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Bruno Pélassy mit einem Steestern am  Coco Beach in Nizza 1997.

© Laura Cottingham

Ausstellung „Bruno Pélassy and the Order of the Starfish“: Von der Verletzlichkeit des Körpers

Bruno Pélassy war ein Fan der exotischen Unterwasserwelt. Das Haus am Waldsee widmet dem früh an Aids verstorbenen Künstler eine Ausstellung mit Zeitgenossen.

Sie wackeln kreuz und quer über den Fliesenboden oder verharren dort wie vor Kälte zitternd auf der Stelle. Unter den Haarteilen und Fellknäulen im Wintergarten des Hauses am Waldsee stecken batteriebetriebene Spielfiguren. „Bestioles“ (Krabbeltiere) nannte Bruno Pélassy seine lustigen und auch anrührenden Schöpfungen.

Waldsee-Leiterin Anna Gritz hatte die nervösen Tierchen und andere Werke des 2002 früh verstorbenen Künstlers vor acht Jahren in Frankreich für sich entdeckt und stellt seine Arbeiten nun erstmals in größerem Umfang in Deutschland aus.

Perlen und Kristallglas

Pélassys Werk sprengt jede Schublade. Er, der nie eine Kunstschule besucht hatte (obwohl er in Nizza nahe der Akademie wohnte und mit dortigen Student:innen befreundet war), malte, zeichnete, performte und schuf Videoarbeiten. Dass er Textil- und Schmuckdesign studierte und zeitweilig für den Kristallglas-Hersteller Swarovski tätig war, ist im Haus am Waldsee kaum zu übersehen.

Um einen mit Samt umwickelten Ast ringelt sich im Erdgeschoss eine Schlange aus weißen Kristallperlen. Das von einer Perlenschnur zusammengehaltene Reptil wirkt verführerisch und brüchig zugleich. Weitere strassbesetzte Objekte im ersten Stockwerk stiften Verwirrung darüber, ob man gerade katholische Reliquien oder Sextoys betrachtet.

Spiritualität und Sex fließen ineinander. Wir haben es überhaupt mit einer ausgesprochen fluiden Ästhetik zu tun. Der Ausstellungstitel „Bruno Pélassy and the Order of the Starfish“ bezieht sich auf Erinnerungen einer engen Freundin des Künstlers, der US-Kunstkritikerin Laura Cottingham. Pélassy, der gern im Meer schwamm und tauchte, fischte einmal einen Seestern aus der Tiefe und legte sich das Weichtier wie einen Orden an die Brust. Das Foto aus Cottinghams Album ziert den Umschlag der Ausstellungsbroschüre. In einem Text schreibt sie, dass „die Inspiration aus dem Mittelmeer, vor allem die exotische Unterwelt der Tiere und Pflanzen“ Pélassys Werk durchdringe.

Die Unterscheidung zwischen Tier und Pflanze verschwimme im Meer, so Cottingham, und das sei „eine perfekte Metapher für die philosophischen Grenzen aller binären Unterscheidungen: Gut und Böse, Männlich und Weiblich, Tag und Nacht, Schwarz und Weiß“. In der Ausstellung stößt man auf ein Aquarium, in dem eine „Qualle“ aus schwarzer Seide und Spitze treibt.

Keine binären Unterscheidungen

Anna Gritz hat sich (nicht nur wegen ihres beschränkten Budgets) gegen eine Solo-Retrospektive entschieden. Pélassys Werke werden von Arbeiten weiterer Künstler:innen ergänzt. An einem Fenster vis à vis der schon genannten Stoff-Meduse im Aquarienwasser ist ein Regal mit farbigen Gläsern angebracht, eine Arbeit von Marc Camille Chaimowitz, die Pélassy gewidmet ist und 2016 im Rahmen einer Londoner Ausstellung entstand.

Ganz unmittelbar mit der Berliner Schau verbunden ist Soshiro Matsubaras Beitrag. Neben einer Reihe von Lampen-Objekten hat der japanische Künstler die Ausstellungsarchitektur geschaffen. Ins Erdgeschoss baute Matsubara einen düsteren Korridor mit rostrot gestrichenen Wänden, hinzu kommt eine weiße Wandbespannung in einigen anderen Räumen, die eine konträre Stimmung evoziert.

Zwischen Kunst, Objekt und Schmuck: Bruno Pélassy, „Sans titre“, 2000.
Zwischen Kunst, Objekt und Schmuck: Bruno Pélassy, „Sans titre“, 2000.

© AAA Production/Michel Coen, Courtesy Pélassy-Familie und Air de Paris, Romainville

Das älteste Exponat im Haus am Waldsee stammt von der argentinisch-französischen Künstlerin Leonor Fini (1907-1996). Für ihren Flakon für das 1937 vom Modehaus Schiaparelli herausgebrachte Parfum „Shocking“ ließ sich Fini vom libertären Image der Hollywood-Diva Mae West inspirieren. Die erotisch-freizügige Motivik und die Tatsache, dass Fini als Malerin mit den Surrealisten um André Breton assoziiert wurde (was sie zeitlebens zurückwies), verbinden das Objekt mit dem Werk Bruno Pélassys, der vom Surrealismus stark beeinflusst war.

Ein Parfüm für Mae West

Mit 21 infizierte sich Pélassy mit dem HI-Virus, 15 Jahre später starb er an Aids. Der Künstler hat sich bewusst mit dem nahenden Ende auseinandergesetzt. Man spürt in seinen Arbeiten auch den Lebenshunger, über den seine Freundin Laura Cottingham schreibt: „1997, als ich ihn kennenlernte, befand sich Bruno in einem Lazarus-Stadium, voll von jener Lebendigkeit, die, davon bin ich überzeugt, nur diejenigen kennen, die dem Tod so nahe waren.“

Anna Gritz sagt, das Unvollendete und Brüchige seines Werks sei die Hauptmotivation dafür gewesen, parallel noch andere Positionen zu zeigen. „Ich wollte Pélassys Kunst nicht als abgeschlossenes Werk zeigen“, sagt die Kuratorin, „sondern im Austausch mit anderen Werken eine Reibung erzeugen. Mir geht es nicht um eine Zeit, die vorbei ist. Die Fragen, die sich in der Aids-Krise damals stellten, bleiben aktuell. Wir denken ja auch heute über die Zerbrechlichkeit des Körpers nach, über funktionierende oder marode Gesundheitssysteme und über Pflege.“

Krankheit als Normalzustand

Nachdenken über Gesundheit. In einigen Werken hallt Gritz’ Ausstellungseinstand am Waldsee nach: Leila Hekmat verwandelte das Haus im vergangenen Jahr mit „Female Remedy“ in ein skurriles Hospital. Jetzt häufen sich in einer Raumecke James Richards’ „Found Objects and Self Diagnosis Kits“ – ein Sammelsurium von medizinischen Tests und anderen (Haushalts-)Produkten, mit denen man ohne ärztlichen Beistand einige Zeit alleine durchkommen könnte. Jesse Darling hat zwei Krücken so verformt, dass man meint, sie könnten wie Cartoon-Figuren laufen. Wer seinen Gebrechen komische Seiten abringt, lebt damit womöglich leichter.

Krankheit als Normalzustand, das trifft gewiss einen Aspekt von Pélassys Leben und Praxis. 1994 und 1995 zeichnete er eine Reihe von Bleistiftporträts, nach Vorlagen aus der Haarpflege und aus medizinischen Fachbüchern. Fönfrisur trifft Hautkrankheit, eine unheimliche, aber durchaus lebensnahe Kombination. Schade ist es schon, dass es jetzt keine Soloschau des Franzosen in Berlin gibt.

Die „Seestern“-Schau ist durch die zusätzlichen Werke sehr vielarmig geraten, vor lauter Tentakeln droht der Hauptstrang – Bruno Pélassy – aus dem Blick zu geraten. Direkt nach der ähnlich ausufernden Schau von Tolia Astakhishvili hätte man sich zur Abwechslung mehr Stringenz gewünscht.

Doch vielleicht gibt das irrlichternde Schaffen Pélassys diese Klarheit gar nicht her. Er war wohl ein Experimentator, immer auf dem Sprung, gerne jäh die Richtung wechselnd. Wie seine verspielten „Bestioles“, die wackeln, wohin sie wollen.

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