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Künftig das politische Zünglein an der Waage: Indien. Abendstimmung in Mumbai.

© AFP/PUNIT PARANJPE

Das neue alte Machtgefüge: Herfried Münkler über die nationalen Allianzen des 21. Jahrhunderts

Der Berliner Politikwissenschaftler versucht in den weltgeschichtlichen Umbrüchen eine kommende Ordnung zu erkennen.

Herfried Münkler ist nicht nur ein ungemein kluger und scharfsinniger, sondern auch ein sehr produktiver Gelehrter. Mehr oder weniger im Jahresrhythmus erscheinen gewichtige neue Werke. So ist es nicht ganz überraschend, dass in der Bibliografie von „Welt im Aufruhr“ nicht weniger als 27 eigene Schriften verzeichnet sind.

Münkler kann zu vielen Themen des neuen Buches auf eigene Veröffentlichungen zurückgreifen, etwa bei geopolitischen Überlegungen zu „Raum“ und „Mitte“ oder, wenn es um „Erzählungen und Bilder der Weltordnung“ geht oder um die „Analytiker des großen Umbruchs“ Thukydides, Machiavelli und Clausewitz. Gerade über Machiavelli, der als florentinischer Diplomat im 15. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte, hat er schon viel publiziert.

Die Welt im Aufruhr war zunächst eine Welt im Umbruch. Nach dem Ende des Kalten Krieges gab es keinen „Hüter“ der globalen Ordnung mehr. Die USA konnten ihren Willen und ihre Wertvorstellungen nicht mehr global durchsetzen, wie die gescheiterten Interventionen im Irak und Afghanistan überdeutlich gezeigt haben. An die Stelle der im Großen und Ganzen stabilen Konstellation des Kalten Krieges traten unübersichtliche und instabile Verhältnisse. Aus der politisch saturierten Sowjetunion ging ein revisionistisches und zunehmend aggressives Russland hervor.

Dramatische Eskalation

Die einstige russische Sowjetrepublik, die nun den offiziellen Namen Russische Föderation führt, hat im Sicherheitsrat der UNO und anderen internationalen Organisationen den Platz der 1991 aufgelösten Sowjetunion eingenommen. Seit dem Beginn von Putins Präsidentschaft im Jahr 1999 hat Russland dann eine lange Reihe von militärischen Interventionen und Kriegen geführt, die mit dem Überfall auf die Ukraine 2022 eine dramatische Eskalation erfahren haben.

Einen konventionellen Krieg in Europa, bei dem ein Staat einen anderen überfällt, hatten die meisten Menschen nicht mehr für möglich gehalten. Seitdem ist die Welt im Aufruhr. Der russische Überfall auf die Ukraine ist die Folie, vor der Münkler seine Thesen entwickelt. Er geht dabei weit zurück, referiert vormoderne Modelle einer Friedensordnung ebenso wie die Konzeptionen von Rudolf Kjellén, Friedrich Naumann und Karl Haushofer, deren geopolitische Vorstellungen eines Deutschland in der Position einer starken Mitte in Europa im Zeitalter der Weltkriege eine wichtige Rolle spielten. Auch Carl Schmitt, wie könnte es anders sein, taucht im Lauf von Münklers Überlegungen immer wieder auf. Leider lässt sich das aber nicht systematisch nachverfolgen, weil dem Buch ein Personenregister fehlt, was gerade bei diesem Werk bedauerlich ist.

Eine zentrale Rolle spielt die Frage, wie eine künftige Weltordnung aussehen könnte. Münkler plädiert für eine Pentarchie, ein „Direktorium der globalen Ordnung“, das von fünf Großmächten gebildet wird. Die Zahl Fünf erscheint optimal, weil bei Dreien immer das Risiko besteht, dass sich zwei gegen den Dritten verbünden. Die Verhandlungen zwischen Großbritannien, dem Deutschen Reich und der Sowjetunion im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs, sind dafür ein gutes Beispiel. Sieben oder noch mehr Mächte machen die Situation wiederum zu unübersichtlich.

Beginn mit dem Westfälischen Frieden

Münkler verweist auf die Pentarchie, die sich in Italien nach dem Frieden von Lodi 1454 mit den Herzogtümern Mailand und Neapel, den Republiken Venedig und Florenz und dem Kirchenstaat ergab und die eine vergleichsweise friedliche Periode von immerhin 40 Jahren ermöglichte. Wichtiger für heutige Überlegungen ist die Pentarchie, die der Westfälische Frieden von 1648 etablierte.

Sie bestand zunächst aus Schweden, England, Frankreich, Spanien und dem Habsburger Reich, später traten Russland und Preußen an die Stelle von Schweden und Spanien.

Nach einer Periode des Volkskriegs, ausgelöst durch die Französische Revolution, gelang im 19. Jahrhundert in Europa durch den Wiener Kongress noch einmal die Einhegung der Gewalt. Schauplätze brutaler Massengewalt waren im Zeitalter des Imperialismus waren dagegen die Kolonien. Wirklich gescheitert ist diese Pentarchie erst nach mehr als zweieinhalb Jahrhunderten, im Sommer 1914.

Münkler geht auch für die Zukunft von einer Pentarchie aus, die zur Befriedung der Welt beitragen könnte: Auf der einen Seite die USA und die EU, auf der anderen Seite Russland und China. Der Intermediär zwischen der demokratischen und der autokratischen Seite könnte die aufstrebende Weltmacht Indien sein. Geopolitisch befindet sich das Land durch die immer wieder aufbrechenden Konflikte mit Pakistan und die Nähe zu China in einer unbequemen Lage.

Als „Zünglein an der Waage“ ist Indien in einer wesentlich schwächeren Position, als es Großbritannien im 19. Jahrhundert in Europa war. Eine Politik der Balance zwischen den Blöcken, die dem wertegeleiteten Westen nicht immer gefallen kann, ist die unvermeidliche Folge.

Dass es gelingt, eine solche neue Weltordnung zu etablieren, ist keineswegs sicher. Der Versuch kann auch scheitern. Der letzte Satz von Münklers Buch lautet: „Die Folgen wären furchtbar.“

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