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Thibaut Garcia 2019 Photo: Marco Borggreve

© Warner Classics Erato / Marco_Borggreve

Charme ist Französisch für Zauber: Countertenor Philippe Jaroussky und Gitarrist Thibaut Garcia

Beim Konzert im Kammermusiksaal verband sich Verletzlichkeit mit Virtuosität, Zartheit mit theatralem Ausdruck und Leidenschaft. Unser Autor war dabei.

Zwei Klangwelten treffen am Mittwochabend im Kammermusiksaal aufeinander. Üblicherweise kommt man nicht gleich auf die Idee, beide in einem Atemzug zu nennen – und doch zeigt sich schnell, wie verblüffend gut sie zusammenpassen: Die Welt von Countertenor und Gitarre. Und zwar nicht nur in der so genannten Alten Musik (warum spricht man eigentlich nicht, analog zum englischen Begriff „Early Music“, von „Früher Musik“, das klingt doch viel attraktiver?), sondern auch in Kompositionen des 19. und 20. Jahrhunderts.

Was Philippe Jaroussky und Thibaut Garcia präsentieren – Lieder aus Europa und Südamerika, von Francis Poulenc, Franz Schubert, Enrique Granados oder Ariel Ramírez – gleicht einem Wunder: an Zartheit, Intimität und dabei auch theatraler Expressivität, Leidenschaft. Anders als das perkussive, den Klang durch einen Schlag erzeugende Klavier ist die Gitarre ein diskreter Liedbegleiter. Doch geht sie mit der von silbriger Maskulinität durchzogenen hohen Countertenorstimme eine geradezu chemische Verbindung ein, von der man erst jetzt, nachdem man sie erstmals hörte, weiß, wie sehr sie die ganze Zeit gefehlt hat.

Überlässt kunstfremden Gedanken kein bisschen Bühne: Countertenor Philippe Jaroussky

© Warner Classics Erato / Simon Fowler

Bis auf den letzten Platz ist der Kammermusiksaal besetzt: Der Name Jaroussky zieht. Nur zwei Musiker also auf einem weiten, leeren Podium, eine magere Besetzung – und doch ist da vom ersten Augenblick an eine Atmosphäre reiner Kunst, die das Publikum in ihren Bann zieht. Jarrouskys Stimme, zu Beginn noch brüchig und ihre eigenen Gefährdungen nicht verbergend, gewinnt rasch an Kraft und Sicherheit. Der Franzose singt, das macht ihn so speziell, mit ganzem Körper. Es ist, als sei da kein Platz für auch nur den Hauch eines kunstfremden Gedankens. Ein nicht nur akustisch, sondern auch visuell bewegendes Ereignis.

Singt silbrig maskulin, mit dem ganzen Körper

Wenn Jaroussky anhebt zu Dowlands „In Darkness let me dwell“, ist es, als ob die Stimme tatsächlich aus einer weitentfernten Dunkelheit in den Kammermusiksaal hereinweht. Für Didos Klagegesang „When I am laid in earth“ von Purcell steht er auf, vorher saß er, offenbar fällt ihm das Singen im Sitzen leichter, verblüffend auch das. Dann der erste Höhepunkt: Das Duett „Nel cor più non mi sento“ („In meinem Herzen fühle ich nicht mehr“) aus Giovanni Paisiellos Oper „La molinara“ („Die Müllerin“). Richtig gelesen: ein Duett, Jaroussky singt beide Stimmen und demonstriert, dass er sich auch in der baritonalen Lage bewegen kann, zumindest kurzzeitig. Für die Arie „Di tanti palpati“ aus Rossinis „Tancredi“ kehrt er dann schnell wieder zu Koloraturen zurück.

Thibaut Garcia ist abgesehen von der schlichten Tatsache, dass er sehr gut aussieht, ein betörender Gitarrenspieler, dabei keine Rampensau, sondern eher einer, der aus der Stille, aus der Zurückhaltung heraus nach vorne drängt, dann entschlossen zugreift und dadurch umso eindringlicher wirkt. „La cumparsita“ heißt ein berühmter Tango für Gitarre solo des uruguayischen Komponisten Gerardo Matos Rodriguez, und wenn Garcia ihn spielt, dann versteht man plötzlich, warum „Charme“ das französische Wort für „Zauber“ ist.

Völlig überflüssiges Pardon

Dann folgen jene Minuten, die wohl am längsten in Erinnerung bleiben werden, nämlich das bis dahin – neben Mozarts „Abendempfindung an Laura“ – einzige deutsche Lied des Abends: Schuberts „Erlkönig“. Schwierig sei es zu singen, schwierig zu spielen für Gitarre, entschuldigen sich beide vorab, doch das ist gar nicht nötig. Mindestens vier Ebenen verdichten sich auf einmal zu einem einzigartigen Moment, Goethes dramatische Verse, Schuberts mitreißende Vertonung, das Gitarrenarrangement von Garcia und eben dieser countertenorale, überirdische Gesang von Jaroussky, der die Stimmen von Erzähler, Vater, Sohn und Erlkönig dramatisch gestaltet. Zu sehen und zu hören, wie sich hier ein französischer Muttersprachler das vielleicht größte Liedkunstwerk, das die deutsche Kultur hervorgebracht hat, aneignet – das treibt einem einen leichten Schauer über den Rücken.

Über Stücke der Chansonnière Barbara, des Brasilianers Luiz Bonfá, des Argentiniers Ariel Ramirez oder von Benjamin Britten neigt sich dieser bemerkenswerte Abend dem Ende zu. Ein Abend, an dem sich Jaroussky und Garcia nicht nur als große Musiker präsentieren, sondern auch als Humoristen: Manchmal würde Philippe auch dazu tanzen, so kündigt Thibaut Garcia ein von Federico García Lorca arrangiertes Volkslied an. Der so Angesprochene wehrt mit hektischen Armbewegungen ab: „Non Non Non!“. Ob Jaroussky tatsächlich getanzt hat, lassen wir jetzt mal offen. Manchmal muss man eben einfach ins Konzert gehen.

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