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Aus Frank Silberbachs Serie „Serie: Berlin 140°“, Unter den Linden, 2009.

© Stadtmuseum Berlin

Fotos von Frank Silberbach und Nikolaus von Safft: Der Rummelplatz des Lebens

Menschenleere Peripherie und das Gewusel belebter Plätze. Die analoge Schwarzweißfotografie in der Ausstellung „Berliner Kontraste“ im Ephraim-Palais zeichnet ein Stadtbild der Gegensätze.

Alles auf einmal und viel zu viel. Gleichzeitigkeit und Reizüberflutung gehören zu den Empfindungen, die das Wesen der Großstadt ausmachen. Mehr als 4000 Menschen kommen in Berlin auf einen Quadratkilometer, steht im Einleitungstext der Schau „Berliner Kontraste“ des Stadtmuseums zu lesen. Ach, deswegen ist es manchmal so voll.

1500 von ihnen fühlen sich berufen, nicht nur durch ihre Anwesenheit das Stadtbild zu prägen, sondern sich auch selbst ein Bild der Stadt zu machen. Sie sind dem Aufruf des Stadtmuseums gefolgt, der die Doppelausstellung der analogen Schwarzweißfotografie von Frank Silberbach und Nikolas von Safft im Ephraim-Palais begleitet. Ein schöner Gimmick aus der Rubrik Museum zum Mitmachen, dessen Ergebnisse sich nicht nur online anschauen lassen. Sondern als Auswahl auch auf Tischchen direkt in der ausgedehnten Präsentation der Profifotografen gezeigt werden.

Aus Frank Silberbachs Serie „Berlin 140°“, Friedrichstraße, 2008
Aus Frank Silberbachs Serie „Berlin 140°“, Friedrichstraße, 2008

© Stadtmuseum Berlin

Die Grundsatzentscheidung, sich motivisch entweder für die Menschen und Tiere oder die urbane Architektur und Infrastruktur zu interessieren, teilen die Hobbyfotografen mit Silberbach und von Safft. Und manchmal – wie in der atmosphärischen Szene, die Mustafa El-Taie im Januar 2021 eingefangen hat, kommt beides zusammen. Seine „Berliner Nachtwache“ zeigt die schwarze Silhouette eines Vogels im kahlen Geäst, über dem – wie zum Greifen nah und technoid glänzend – die Kugel des Fernsehturms leuchtet. Ein ästhetisches Stillleben mit Witz.

21000 Negative hat er fotografiert

Apropos Witz. Der gehört zu den Markenzeichen von Frank Silberbachs Fotos. Der 1958 geborene Fotograf ist ab 2004 mit einer Bildkolumne in der „Berliner Zeitung“ bekannt geworden. Auch nach deren Ende vier Jahre später, war er bis 2015 weiter mit einer analogen Schwinglinsenkamera kreuz und quer in Berlin unterwegs. Die Essenz der dabei entstandenen 21.000 Negative hat das Stadtmuseum nun für seine fotografische Sammlung angekauft. 72 dieser 96 Panoramafotos sind jetzt zu sehen.

Kontrastiert um die menschenleeren Stillleben, in denen der in West-Berlin sozialisierte Nikolas von Safft, Jahrgang 1941, ab 2004 die Veränderungen der städtischen Peripherie erkundet. Bushäuschen im Nirgendwo, Multifunktionsbauen im Gewerbegebiet, Jägerzäune, Schilder und Straßen erzählen davon, wie die mauerlose Stadt weiter ausfranst und ins Brandenburgische wächst. Eine Nicht-mehr-Land-, aber Noch-nicht-Stadt-Zwischenzone entsteht, die wenig Lieblichkeit, aber viel Seltsames an sich hat.

Aus Frank Silberbachs Serie „Berlin 140°“, Trabrennbahn Karlshorst, 2009.
Aus Frank Silberbachs Serie „Berlin 140°“, Trabrennbahn Karlshorst, 2009.

© Stadtmuseum Berlin

Dass liebliche Berlin lässt sich auch bei Frank Silberbachs Panoramen selten blicken. Seine Straßenfotografie, die durchaus Innenräume wie das Bode-Museum oder die kombinierte Geburtstags- und Silvesterfeier einer Freundin einschließt, nimmt die Absurditäten des Alltags in den Blick. „Bratwurst, Hunde, Luftballons. Nicht die Oper, sondern der Rummelplatz des Lebens“, schreibt der Schriftsteller Thomas Brussig im Bildband „Berlin 140°“, der 2013 in der Edition Braus mit Silberbachs Stillleben erschienen ist.

Das Raue der Stadt ist Geschichte

Dieses Berlin der 2000er- und 2010er Jahre sei inzwischen bereits Geschichte, vermutet Silberbach beim Treffen im Ephraim-Palais. Schon in den Jahren, als die Brüche der Stadt noch sichtbarer, die Quartiere und ihre Bewohner weniger geglättet waren, habe sich ein guter simultaner Augenblick, wo ein Bild zwei, drei Motive in einem enthält, sehr selten eingestellt. Silberbach hat die Jahreszeiten, Tod (Beerdigung), Leben (Geburtsstation) und Feiertage eingefangen. Menschen, die auf Rasenflächen liegen. Hunde, die sich bespringen und Menschen, die einander begegnen.

Am Stadtrand. Aus der Serie „Rundgang 2004-2008“ von Nikolas von Safft.
Am Stadtrand. Aus der Serie „Rundgang 2004-2008“ von Nikolas von Safft.

© Nikolas von Safft

Oder eben nicht. Wie die Opernbesucherin und der Bettler, die 2009 vor der Staatsoper Unter den Linden aufeinander treffen und zugleich für sich in ihrer eigenen Welt bleiben. Oder die Volkstanzgruppe in Tracht 2010 in der Mauerstraße. Am linken Bildrand tanzt die Gruppe, rechts rollert eine Frau mit Sackkarre vorbei und bugsiert einen schweren Reifen.

Alles passiert in einem 140°-Sichtfeld, das ungefähr dem menschlichen Blick entspricht. „Diese szenische Gleichzeitigkeit finde ich reizvoll“, sagt Silberbach. Warum er die Komik und Tragik des urbanen Lebens stets in Schwarzweiß abgelichtet hat? „Für meine Fotografie brauche ich die Farbinformation nicht. Ich zeige, wie Leute gucken, wie sie sich bewegen, nicht, ob jemand ein grünes oder rotes Hemd anhat“.

Eines hat Silberbach, der 1984 einen Ausreiseantrag aus der DDR stellte und neben seiner Arbeit für Magazine und Zeitschriften auch ausgedehnte Reisen, etwa nach China, unternommen hat, festgestellt: In Berlin gebe es verglichen mit anderen Städten überdurchschnittlich häufig die Gelegenheit, die von ihm geschätzte Alltagskomik in Bilder zu bannen. Das Provisorische, Unfertige der Stadt leiste der Ironie Vorschub. Aber nur, wenn man genau in der richtigen Sekunde auf den Auslöser drückt.

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