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So kennt man Katy Perry, ihre Auftritte sind farblich stets perfekt aufeinander abgestimmt.

© Scott Barbour/dpa

Neues Album von Katy Perry: So schön können Gänseblümchendepression klingen

Bubblegum-Popstar Katy Perry klingt auf ihrem sechsten Album „Smile“ nachdenklich. Ihre Songs machen trotzdem mehr Spaß als eine Therapie.

Was haben Katy Perrys neues Album „Smile“ und ihr Baby Daisy Dove Bloom, das am Donnerstag zu Welt kam, gemeinsam? Beide stehen für einen Rückzug: Der Säugling mit dem floralen Namen (hoffentlich hat er keine Blumenallergie) macht aus Perry und ihrem Ehemann Orlando Bloom eine Keimzelle der Gesellschaft, die umständehalber erst mal eine Weile zu Hause bleiben muss. Das Album der US-amerikanischen Pop-Queen beschäftigt sich mit Introspektionen.

Damit ist „Smile“, geschrieben von Perry und jeder Menge Co-Autoren und -Autorinnen, ein kleines, aber erstaunliches Stück entfernt vom sorgenlosen, knalligen Gewinnersound auf „Teenage Dream“ (auch schon zehn Jahre alt) oder „One of the Boys“, ihrem Major-Debüt mit dem Hit „I kissed a Girl“. Hörbar komplexer sind die „Smile“-Songs dabei nicht, sie bewegen sich auf einer von Pastorentochter Perry höchstselbst mithilfe von sieben Millionen bunter Luftballons, siebzehn Tonnen Konfetti und fünf Meter künstlichen Wimpern geschaffenen, einwandfrei tanzbaren Popebene.

Der Titelsong, dessen künstlerische Cover-Umsetzung (Perry als trauriger Clown mit roter Nase) vielleicht auch einer der Gründe für seinen bislang recht dürftigen Charterfolg ist, ist musikalisch ein klassisches Perry-Candy: ein Eis am Stil in einer mit aufblasbaren Flamingos geschmückten Stranddisco.

Trotziges Wegtanzen von Tränen

Doch seinem Text, genau wie fast allen anderen der zwölf Songs auf „Smile“, wohnt eine leichte Bitterkeit inne, eine dezent abgründige Anstrengung, wie man sie atmosphärisch auch in Harmony Korines düster-hedonistischem Drama „Spring Breakers“ empfand, in dem Disney-Schauspielerinnen bunte Pillen in die Kloschüssel göbeln: „Gotta say it’s really been a while / but now I got back that smile“ reimt Perry, und das hat zwar, zugegeben, die lyrische Tiefe eines Suppentellers, aber ist immerhin ein Hinweis darauf, dass es tatsächlich mal dunkel war im Hause Perry.

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Dagegen wirkt ein Song wie „Cry about it later“,in dem sie behauptet „Champagne on ice only makes you stronger“, oder „Teary Eyes“, wo es um das trotzige Wegtanzen von Tränen geht, wie eine verzweifelte Form der Verdrängung. Als ob Perry kurz aus ihrem Bubblegum-Traum erwacht war und sich nur noch oberflächlich an flüchtigen Bildern festhält. Glaubt man der (farblich abgestimmten) Regenbogenpresse, dann hatte die zeitweise Trennung von ihrem Mann und der damit verbundene Verlustschmerz Einfluss auf den Songwriting-Prozess.

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Und Stücke wie „Resilient“, in dem sie von Blumen singt, die aus Rissen wachsen, und „I am resilient / born to be brilliant“ reimt, schaffen eine eigentümliche Verbindung zur gegenwärtigen Stimmung. Ist das Thema Resilienz nicht momentan in aller Munde, weil die Krise zutage fördert, wer mit Widerstandskräften gesegnet ist und wer nicht? So viel gesellschaftliche Reflexion war eventuell nicht beabsichtigt, steht der Platte aber nicht schlecht. Hetero-Liebeskummerplatten sind zwar notgedrungen Mainstream, doch auf der anderen Seite eben sehr durchlässig und vielfältig interpretierbar.

Kitsch und Feminismus

Klanglich bietet Perrys Team kaum Neues, in einen weiteren Liebeskummer-Song namens „It’s not the end of the world“ integriert es frech die Melodie des Oldies „Nana hey hey Goodbye“, in dem – passend – das Verlassen eines Geliebten thematisiert wird und der in einem der gruseligsten Mitgröl-Refrains der Popgeschichte gipfelt.

Um musikalischen Ausdruck geht es bei Perry ohnehin nur peripher. Die ehrgeizige, mittlerweile 35-jährige Kalifornierin suchte stets eher die Stimmung als den Song, eher die Erwartbarkeit als die Überraschung. Dennoch: Textzeilen wie „I need tissues for my issues“ aus der Ballade „What makes a woman“ sind aufgeweckt, in bester Absicht könnte man diesen Song als eine nachdenkliche Perry-Version von Grönemeyers „Männer“ bezeichnen: „Is it the way that I praise you? / The way that I please you? / Or how fast I change my mind?“ Kitsch und Feminismus müssen sich glücklicherweise nicht ausschließen.

Damit ist „Smile“ eher eine kleine, gänseblümchenartige und vielleicht zu vergängliche Überraschung. Aber das Introspektive, an dem coronabedingt gerade kaum eine Künstlerin vorbeikommt, diese Selbstbespiegelung, die in schlechten Zeiten an Selfies, in guten an erfolgreiche Therapie erinnert, die nervt auf „Smile“ genauso viel oder wenig wie bei den anderen Werken in dieser Zeit. Schließlich: Wohin soll man im Lockdown denn auch sonst schauen?
Katy Perry: Smile (Capitol)

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