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Stilisierte Bilder der Gewalt: Shirin Neshats Filminstallation „The Fury“ .

© Shirin Neshat

Kollektiver Wutausbruch: Shirin Neshat zeigt Film über sexuelle Gewalt im Iran

Die Exil-Iranerin thematisiert in ihrem neuen Film „The Fury“ sexuelle Gewalt an Frauen in politischer Haft. Zum Internationalen Frauentag spricht sie in Berlin über ihre Arbeit.

Eine Frau tanzt, vor einem Mann, dann vor mehreren Männern in Uniform. Im Gedächtnis bleiben ihr dünner, schutzloser Körper und ihr Blick. Stark geschminkt, die Augen mit Kajal umrandet, schaut sie in die Kamera, traurig, schmerzerfüllt, manchmal lockend, dann leer und nach innen gekehrt. Auf der anderen Seite, auf einem anderen Screen sieht man die Blicke der allesamt rauchenden Männer. In ihren Mienen zeigt sich eine Mischung aus Begehren, stumpfer Lust, vielleicht Mitleid, vielleicht Spott.

In der Videoinstallation „The Fury“, die Shirin Neshat in Berlin im Ausstellungshaus Fotografiska zeigt, thematisiert die iranisch-amerikanische Künstlerin sexualisierte Gewalt an weiblichen politischen Gefangenen. Ein brutales Thema, das Kritiker schon auf den Plan rief, bevor sie den Film überhaupt gesehen hatten, wie Neshat sagt.

Den Film bringt man sofort mit der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung in Verbindung, einer Protestbewegung, die 2022 im Iran ausbrach, nachdem die 22-jährige Mahsa Amini nach ihrer Festnahme gestorben war. Zuvor war sie von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil angeblich ihr Kopftuch zu locker saß. Tausende Frauen gingen in den folgenden Wochen ohne Schleier mit offenem Haar auf die Straßen, um gegen das Regime zu demonstrieren. Mehr als 20.000 Menschen wurden laut Amnesty International während dieser Protestwelle festgenommen.

Shirin Neshats 15-minütiger fiktionaler Film, der auf zwei raumfüllenden Screens präsentiert wird, endet mit einem großen kollektiven Wutausbruch. Passanten solidarisieren sich mit der misshandelten Frau, gespielt von Sheila Vand, sie randalieren auf der Straße. Eine Raserei gegen die Unterdrückung.

Vergewaltigung als Mittel gegen den Protest

Shirin Neshat hat sich seit Beginn ihrer Karriere als Künstlerin und Filmemacherin mit der Situation von Frauen in muslimischen Gesellschaften auseinandergesetzt. Sie zeigt Frauen, die sich wehren, meist mit Bildern in Schwarz-Weiß. Sie betonen die Dichotomie aus Stärke und Verletzlichkeit, Begehren und Gewalt, Macht und Unterwerfung, Stolz und Scham. Bekannt geworden ist Neshat in den Neunzigerjahren mit der Serie „Women of Allah“, Porträts kopftuchtragender, bewaffneter Frauen. Gesichter und Körper hatte die Künstlerin mit Kalligrafie bedeckt. Die Bilder, weltweit ausgestellt und anerkannt, ernteten auch Kritik von vielen Seiten.

Von der iranischen Regierung sowieso. Aber auch von regimekritischen Iranern, die fanden, Neshat perpetuiere das Klischee der militanten Islamistin. Im Westen warf man ihr die Beschwörung eines neuen Orientalismus vor. Neshat zog sich daraufhin in eine poetische, mythologischere Bildsprache zurück. Mit „The Fury“ setzt sie sich nun dem Sturm der Entrüstung wieder aus.

Die iranisch-amerikanische Künstlerin Shirin Neshat, 1957 geboren, lebt in New York und arbeitet als Filmemacherin und Fotografin. Ihre Ausstellung „The Fury“ eröffnet am 7. März in Berlin im Fotografiska.
Die iranisch-amerikanische Künstlerin Shirin Neshat, 1957 geboren, lebt in New York und arbeitet als Filmemacherin und Fotografin. Ihre Ausstellung „The Fury“ eröffnet am 7. März in Berlin im Fotografiska.

© Sheryl Dunn

Die Folge der Gewalt sind oft mentale Probleme

Neshat ist zur Eröffnung ihrer Ausstellung nach Berlin gereist. Die New Yorkerin ist oft in der Stadt, was aber eher mit ihrer Arbeit als Filmemacherin zu tun hat, nicht mit der Kunst. Die letzte Einzelausstellung in der Hauptstadt liegt erstaunlich lange zurück. 2005 zeigte sie im Hamburger Bahnhof Teile ihres späteren Kinofilms „Women without Men. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman der iranischen Autorin Sharnush Parsipur, der bereits kurz nach seiner Veröffentlichung 1989 in Teheran verboten wurde.

Parsipurs Erfahrungen, die selbst politische Gefangene war und unter mentalen Problemen leidet, finden nun ihren Widerhall in Neshats Film. Parsipur, habe ihr erzählt, sie sei im Zustand der Verwirrung nackt auf die Straße gelaufen. Ein ähnliches Bild findet sich in „The Fury“.

Zur Ausstellung gehört auch eine Fotoserie, zum ersten Mal  zeigt Shirin Neshat weibliche Körper nackt. Hier: Flavia, aus der Serie „The Fury“, 2023.
Zur Ausstellung gehört auch eine Fotoserie, zum ersten Mal zeigt Shirin Neshat weibliche Körper nackt. Hier: Flavia, aus der Serie „The Fury“, 2023.

© Shirin Neshat

Eine Frau stolpert desorientiert durch die Straßen New Yorks. Dann ein Flashback. Dieselbe Frau, nackt vor einer Runde aus Offizieren, übersät mit blauen Flecken, stolpert, fällt, steht wieder auf. Eine Vergewaltigungsszene ohne sichtbare Gewalt, stilisiert und fiktionalisiert. Und doch dicht an der Realität.

Übergriffe sind dokumentiert

Im Zuge der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung landeten im Iran Zehntausende im Gefängnis. Manche sind bis heute in Untersuchungshaft. Frauen, Männer und Minderjährige wurden in der Haft vergewaltigt und gequält. Ein Bericht von Amnesty International, der Ende 2023 veröffentlicht wurde, dokumentiert 45 erschütternde Fälle. Und das sind nur die, deren Betroffene es wagten, darüber zu sprechen.

Viele lesen den Film als unmittelbare Reaktion auf die aktuellen Ereignisse. Doch er wurde bereits im Sommer 2022 gedreht, noch bevor Masha Amini starb und die großen Proteste losbrachen, erzählt die Künstlerin. Sie habe Prozessakten über Fälle studiert, bei denen Frauen in iranischen Gefängnissen sexuell missbraucht wurden, etwa im Zusammenhang mit der Anklage gegen den Staatsanwalt Hamid Nouri, der in den Achtzigern an der Ermordung politischer Gefangener in Iran beteiligt war.

Dicht an der Realität

Neshats Kritiker sagen, der Film repräsentiere nicht die Frauen Irans. Und Neshat sieht das sogar genauso. Vergewaltigungen als Mittel gegen Protestbewegungen oder im Krieg gebe es vielerorts, sagt sie. Die Aussage des Films sei symbolisch. In dem Film erzeugt das Trauma der Frau Solidarität, aber nicht nur das. „Die Menschen erkennen im Schmerz dieser Frau ihren eigenen Schmerz, sei es ausgelöst durch Rassismus, Armut, Diskriminierung.“ Es gehört zur Conditio humana, sich im Schmerz zu verbinden. Daran will der Film erinnern. Und im Moment ist das wohl nötiger denn je.

Shirin Neshat, die sich oft politisch engagiert, zum Beispiel jüngst den Aufruf zum Ausschluss des iranischen Pavillons bei der Venedig Biennale unterschrieben hat, hält Aktivismus und Kunst so gut es geht auseinander. Im Aktivismus seien Gut und Böse klar definiert. „Man steht auf der einen Seite und bekämpft die andere. Die Kunst hingegen muss ambivalent bleiben.“

Neshat, die seit vier Jahrzehnten in New York lebt, war seit 1996 nicht im mehr im Iran. Sie achtet darauf, nicht für ihre Landsleute zu sprechen, stattdessen ihrem Publikum ihre Erfahrung im amerikanischen Exil näherzubringen. Sie lebt im migrantisch geprägten Bushwick, in Brooklyn. Dort hat sie im Juni 2022 auch „The Fury“ gedreht, gemeinsam mit Freunden aus ihrer Tanzgruppe und mit Nachbarn. Es ist die Sphäre der Einwanderer und Exilanten, der Heimatlosen, zu denen Neshat sich auch selbst zählt.

Neshat, 1957 geboren, hat oft davon berichtet, dass ihre innere Zerrissenheit und das Gefühl des Ausgeschlossenseins bereits in ihrer Jugend im Iran seinen Anfang nahm und sich in Amerika fortsetzte. In einer muslimischen Familie aufgewachsen, besuchte sie eine katholische Schule in Teheran. Während die Nachbarn in die Moschee gingen, saß die Familie im Garten.

Mit 17 Jahren kam Neshat zum Studium nach Kalifornien. 1979, während sie in den USA war, kam Ayatollah Khomeini an die Macht. In den Neunzigerjahren kehrte sie noch einmal in die Heimat zurück, die sich im Zuge der islamischen Revolution stark verändert hatte, die Frauen waren bereits unter dem Schleier versteckt. Ihre Mutter, die noch im Iran lebt, wird Neshat wahrscheinlich nicht wiedersehen, nicht beerdigen können. Ein Schmerz, der bleibt und für ausreichend Wut sorgt, um immer wieder neue Filme zu machen.

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