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Das drei Meter hohe Gemälde ohne Titel von 2004 ist ein Hingucker in einer Ausstellung über Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst.

© Achim Kukulies, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Künstlerin Heike Kati Barath kann Komik: Wieviel Gesicht braucht ein Gesicht?

Ihre aufs Wesentliche konzentierten Riesenporträts sind ein Hingucker. Ein Atelierbesuch bei der Künstlerin Heike Kati Barath, die Malen als körperliche Disziplin liebt.

Porträts malen. Das ist jetzt nicht gerade eine Disziplin, die in der zeitgenössischen Kunst als cool gilt. Viel zu klassisch. Wenn schon Porträt, dann lieber Fotografie. Und in Ausstellungen wird die gegenständliche Malerei eh häufig von Installationen und Multimediaarbeiten verdrängt.

Den künstlerischen Nachwuchs kümmert das allerdings wenig, erzählt Heike Kati Barath. Die Berliner Künstlerin ist Professorin für Figurative Malerei an der Hochschule für Künste Bremen. Dort bewerben sich die meisten mit malerischen Mappen. Nicht verwunderlich, wenn man die Professorin über ihr Metier reden hört: „Malen ist das Allerbeste. Ich habe etwas in der Hand, eine Leinwand vor mir, kann einfach anfangen. Diese Direktheit finde ich sensationell, nach wie vor.“

Nicht minder umwerfend ist die Wirkung von Baraths Porträts. Besonders wenn man - ohne jemals was von der Künstlerin gehört zu haben - in der Hamburger Gruppenausstellung „Ernsthaft?! Über Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst“ an ihren mehrere Meter hohen, unbetitelten Köpfe vorüberstolpert, um wie angewurzelt stehen zu bleiben und laut aufzulachen.

Was ist das denn für eine reduzierte Verballhornung von Heimatfilmmotiven? Eine alte Frau mit Kopftuch und Damenbart, ein Jäger oder Förster in grünem Loden mit Schnäuzer und Klapplid. Schweinsäuglein und scheel grienende tomatensaftrote Strichmündern beherrschen die eigenwillig komponierten Visagen, deren frontaler Blick einen durch den ganzen Saal verfolgt.

Auch dieses XL-Porträt ohne Titel (2004) von Heike Kati Barath ist in Hamburg zu sehen.
Auch dieses XL-Porträt ohne Titel (2004) von Heike Kati Barath ist in Hamburg zu sehen.

© Denis Bury, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Ihr Atelier hat die 1966 in Vaihingen geborene Künstlerin zum Glück in Berlin. Wo, etwa in der Berlinischen Galerie und in Offspaces, auch immer wieder Arbeiten von ihr zu sehen sind. Und obwohl sie kurz vor dem Abflug zu einem einmonatigen Arbeitsaufenthalt auf Neufundland steht, wo sie sich mit kanadischen Kolleg:innen der Landschaftsmalerei widmet, sagt Barath gleich ein Treffen zu.

Ihr Atelier in einem der letzten unsanierten Häuser der Greifswalder Straße strotzt nur so vor Materialien. Pinsel, Zeichenstifte, Farbtuben, Klebebänder, Leinwände, Blöcke, Aufklebeaugen. Aus dem wild bespritzten Fußboden wachsen fast raumhohe Gemälde.

Große Formate und kräftige Farben sind für Barath, die ihre Köpfe aus der Mitte in einer kreisförmigen Pinselbewegung wachsen lässt, ein Muss. „Ich finde es toll, in die Malerei einzutauchen, wortwörtlich in der Farbe zu stehen, die Leiter rauf und runter zu steigen.“

Schöpfen als körperliches Erlebnis, gern mit weit ausholenden Bewegungen. Im Gegensatz zum in Miniatursequenzen zerlegten Zeichnen für Trickfilme, die Barath ebenfalls fertigt und in Seminaren an der Kunsthochschule unterrichtet.

Heike Kati Barath - Schau über Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst in den Hamburger Deichtorhallen/Sammlung  Falckenberg
Heike Kati Barath - Schau über Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst in den Hamburger Deichtorhallen/Sammlung  Falckenberg

© Denis Bury, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Blickt man auf die Kunstgeschichte, hat über die Jahrhunderte hinweg kaum etwas mehr bewegt als das menschliche Abbild. Bei den Mädchenbildern, einer seit 2013 von Barath fortgesetzten Gemäldeserie, wirkt dasselbe Prinzip der gekonnten Simplifizierung wie bei den Heimatfilmfiguren, die übrigens nichts dergleichen sind.

So konkret arbeitet Barath denn doch nicht. „Es kommt auch selten vor, dass jemand ein Porträt bei mir bestellt.“ Ihre Gestalten sind Phänotypen, die sie auf ihren Reisen oder beim Pendeln zwischen Berlin und Bremen beobachtet. „Figuren der Zeit.“

Die Reduziertheit von Comics

Dass sich bei diesem lakonischen Anblick auch Comic-Assoziationen einstellen, empfindet Barath keineswegs als ehrenrührig. Deren Reduziertheit fasziniert sie. „Oft ist in Bildern Unnötiges zu finden, ich frage mich: Wieviel Gesicht braucht ein Gesicht?“ Erstmal nur die Silhouette, um als solches identifiziert zu werden.

In einer von der Corona-Masken-Zeit inspirierten Serie lässt Barath sogar Nase, Mund und Augen weg, selbst diese Gesichtslosen haben ein Gesicht. Aber nur, weil Barath kleinste Hautnuancen und mimische Details registriert, kommt deren frappierender Ausdruck – mal niedlich, mal trotzig, mal brutal, in jedem Fall humorvoll – zustande. Im Gegensatz zu den bedeutsamkeitshuberischen Sujets vieler Kollegen, passen Witz und Kunst für Barath gut zusammen. Humor sei wichtig, findet sie. „Mir geht Kunst-Kunst auf die Nerven.“

Dem konfrontativen Gestus ihrer vielen Mädchen- und wenigen Jungensbilder tut das keinen Abbruch. Egal, ob im Bikini oder in Hoodies und mit dicken Boots an den Füßen, so wie die drei unwirschen Riesinnen mit Spaghettihaaren, die an der Atelierwand lehnen. Die plastischen Zotteln sind Baraths Markenzeichen, die sie auch für Fantasiewesen wie Yetis und Monsterhasen verwendet. „Weißer Acrylfugendichter, farbig lackiert“, erläutert sie das Baumarktmaterial.

Dass sich eine Malerin so konzentriert der Jugend widmet, ist selten. Dagegen und unzufrieden zu sein, ist für ihre Riot-Girls der Selfie-Generation normal. „Ich mag es, ein anderes Mädchenbild in die Welt zu setzen“, kommentiert Barath, wohl wissend, dass Mädchenporträts ein mit Lieblichkeitsstereotypen behaftetes Sujet der Kunstgeschichte sind. Um auszudrücken, warum es ihr in ihrer bewegenden, komischen Kunst eigentlich geht, braucht die Minimalistin zwei Wörter: „Ums Menschsein“.

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