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Die postmoderne Kaiserin: Sisi (Susanne Wolff, rechts) und Irma (Sandra Hüller) im Partner-Look.

© DCM/Bernd Spauke

Der Sisi-Boom geht weiter: Das Riot Girl von Habsburg

Frauke Finsterwalder ist mit „Sisi & Ich“ etwas spät dran, hat dem Mythos aber noch mal einen eigenen Sound verpasst. Susanne Wolff ist sehenswert als renitente Kaiserin.

Von Andreas Busche

Mit einem Ruck ziehen sich die Schnüre zu und zwängen den Körper in ein Korsett. Noch ein taxierender Blick, und dann ist das Paket verschnürt. So begann im vergangenen Jahr schon Marie Kreutzers Sisi-Verfilmung, die dazu noch den passenden Titel trägt: „Corsage“. Eine fast zu naheliegende Metapher für die Zustände am österreichisch-ungarischen Hof, aber welches Bild ist noch nicht bemüht worden in der Historisierung der Kaiserin Elisabeth, die vor 125 Jahren einem Attentat zum Opfer fiel?

Die Popkultur hat diesen Mythos immer weiter ausgeschmückt und ihn schließlich in der Serie „The Crown“ ... aber halt, das war ja die Geschichte einer anderen tragischen Figur am Königshof. In der Medialisierung sind die Biografien von Elisabeth und Diana zuletzt immer mehr konvergiert – möglicherweise das Schicksal moderner royaler Heldinnenerzählungen.

Gut verschnürt zu Hofe

Die Szene mit der Corsage hat sich auch in den jüngsten Elisabeth-Film eingeschlichen; um dieses Bild gibt es anscheinend kein Herumkommen. Nur dass Frauke Finsterwalder in „Sisi & Ich“ nicht nur im Titel die Perspektive auf die höfischen Rituale unserer aller Lieblingskaiserin verändert – auch die Verschnürte hat die Rollen gewechselt. Irma Gräfin von Sztáray (Sandra Hüller) wird von ihrer herrischen Mutter (Sibylle Canonica) zur Abfertigung vorbereitet, der freudlose Backfisch soll bei Elisabeth von Österreich-Ungarn für einen Posten als Gouvernante vorsprechen.

Dort muss sich die Kandidatin erst mal einem entwürdigend-komischen Eignungstest unterziehen. Die Kaiserin, mit sichtbarem Spaß an liebevollen Boshaftigkeiten von Susanne Wolff gespielt, regiert am Hof zwar mit Laissez-faire, unterhält aber ein strenges Fitness-Regime: Sprint und Hürdenlauf im Korsett, Kokain-Diät zum Frühstück.

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Das Timing für „Sisi & Ich“ könnte nicht unglücklicher sein – als später Ausläufer einer kurzen Jubiläumswelle mit je zwei Spielfilmen und Serien über die renitente Kaiserin und neue feministische Ikone. Aber eben auch als Nachzügler eines regelrechten Streaming-Booms von „revisionistischen“ Historiendramen von „Dickinson“ bis „Bridgerton“ mit ihren Pop-Referenzen, Spotify-Playlists und queerfeministischen PoC-Besetzungen. Wobei Finsterwalder im letzten Punkt auf halber Strecke bei „4 Blocks“ hängenbleibt: In „Sisi & Ich“ ist der Araber wieder nur derjenige, der Elisabeth und Irma einen Brocken Haschisch zusteckt.

Coachella-Biedermeier

„Sisi & Ich“ kommt zu einem Zeitpunkt in die Kinos, an dem man fast schon ein bisschen erleichtert war, dass uns im gegenwärtigen Sisi-Hype ein Habsburger „Marie Antoinette“-Makeover erspart geblieben ist. In Sisis Kleiderschrank liegen zwar keine Chucks herum, aber eine Colaflasche hat ein Cameo. Wolffs Sisi unterscheidet sich vor allem im Sound von ihren Vorgängerinnen. Den ironischen Snobismus der Bessergestellten kennt man aus der Feder von Finsterwalders Co-Autor und Ehemann Christian Kracht. „Schämen tut sich nur die Bourgeoisie“, meint Sisi einmal zu der tantigen Irma.

Der „Sound of Habsburg“ von Portisheads Trip-Hop bis zum Riot-Grrrl-Punk von Le Tigre (ja, Finsterwalder ist ein Kind der Neunziger) wiederum klingt zwar etwas gewollt, passt modisch aber ausgezeichnet zum rüschigen Coachella-Biedermeier und Ringelpullover-Minimalismus von Tanja Hausners Kostümen. Und obwohl es in „Sisi & Ich“ nominell um die anhimmelnde Perspektive, den verliebten Blick von Irma geht, reißt eine umwerfende Susanne Wolff die Show die meiste Zeit an sich.

Finsterwalder befreit sich aus dem Korsett des Sisi-Mythos, indem sie die Geschichte vom stickigen Wien aufs sonnendurchflutete Korfu verlegt. In ihrem Sommerdomizil hat Sisi ein testosteronfreies, proto-bürgerliches Utopia errichtet, wo auch Schwager Viktor (Georg Friedrich) seine homoerotischen Fantasien ausagieren kann. „Bei Männern muss ich immer an Tischtücher denken“, meint Irma einmal leicht pikiert. Nur hätte man sich am Ende dieses Emanzipationsidyll noch viel konsequenter gewünscht; nicht doch wieder zurück zur melancholischen Romy-Schneider-Sisi. (Oder in der Soundtrack-Logik: mehr Le Tigre statt Nico.) Aber aus der Sicht einer Kaiserin ist eben auch die Freiheit ein bürgerliches Privileg.

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