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Gegnern des Mullah-Regimes fordern Solidarität mit der Opposition im Iran, die Abschaffung der Todesstrafe und einen Umsturz.

© imago images/Future Image/Christoph Hardt via www.imago-images.de

Vor einem Jahr begannen die Proteste im Iran: Auch Deutschland sollte endlich mutig sein

Das Regime in Teheran begeht schwerste Menschenrechtsverletzungen. Die Bundesregierung muss Haftbefehle gegen die Verbrecher erlassen und sie entschlossen vor Gericht bringen.

Ein Gastbeitrag von Markus N. Beeko

Jina Mahsa Amini war eine junge Frau, die gern tanzte, reiste und voller Träume war. Sie war auch eine junge Frau, deren Leben geprägt war von systematischer Diskriminierung und Unterdrückung im Iran.

Ihr gewaltsamer Tod durch die Behörden der Islamischen Republik vor einem Jahr hat die Wut, die Trauer und den Willen nach Freiheit und Selbstbestimmung, den viele Iranerinnen und Iraner schon lange in sich tragen, erneut mit aller Wucht auf die Straße getragen.

Wenn ich an den Iran denke, gibt es vieles, was mir Hoffnung gibt: Ich denke daran, wie Zehntausende Menschen unter dem Slogan „Frau. Leben. Freiheit“ im ganzen Land auf die Straße gegangen sind.

Ich denke daran, wie Schülerinnen und Studentinnen ihren Lehrern und Professoren öffentlich widersprechen. Ich denke daran, wie Menschen nachts vor die Gefängnisse ziehen, um diejenigen zu schützen, denen die Hinrichtung droht.

Wenn ich an die Reaktion des Staates auf die Proteste denke, sind es die grausamen Menschenrechtsverletzungen, die in ihrer Brutalität im Bewusstsein bleiben. Mit einer Gewalt, die gezielt und systematisch erfolgt. Und die auf ranghohe Befehle zurückgeht, wie Amnesty anhand geleakter Dokumente belegen konnte.

Seit Beginn der Proteste vor einem Jahr wurden schätzungsweise weit mehr als 20.000 Menschen inhaftiert – nur weil sie friedlich protestiert hatten. Hunderte Demonstranten wurden von Polizisten, Revolutionsgardisten und Basidsch-Milizionären getötet, darunter viele Kinder.

Ali Chamenei ist der höchstrangige Vertreter des Regimes.
Ali Chamenei ist der höchstrangige Vertreter des Regimes.

© dpa/Vahid Salemi

Kian Pirfalak zum Beispiel, ein neunjähriger Junge, wurde im Auto der Eltern erschossen. Seine Familie, die trotz massiver Drohungen, Verhaftungen und Vorladungen durch die Behörden weiter öffentlich über den Mord von Kian und über die Täter sprach, wird bis heute drangsaliert.

Auspeitschungen, Elektroschocks, Vergewaltigungen

Die Gewalt gegen Kinder offenbart die strategische Brutalität der Verantwortlichen, jeglichen Protest zu unterdrücken.

In einer im März veröffentlichten Untersuchung dokumentierte Amnesty, wie der iranische Geheimdienst und „Sicherheitskräfte“ Folterungen wie Auspeitschungen, Elektroschocks, Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierten Gewalt auch gegen Jugendliche und Kinder anwenden – die jüngsten Opfer waren zwölf Jahre jung.

411
Menschen wurden in diesem Jahr bis Ende Juli im Iran hingerichtet.

Der Iran gehört zu den Staaten, die Jahr für Jahr einen der vorderen Plätze im Todesstrafenbericht von Amnesty belegen. Mindestens sieben Männer wurden seit Dezember 2022 hingerichtet, weil sie an den Protesten teilgenommen hatten. In diesem Jahr ist die Zahl der Hinrichtungen erschreckend hoch: Bis Ende Juli wurden mindestens 411 Menschen hingerichtet – im gesamten Jahr 2022 lag die Zahl bei 576.

„Business as usual“?

Was bleibt ein Jahr nach dem Beginn der Proteste? Die großen Straßenproteste haben weitgehend aufgehört, aber der Widerstand gegen die Unterdrückung geht weiter. Mutige Frauen weigern sich trotz drakonischer Strafen den Hidschab zu tragen, Streiks werden organisiert. Die Menschen im Iran hören nicht auf, mutig zu sein.

Wir alle sind in der Verantwortung, weiter hinzusehen und an der Seite der Menschen im Iran zu stehen

Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland

Wir alle sind in der Verantwortung, weiter hinzusehen und an der Seite der Menschen im Iran zu stehen. Es braucht nach wie vor Berichte und Aufmerksamkeit für die Proteste und die Situation im Iran. Mir macht Sorge, wenn Regierungen selbst nach schwersten Menschenrechtsverletzungen wieder zum „Business as usual“ mit einer brutalen Regierung übergehen.

Die Bundesregierung hat auf UN-Ebene wichtige Initiativen zur Untersuchung und Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen vorangetrieben. Jetzt braucht es die gleiche Ausdauer wie die der Iraner*innen.

Die internationale Staatengemeinschaft und die Ampel-Koalition müssen sich weiter sehr, sehr deutlich für die von der Todesstrafe und von Hinrichtungen bedrohten Menschen im Iran einsetzen. Dafür hat Amnesty unter anderem auch einen Appell an die Bundesregierung gerichtet, den jede Person unterschreiben kann.

Es muss ein Ende haben, dass die für schwerste Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen darauf hoffen können, nicht belangt zu werden.

Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland

Alle Staaten sind gefordert, wo immer möglich, Haftbefehle gegen diejenigen iranischen Beamten zu erlassen, bei denen der begründete Verdacht besteht, dass sie für Verbrechen nach internationalem Recht verantwortlich sind. Es muss ein Ende haben, dass die für schwerste Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen darauf hoffen können, nicht belangt zu werden. Ein konkretes Instrument dagegen ist das Weltrechtsprinzip.

Wie Deutschland dieses juristische Instrumen wirkungsvoll anwenden kann, hat es mit dem weltweit ersten Prozess zu Staatsfolter in Syrien gezeigt: Der Hauptangeklagte wurde 2022 in Koblenz zu lebenslanger Haft verurteilt.

Deutschland sollte zeigen, dass es auch mutig sein kann und entschlossen die Menschenrechtsverletzungen des iranischen Regimes vor Gericht bringt – international und hierzulande. Das ist praktische, realpolitische Menschenrechtspolitik.

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