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Die britische Künstlerin und ihre Frau im Doppelporträt aus dem Jahr 2012.

© Haus Kunst Mitte

Die Malerin Roxana Halls sprengt Konventionen: Tisch in Trümmern

Neue figurative Malerei im Berliner Haus Kunst Mitte. Die erfolgreiche britische Autodidaktin widmet sich queeren Frauenfiguren.

Ein großes Bild von Roxana Halls zeigt einen Trick aus der Zauberkiste. Da steht ein Tisch, üppig mit Geschirr und einem Tuch gedeckt. Guten Magiern gelingt es, das Tischtuch so schnell wegzuziehen, dass die fragilen Dinge still stehenbleiben. Bei Halls hingegen fliegen sie wild durch die Luft. Alles wird mit Krach zerschmettern, nichts ihr brachiales Experiment überstehen.

„Der Tischdecken-Trick“, gemalt 2011, ist unschwer als Parabel auf Halls’ eigene Biografie zu lesen. Die Künstlerin, Jahrgang 1974 und Kind einer Arbeiterfamilie, zertrümmert die Konventionen. Es betrifft ebenso ihre Karriere als erfolgreiche Autodidaktin wie ihre queere Beziehung. Das Porzellan muss aber auch kapitulieren, weil es als Symbol einer (gut-)bürgerlichen Existenz nicht für das Leben von Roxana Halls taugt. Stattdessen braucht sie andere Vorbilder und spürt ihnen nicht zuletzt in ihren Gemälden nach.

Selbstporträt als Roboter

„Threesome II“ (2018) ist so ein Fall und hängt im Haus Kunst Mitte deshalb prominent im ersten Teil einer umfangreichen Soloschau. Ein Selbstporträt mit Abendkleid und in etwas roboterhafter Haltung, die sich auf die blassen, bläulich leuchtenden Figuren im Hintergrund bezieht.

Dort stehen queere Frauenfiguren aus diversen Filmklassikern, die Progressivität vermitteln sollen und doch in Klischees gefangen bleiben. Ihnen setzt die Künstlerin eine Haltung entgegen – und das im Wortsinn. Geprägt von der Suche, konträr zum Konformen, aber noch nicht dort angelangt, wo etwas zum selbstverständlich Eigenen geworden ist.

„Girl Table“ gießt die Verunsicherung, die fixe Rollenbilder provozieren, ebenfalls in ein faszinierendes Gemälde. Eine junge, auffallend dünne Frau schwebt auf dem Stuhl, ihr plissierter Rock wird zum Tisch, auf dem Essen steht. Verzehrt sie sich selbst? Oder verzehrt sie sich nach Autonomie, einem realen Selbstbild?

„Laughing While Defacting“, Lachen bem Verunstalten, heißt ein anderes Werk von 2018. Es zeigt eine Malerin in ihrem Atelier. Kritisch beäugt sie sich im Spiegel, bereitet das nächste eigene Porträt vor – obwohl schon ein Dutzend davon herumsteht. Mit ihnen ist sie offenbar unzufrieden, denn sie hat die Münder übermalt. Nun lächelt sie, besser: grinst sie dank eines roten, brutalen Strichs im Gesicht.

Roxana Halls macht sich in ihrer Ausstellung auf die Suche nach künstlerischer Autonomie. Sie durchquert in großformatigen, delikat gemalten Motiven die figurativen Epochen des 20. Jahrhunderts und landet im Varieté.

Halls ist von Berlin inspiriert

Vor knapp zwei Jahrzehnten ließ Halls ein Reisestipendium zwischen den Metropolen London und Berlin pendeln. Letztere hat sich tief in ihrer Arbeit verankert: Die Künstlerin stieß bei Recherchen nicht bloß auf die reiche Travestieszene der 1920er Berliner Jahre, sondern auch auf ein rein lesbisches Theater in Schöneberg.

Dieser Zeit mit ihren changierenden Charakteren mündete in einem ganzen malerischen Zyklus, den sie 2009 im National Theatre in London ausstellte. Sechs davon hängen auch jetzt in der Ausstellung und leiten über zu den jüngeren Bildern.

Deren Motive sind zwar ebenfalls figurativ, schlagen jedoch ein neues Kapitel im Werk dieser spannenden Künstlerin auf. Hier lässt sie Freundinnen grimassieren und montiert sie in Szenen voller Chaos und Gefahr. Es brennt, eine Frau spielt mit Dynamit, ein böser Sturm fegt über die Landschaft. Doch die Figuren lachen unbeirrt.

Die Bilder lassen sich nicht mehr entschlüsseln, geben Rätsel auf – bloß weil Halls sich nicht an den erzählerischen Kanon hält, den ängstliche bis panische Mienen fordern. Die Künstlerin ist auf ihrem Weg, ein Ende nicht in Sicht. Aber die Station im Haus Kunst Mitte so vielversprechend, dass man gern mitgeht.

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