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Die österreichische Schriftstellerin Monika Helfer, 75.

© picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow

Eine verkorkste Jugend : Monika Helfers neuer Roman „Die Jungfrau“

Mit ihrem neuen Buch setzt die österreichische Schriftstellerin ihre autofiktionale Romanserie fort. Dieses Mal geht es um eine komplizierte Frauenfreundschaft.

Eine vermeintliche Bauernhof-Idylle an einem frühen Sommermorgen: Es riecht nach frisch gemähtem Gras, auf dem Misthaufen kräht ein Hahn. Zwei Mädchen sitzen auf einer Steinbank im Garten und wollen zuschauen, wie die Sonne aufgeht. Aber dann müssen sie mit ansehen, wie der Bauer seinen Hahn abknallt, einfach so.

Danach richtet er das Gewehr auf die Mädchen, lacht, aber drückt nicht ab. Warum der durchgeknallte Bauer seinen Hahn tötet, warum er die Kinder verschont, bleibt offen. Zwei Mädchen zwischen Leben und Tod. Eine Grenzerfahrung, die sich eingräbt. Gloria, eines der beiden Mädchen, denkt zeitlebens daran zurück.

Monika Helfers neuer Roman „Die Jungfrau“ handelt von einer komplizierten Frauenfreundschaft, beobachtet aus der Ich-Perspektive der 1947 geborenen Autorin. Zuvor hatte Helfer eine viel gelobte Trilogie über ihre eigene Familie geschrieben, beginnend mit dem Roman „Die Bagage“, einem Buch über ihren Vater, „Vati“ und schließend mit einem Roman, in dem ihr Bruder im Mittelpunkt steht, „Löwenherz“. Damit wurde Helfer zu einem Stammgast in den Bestsellerlisten.

Zwei Leben wie im Film

Jetzt ist sie wieder in die Vergangenheit eingetaucht und hat sich ihre Jugendfreundin Gloria vorgenommen, eine schöne Tochter aus reichem Hause. Wieder ist es ein schmales, autofiktionales Buch geworden, in dem die Autorin mit filmischer Farbigkeit zwei Leben skizziert, die zeitweise ineinander verzahnt sind, aber doch grundverschieden verlaufen.

Auch in Elsa Ferrantes berühmter Saga über eine Frauenfreundschaft sind die Geschichten von Lila und Elena höchst unterschiedlich, aber zeitlebens verbindet beide eine enge Zuneigung – anders als in Helfers neuem Roman. Die Distanz, die die Autorin zu ihrer Hauptfigur hat, wird beim Lesen immer wieder spürbar.


Gloria ist genau genommen eine Loserin, die jung ihre Karriere als Schauspielerin in den Sand setzt und auch später nichts zustande bringt. Ein Frauenleben, das unvollendet bleibt, nicht als Vorbild taugt. Vielleicht liegt es an ihrem Namen, den sie selbst als Bürde sieht: „Was kann aus einem Menschen mit diesem Namen schon werden? Immer wird man sagen, die hat eh alles mitbekommen. Die ist schon etwas, bevor sie etwas wird“, beklagt sich Gloria bei ihrer Freundin.

Ihr Vater hat die Familie verlassen, Gloria lebt mit ihrer Mutter in einem großen Haus in Bregenz, ein „Gespensterhaus“, wie Monika befindet, das die Freundin in seinen Mauern gefangen hält. Monika, die ihre Mutter früh verloren hat, wächst dagegen beengt und in Armut bei ihrer Tante auf. Sie wird früh heiraten, vier Kinder von zwei Männern bekommen und eine gefragte Schriftstellerin werden. Dafür zieht Gloria als junge Frau die Blicke der Männer auf sich, die sie „zauberhaft“ finden, was wiederum Monika einen Stachel versetzt. Allerdings leidet Gloria unter dem Gefühl, Moni könne sie, die Schöne, nicht richtig ernst nehmen, weil sie intellektuell mit der Freundin nicht mithalten könne.

Erfolg und Misserfolg, Triumph und Neid, Armut und Reichtum,  – all das spielt in diese vielschichtige Freundschaft hinein, die durch den Standesunterschied immer wieder auf die Probe gestellt wird. Als junges Mädchen muss Monika erleben, wie Gloria und ihre Mutter mit Geldscheinen so sorglos umgehen, als wäre es Butterbrotpapier.

Einmal möchte Gloria ihre Freundin zu einer Reise nach New York einladen von dem Geld, das sie ihrer Mutter geklaut hat. Die Reise endet am Zürcher Flughafen – die Frauen sind noch nicht volljährig und bekommen kein Ticket. Zweitausend Schweizer Franken liegen in Glorias Koffer. „Dafür hätte mein Vater ein halbes Jahr arbeiten müssen“, resümiert Moni.

Post zum 70. Geburtstag

Die Freundschaft der beiden Frauen franst im Laufe ihrer unterschiedlichen Leben immer mehr aus, sie sehen sich nur noch selten. An ihrem 70. Geburtstag bekommt Monika Helfer Post von Gloria, die sie bittet, sie noch einmal zu besuchen, bevor sie stirbt. Die Schriftstellerin trifft auf eine kranke Frau mit fettigen Haaren, die sich nur mühsam von ihrem Kanapee erhebt. Am Ende macht Gloria ihrer Freundin ein Geständnis: Sie habe noch nie mit einem Mann geschlafen. Obwohl sie immerhin mal eine längere Liebelei mit einem verheirateten Italiener hatte. Ob Gloria tatsächlich Jungfrau ist, bleibt offen. Sie ist eine gute Geschichten-Erzählerin, die sich nicht immer der Wahrheit verpflichtet fühlt.

Auch die Stories, die Gloria über ihren abwesenden Vater verbreitet, sind mitunter abenteuerlich. Was auch daran liegt, dass ihre Mutter ihr regelmäßig Lügengeschichten aufgetischt hat. Am Zürcher Flughafen versucht Gloria dem Mann am Schalter einzureden, sie wolle ihren „Daddy“ in New York besuchen – ohne Erfolg. Über die Kränkung, dass dieser Daddy sie und ihre Mutter im Stich gelassen hat, spricht sie nur wenig. Monika schlägt ihrer Freundin vor, dem Vater zu verzeihen.

Das Lied von Heidschi Bumbeidschi

Allerdings: Kann man nicht nur dann jemandem verzeihen, wenn man glaubt, in einer souveränen Position zu sein? In der Gloria definitiv nicht ist. Solche Gedanken streut die Autorin behutsam ein, die dem Text Tiefe geben und aus dem rein Anekdotischen herausführen.

Später stellt sich heraus, dass der vermeintliche amerikanische Daddy inzwischen in einem Pflegeheim in Bregenz lebt und dement ist. Gloria, mittlerweile in den Vierzigern, bittet Moni, sie ins Pflegeheim zu begleiten. Die Frauen treffen auf einen Mann im Rollstuhl, sehr blass und sehr dünn. Als sie ihm das Lied von Heidschi Bumbeidschi vorsingen, regt sich nichts in seinem Gesicht. Am Ende biegt er die Finger zu einer Geste, als wolle er die Frauen erschießen. Wie einst der Bauer, der die Flinte auf die Mädchen gerichtet hatte.

Monika Helfer hat einen locker schwingenden Roman über eine tragische Figur geschrieben, die keinen roten Faden in ihrem Leben findet. Die Autorin psychologisiert nicht, sondern überlässt es der Leserin, aus ein paar Tupfern über eine verkorkste Jugend in den sechziger Jahren Schlüsse zu ziehen.

„Erstmals ein Schwanz in der Hand“

Mit großer Virtuosität und vielen Zeitsprüngen zieht Helfer eine Pointe nach der anderen aus dem Ärmel. Mitunter schwingt auch ein untergründiger Humor mit. Etwa wenn Gloria erzählt, sie habe doch einmal Sex gehabt. „,Wie Sex?’“, fragt Monika zurück. Und Gloria schiebt sogleich hinterher: „,Ich habe zum ersten Mal im Leben einen Schwanz in der Hand gehabt.’“ Und weiter? „,Weiter nichts’“, gesteht die Freundin.

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