dauert es 300 Jahre“, will er die Abgeordneten im Kulturausschuss des Bundestages aufrütteln. Doch das ist kaum nötig.

In der Sitzung vom Montag zum Thema „Restitution von NS-Raubkunst“ mit geladenen Experten bekennen sich bis auf den Vertreter der AfD sämtliche Politiker dazu, dass die Rückgabe entwendeter Artefakte aus jüdischem Besitz beschleunigt werden müsse. Sie alle unterstützen eine Stärkung der Beratenden Kommission als Vermittlerin zwischen Nachfahren und den Museen sowie ein eigenes Restitutionsgesetz.

Erst vergangene Woche beim Festakt im United States Holocaust Memorial zu 25 Jahren Washingtoner Prinzipien, auf die sich damals 44 Staaten zwecks Restitution geeinigt hatten, ermahnte ihr Mitbegründer Stuart Eizenstat die Bundesrepublik mit deutlichen Worten: Deutschland trage die größte Verantwortung und müsse deshalb Vorbild sein.

Bleibt zu hoffen, dass die Einigkeit im Kulturausschuss und die Kritik Stuart Eizenstats auch am Mittwoch in der Kulturministerkonferenz ihre Wirkung zeigt, wo Kulturstaatsministerin Claudia Roth die einseitige Anrufbarkeit der Beratenden Kommission durchsetzen will. Als einziges Land verwehrt Bayern bisher seine Zustimmung – auch aus Sorge, dass die Staatsgemäldesammlung Picassos „Madame Soler“ an die Nachfahren des jüdischen Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy zurückgeben müsste.

Beugt sich Bayern dem Druck, dürfte sich auch bei der Berufung der Kommissionsmitglieder einiges ändern. Sie soll künftig transparenter sein und unter Beteiligung von Opferorganisationen tagen. Außerdem soll sie eigene Provenienzforschung betreiben dürfen, um Interessenskonflikte zu vermeiden. Bisher war die Kommission allein auf die eingereichten Unterlagen der streitenden Parteien angewiesen.

Im Sinne des Gemeinwohls

Ändern könnte sich auch die Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Empfehlung des Gremiums. „Das ist nicht fair und gerecht“, kritisierte die ungarische Fachanwältin Agnes Peresztegi den bisher geltenden Modus in Anspielung auf die Washingtoner Prinzipien.

Komplizierter wird es allerdings mit der Einführung eines neuen Restitutionsgesetz, zumindest langwieriger. Denn hier geht es um die privaten Besitzer, der bisher geltende Schutz des Eigentums würde bei NS-Raubkunst aufgehoben – im Sinne des Gemeinwohls.

Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Museen Dresden, äußerte sich allerdings skeptisch, gäbe es doch für die öffentlichen Häuser bereits genügend Instrumente und ein hohes Maß an Verbindlichkeit.

Die Ergebnisse sollen ins Netz

Doch das geplante Gesetz zielt vor allem auf jene Privatmuseen, für die es bisher keine juristische Handhabe gab, obwohl sie staatliche Fördermittel empfangen. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, begrüßte dagegen ein Restitutionsgesetz auch für die öffentlichen Häuser, da es mehr Verbindlichkeit für alle bedeute.

Die Stellung der Opfer müsse verbessert werden, forderte wiederum Rechtsanwalt Ulf Bischof. „Sie sind hoch betagt und haben keine Zeit mehr“, rief er den Abgeordneten die Dringlichkeit in Erinnerung. „Viele Opfer wissen nicht, wo sich ihre Objekte befinden“, ergänzte Agnes Peresztegi und empfahl eine Verpflichtung der Museen, ihre Informationen zu veröffentlichen. Die Ergebnisse der Provenienzforschung müssten ins Internet gegeben werden.

Ernüchternd war hier der Einblick in die Praxis durch Marion Ackermann: Von drei Millionen Objekten bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden seien bisher zehn Prozent online gestellt. Der Prozess werde noch Jahrzehnte dauern, erklärte sie. Und: „Die Politik kann mehr tun.“ Der Kulturausschuss dürfte damit genügend Argumente an die Hand bekommen haben, um einen Entschließungsantrag für den Bundestag folgen zu lassen.

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