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Versammlung in Frieden. „Rasanbleman soupe tout eskòt yo“ (1986), ein Wandteppich der haitianischen Künstlerin Myrlande Constant.

© ORIOL TARRIDAS

Haiti im Aufruhr: Der beste Alptraum der Welt

Eine dreitägige Konferenz im Haus der Kulturen der Welt feiert den Sklavenaufstand von 1791 - leider ohne den Blick auf die Geschichte der Sklaverei insgesamt zu richten und die erschreckende Gegenwart zu berücksichtigen

Was passiert derzeit im Haus der Kulturen der Welt? Von Quilombos, den Fluchtburgen brasilianischer Sklaven, bis zum Bois Caiman, dem mythischen Kaimanwald, wo 1791 ein Sklavenaufstand begann, der 1804 mit Haitis Unabhängigkeit endete, arbeitet das Haus im Tiergarten das Weltkulturerbe der Sklaverei auf.

Und das zu Recht, denn nicht nur der transatlantische Sklavenhandel, auch der Widerstand dagegen und die damit verknüpfte Geschichte Haitis sind nur Experten bekannt und bleiben unterbelichtet im öffentlichen Diskurs, weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Ein Sklavenaufstand, der anders als unter Spartacus, zur Gründung eines Anti-Kolonialstaats führte, lange vor dem Freiheitskampf der spanischen Kolonien, den Haiti mit Waffen und Geld unterstützte: Doch trotz anderslautender Versprechen behielt Südamerika die Sklaverei bei.

So weit, so gut – oder so schlecht. Es fehlt jeder Hinweis auf die Vorgeschichte, denn im alten China, Ägypten, Griechenland und Rom war die Sklaverei institutionalisiert, im Mittelalter das Wort Slawe gleichbedeutend mit Sklave. Schon damals gab es arabische Sklavenjäger, während afrikanische Potentaten Kriegsgefangene und Untertanen gewinnbringend verkauften. Nur Quäker und Pietisten prangerten den Menschenhandel an.

Flammende Anklagen gegen dei Sklaverei

Das änderte sich in der Aufklärung: Die Texte in Diderots „Enzyklopädie“ zum Thema Zucker und Kaffee enthielten flammende Anklagen gegen die Sklaverei, und von hier war es nur ein kleiner Schritt zur Französischen Revolution. „Lieber sollen die Kolonien untergehen als die Idee von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, rief Robespierre im Nationalkonvent, und im Februar 1794 wurde die Kolonialsklaverei abgeschafft, die Ex-Sklaven zu freien Bürgern erklärt.

Erst vor diesem Hintergrund offenbart die an den Rütli-Schwur erinnernde Verschwörung im Bois Caiman ihren politischen Sinn. England und Spanien lieferten den Sklaven Waffen, um das revolutionäre Frankreich zu schwächen und ihm seine lukrative Kolonie zu entreißen. Die Aufständischen wiederum verlangten die Wiedereinsetzung des Königs, der die Zahl der Peitschenhiebe auf 50 begrenzt hatte und deshalb als „Freund der Schwarzen“ galt.  

Aufstand gegen die alltägliche Gewalt. Demonstrant im haitianischen Port-au-Prince unweit des Wohnsitzes des Premierministers (August 2023)

© AFP/Richard Pierrin

Das Haus der Kulturen enthistorisiert die Geschichte, die Französische Revolution kommt im Begleittext nicht vor, und die Verschwörung von Bois Caiman wird, losgelöst vom Kontext, der das Geschehen begreifbar macht, auf den Voodoo-Kult reduziert. Dass die Anführer des Sklavenaufstands, Toussaint Louverture, Dessalines und Christophe den Voodoo bekämpften, wird nicht erwähnt. Die Veranstaltung nähert sich so der Blut-und Boden-Ideologie, nicht von rechts, sondern von links, aus der Woke-Ecke kommend, was die Sache nicht besser macht, und beschwört in raunendem Imperfekt: „Akte der Verwurzelung und Erdung (…) in der Dunkelheit des Waldes, der Dunkelheit des Wissens und Nichtwissens, der Dunkelheit, die Unsichtbarkeit ermöglicht, der Dunkelheit, die befreit.“

Seinen Entschluss zur Rückeroberung der Kolonie hat Napoleon später als folgenreichen Fehler bezeichnet. Die Niederlage der Invasionsarmee bewog ihn, das bis zu den Rocky Mountains reichende Lousiana-Territorium an die USA zu verkaufen, die dadurch zur Weltmacht wurden.

Doch das Haiti-Festival im Haus der Kulturen ist kein nachgeholter Geschichtsunterricht und kein Korrektiv für die Ignoranz der Medien, die Haiti nur erwähnen, wenn menschengemachte Desaster oder Naturkatastrophen das Land heimsuchen. Dem Publikum ist nicht vorzuwerfen, dass es sich an Musik, Tanz und haitianischer Küche delektiert, die besser ist als ihr Ruf, auch wenn die begleitende Ausstellung mit Patchworks und Airport Art nur Klischees vom globalen Süden evoziert.

Kritisch wird es, wenn nicht bloß die Vergangenheit, sondern auch die politische  Gegenwart verfälscht oder unterschlagen wird. Das von Krisen gebeutelte Haiti erlebt zur Zeit das schwierigste, seit langem blutigste Kapitel seiner wechselvollen Geschichte. Der demokratisch gewählte Präsident wurde im Bett erschossen, Hintermänner und Auftraggeber des Komplotts nie dingfest gemacht.

Herrschaft der Kriminellen

Port-au-Prince ist eine No-Go-Area, die Regierung hat die Herrschaft an Kriminelle abgetreten und kontrolliert nur 20 Prozent des Territoriums. Auf Befragen stellt sich heraus, dass die Hauptredner der Eröffnung, zwei prominente Autoren, in der Diaspora leben und Haiti aus Sicherheitsgründen nicht mehr betreten, während der Botschafter meint, das im Elend lebende Volk habe das Singen und Tanzen nicht verlernt. Und nur Kenia erklärt sich bereit, aktiv beizutragen zur Rettung des kollabierenden Staats.

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