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Kann man die Gesellschaft mittels Kunst heilen? Ariane Littman bandagiert in ihrer Performance „The Olive Tree“ von 2012 einen Olivenbaum am Kontrollpunkt des Dorfes Hizma in Jerusalem.

© Photo: Rina Castelnuevo. Copyright: the artist

Kunst aus Israel in Berlin: Zwölf Stimmen aus einem gespaltenen Land

In der Ausstellung „Who by Fire“ im Haus am Lützowplatz blicken jüdische, palästinensische und arabische Künstler auf ihr Land.

Die Situation in Israel fühle sich an, als würde man auf Eiern laufen, so beschrieb es der israelische Kuratur Liav Mizrahi bei seinem Besuch in Berlin im Juli. Man wisse nie, was als Nächstes passiere.

Inzwischen ist Benjamin Netanyahu mit seiner umstrittenen Justizreform weiter vorangeschritten, die Politik spaltet die Gesellschaft. Zehntausende demonstrieren seit Monaten regelmäßig für einen demokratischen Staat Israel, den sie mit der rechtskonservativen Regierung zu verlieren glauben.

Auf den Straßen sind neben Reservisten, Ärzten und Gewerkschaftlern auch viele Künstler:innen, die mit kreativen Aktionen bei den Protesten für Aufmerksamkeit sorgen.

Israelische Kunst als Spielball

Mizrahi sagt sogar, er sehe das Land kurz vor einem Bürgerkrieg. Der in Tel Aviv lebende Kurator, Lehrer und Künstler zeigt die Ausstellung „Who by Fire“ in Berlin, die noch bis Ende August im Haus am Lützowplatz läuft. Zwölf israelische Künstler:innen blicken auf ihr Heimatland, den angespannten Alltag, auf die Siedlungspolitik, den Zionismus und die israelische Identität.

Es sind Arbeiten, von denen Mizrahi sagt, es sei vorstellbar, dass sie in Israel im Moment gar nicht gezeigt werden könnten. Höchstens in privaten Räumen. In öffentlichen Institutionen schrecke man vor Reizthemen zurück. Auch die Kunst wird zum Spielball widerstreitender Interessen. Es gab bereits Vorfälle, mit kritischen Werken, die abgehängt werden sollten, wie 2022 im Ramat Gan Museum nahe Tel Aviv.

Liav Mizrahi, Jargang 1977, ist Kurator, Künstler und Lehrer. Er lebt in Tel Aviv und hat „Who by fire“ kuratiert.
Liav Mizrahi, Jargang 1977, ist Kurator, Künstler und Lehrer. Er lebt in Tel Aviv und hat „Who by fire“ kuratiert.

© Orel Choen

Deutschland ist als Austragungsort für diese Ausstellung aber ähnlich ungewöhnlich. Israelkritik ist hierzulande ein sehr sensibles Thema. Dazu kommt: Ein Jahr liegt die Documenta zurück, bei der ein antisemitisches Bild auf dem Friedrichsplatz gezeigt wurde, bei der es gegen Kuratoren und Beirat BDS-Vorwürfe gab und den Verdacht, dass jüdisch-israelische Künstler bei einer staatlich finanzierten Veranstaltung still boykottiert und nicht eingeladen worden sind.

Documenta und die Antisemitismusdebatte

Dass nun zwölf Israelis in Deutschland auftreten, sei keine direkte Reaktion auf die Documenta, sagt Mizrahi. Schon 2021 sei das Konzept zu „Who by fire“ entstanden. Die ursprüngliche Idee war, das Land aus der Perspektive kritischer Israelis darzustellen, auch die Protestbewegungen ins Auge zu fassen. Dann wurde Netanyahu wiedergewählt, die innerpolitischen Probleme und die Spaltung der Gesellschaft haben sich dramatisch verschärft.

Mizrahi ist inzwischen besorgt, dass die Stimmen kritischer Künstler:innen zunehmend aus der israelischen Öffentlichkeit herausgehalten werden sollen. Zwischen liberalen, weltoffenen Milieus und rechtsnationalen, konservativen Gruppen ist die Zündschnur kurz.

In der Videoinstallation von Amir Yatziv von 2009 wird eine künstliche arabische Siedlung, die den Israelis als Kampf-Trainingsort dient, verschiedenen Stadtplanern zur Optimierung vorgelegt – ohne dass diese den Hintergrund kennen.
In der Videoinstallation von Amir Yatziv von 2009 wird eine künstliche arabische Siedlung, die den Israelis als Kampf-Trainingsort dient, verschiedenen Stadtplanern zur Optimierung vorgelegt – ohne dass diese den Hintergrund kennen.

© Amir Yatziv

Im Zusammenhang mit der Documenta-Diskussion wurde wiederholt behauptet, die BDS-Nähe der internationalen Kunstszene führe dazu, dass Künstler aus Israel ausgeschlossen würden. Mizrahi sagt, er beobachte seit etwa zwei bis drei Jahren weniger israelische Künstler im internationalen Ausstellungsgeschehen.

„Freunde stellten in den 90er und 2000er Jahren überall in der Welt aus, in den USA, in Europa. Das hat sich geändert. Veranstalter haben Angst davor, israelische Künstler zu zeigen.“ Dahinter stecke nach seiner Ansicht aber kein Judenhass, sondern Angst vor den Reaktionen auf die Kunst aus Israel, so Mizrahi. Jede Äußerung wird als Positionierung im Nahost-Konflikt gelesen. Niemand will sich angreifbar machen.

Araber und Juden gemeinsam in einer Ausstellung

Die Zusammensetzung der an dieser Ausstellung beteiligten Künstlerinnen ist ein Abbild der israelischen Gesellschaft. Bis auf Leon Kahane, der einen deutschen Pass hat, sind alle beteiligten Künstler israelische Staatsbürger. Shlomo Pozner ist aus einem ultraorthodoxen Milieu, Ariel Reichmanns Eltern stammen aus der Siedlerbewegung. Beide leben in Berlin. Andere leben in Israel. Ein Künstler ist Palästinenser, weitere gehören der arabischen Minderheit an, sie sind christlichen, drusischen und jüdischen Glaubens. Gruppen, die aufgrund der Konflikte im Land selten zusammen ausstellen.

In israelischen Städten und Vierteln leben Araber und Juden jedoch Tür und Tür. „Man spricht nicht über die kritischen Themen, aber man akzeptiert sich“, sagt Mizrahi. „Aber dieser Status Quo ist zerstört. Die Reform ist gegen das Liberale gerichtet, gegen LGBTQ-Rechte, gegen Rechte für Araber. Es heißt, das Judentum muss gegen diese Einflüsse, die man als schlecht empfindet, verteidigt werden“, so Mizrahi. Er sieht die Diversität in Gefahr.

Ultraorthodoxe und säkulare Juden

In der Ausstellung treten die in Berlin lebenden Künstler Leon Kahane und Shlomo Pozner, wie schon zuvor, im Team auf. Ihre beiden Videoarbeiten hängen nebeneinander und zeigen zwei gegensätzliche Lebenswege in Israel. Pozner hat seinen Bruder, einen jungen orthodoxen Juden, interviewt, der über die Auswahl seiner zukünftigen Braut spricht und sich auf das erste Treffen mit ihr vorbereitet. Eine arrangierte Ehe und ganz andere Probleme als im zweiten Film.

Komplexe Zusammenhänge. Wichtig war es den Ausstellungsmachern die lokale Perspektive aus Israel nach Deutschland zu bringen. In der Mitte die Bronzeskulptur von Ella Littwitz.
Komplexe Zusammenhänge. Wichtig war es den Ausstellungsmachern die lokale Perspektive aus Israel nach Deutschland zu bringen. In der Mitte die Bronzeskulptur von Ella Littwitz.

© Marcus Schneider

Dort beobachtet man einen jungen Verwandten Kahanes dabei, wie er in seinem Tel Aviver Kinderzimmer seine Sachen packt. Am nächsten Morgen soll er seinen dreijährigen Dienst im israelischen Militär antreten – eine Pflicht, von der ultraorthodoxe Juden normalerweise befreit sind. Ein Streitpunkt in Israel, der sich durch die Politik der religiös geprägten Regierung verstärkt.

Gründungsgeschichte des Staates Israel

Nationalismus und Territorialisierung verhandelt die 1982 geborene Künstlerin Ella Littwitz mit zwei Symbolen. Ihre Skulptur zeigt einen bronzenen Baumstumpf, der von einer Terrazzoplatte in der Balance gehalten wird. Der Bronzestumpf ist ein Abguss vom Rest des Baumes, den der jüdisch-ungarische Publizist Theodor Herzl bei seinem Besuch in Palästina 1898 als Zeichen für die jüdischen Siedler gepflanzt hat.

Wut auf Ungerechtigkeit. Avner Pinchover wirft in seiner Performance „Riot Glass“ Steine auf eine Glaswand vor einer Landschaft im Norden Israels.
Wut auf Ungerechtigkeit. Avner Pinchover wirft in seiner Performance „Riot Glass“ Steine auf eine Glaswand vor einer Landschaft im Norden Israels.

© Misha Kaminsky Copyright: der Künstler / the artist

Herzl, der geistige Vater des Staates Israel und Begründer des Zionismus, traf damals während einer Reise vor Ort Kaiser Wilhelm II.. Herzl wollte die Zustimmung des Regenten für ein „deutsches Schutzgebiet für Jüdinnen und Juden“ innerhalb des Osmanischen Reiches einholen. Sein Ansinnen wurde abgelehnt, der Baum 1915 abgeholzt. Der Stumpf aber blieb und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, von einem Eisengitter geschützt, zum Zeichen für die Wiederauferstehung des jüdischen Volkes.

Littwitz bekam erst nach jahrelangem Bemühungen die Erlaubnis, einen Abguss des nationalen Wahrzeichens zu machen. Auch die Terrazzofliese, die sie unter ihre Bronzeskulptur geklemmt hat, ist höchst symbolisch. Terrazzofliesen finden sich in vielen israelischen Häusern. Es ist einer der häufigsten Baustoffe in der Region, schnell und einfach herzustellen, im Laufe der Jahre gerieten die sogenannten Sumsum-Fliesen als minderwertig, ärmlich und arabisch in Verruf.

Unlösbare Konflikte

Auf welchen Werten gründet der israelische Staat, was prägt die kollektive Identität, welche Werte sollen künftig gelten? Diese Fragen samt der damit verbundenen widersprüchlichen Gefühle schwingen in den Arbeiten der Ausstellung mit. Im Schaumstoffpanzer von Dina Shenhav auf sehr plastische Art. Emotional in den Mullbinden-Arbeiten von Ariane Littman und hintergündig-ironisch in dem filmischen Experiment zu einer arabischen Geisterstadt von Amir Yatziv.

Liberal zu sein, die Politik der aktuellen Regierung zu kritisieren und gleichzeitig das zionistische Ethos zu vertreten, schließt sich übrigens nicht aus. Kurator Liav Mizrahi spricht von einem zeitgenössischen Zionismus, der unter den Protestierenden sehr verbreitet ist.

„Es muss einen Platz für das jüdische Volk geben, aber nicht unter Missachtung der Rechte der Araber“, erklärt er die Haltung moderner Zionisten. Ein Weg, den die rechts-religiösen Kräfte im Land als unmöglich ansehen. Vielleicht kann diese Ausstellung hiesige Besucher:innen dazu anregen, Verständnis für die aktuelle Situation zu entwickeln und dem Impuls zu widerstehen, sich sofort zu positionieren.

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