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Jake (Ethan Hawke) und Silva (Pedro Pascal)

© Studio Canal

Almodóvar-Kurzfilme im Kino: Schwuler als John Wayne

Mit dem Western „Strange Way of Life“ und dem Kammerspiel „Die menschliche Stimme“ beweist Pedro Almodóvar auch sein Händchen für filmische Miniaturen.

Von Andreas Busche

Im kommerziellen Kino ist der Kurzfilm ein eher ungeliebtes Format – erst recht, seit dort die Standardlänge schon länger zu zwei Stunden plus tendiert. Seine Popularität hat erst mit dem Boom der Streamingdienste wieder zugenommen; und das nicht nur, weil sich 30-Minüter zu Hause leichter weggucken lassen. Namhafte Regisseure finden an dem kurzen Format wieder Gefallen, seit sich das Nutzerverhalten verändert hat und dadurch auch die Nachfrage nach „Inhalten“ größer geworden ist.

Dass Sonntagnacht Wes Anderson nicht nach Los Angeles gereist war, um seinen ersten Oscar für die 39-minütige Netflix-Produktion „The Wonderful Story of Henry Sugar“ persönlich entgegenzunehmen, hat dem Vernehmen nach jedenfalls nichts mit mangelndem Respekt gegenüber der kurzen Form zu tun.

Almodóvar liegt die kurze Form

2020 hat der spanische Regisseur Pedro Almodóvar das Format dazu genutzt, die Anfänge der Pandemie zu überbrücken. Auf dem Filmfestival in Venedig feierte 2020 die Verfilmung des Jean-Cocteau-Einakters „Die menschliche Stimme“ seine Premiere: Es war Almodóvars erste, eigentlich längst überfällige Arbeit mit Tilda Swinton; und sein erster auf Englisch gedrehter Film. Ihm schien das Format zu liegen, denn gleich nach seinem nächsten Langfilm „Parallele Mütter“ kehrte Almodóvar zum Kurzfilm zurück. Mit „Strange Way of Life“, der vergangenes Jahr in Cannes lief, versuchte er sich an einem für ihn ungewohnten Genre, dem Western.

Lange war kaum vorstellbar, wie „Brokeback Mountain“ wohl ausgesehen hätte, hätte die Almodóvar damals das Angebot angenommen, die Kurzgeschichte von Annie Proulx für ein Hollywoodstudio zu verfilmen. Der 30-minütige „Strange Way of Life“ lädt nun immerhin zum Spekulieren ein, der Regisseur selbst hat ihn als seine Antwort auf Ang Lees Film bezeichnet. Almodóvar war schon immer eher im Camp-Lager zu Hause, das Melodram interessiert ihn mehr als das Drama.

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Wenn „Mandalorian“-Star Pedro Pascal in der Eröffnungssequenz also in einer grünen Jeansjacke in das Kaff Broken Creek einreitet, zum Fado-Song „Estranha Forma de Vida“, denkt man automatisch an die hochgepitchten Emotionen (und Farben) in „Johnny Guitar“. Der Cowboy Silva hat wie der Held aus Nicholas Rays Western-Klassiker eine Rechnung zu begleichen. Jake, sein bester Freund aus Jugendzeiten (Ethan Hawke), ist inzwischen Sheriff der Kleinstadt, doch ihre Begrüßung fällt etwas mehr als herzlich aus. Kurz darauf liegen sie auch schon im Bett, und Pascals nackter Hintern ragt aus den hübsch drapierten Laken hervor.

Nicht prüde genug für Hollywood?

Hollywood sei noch nicht bereit für einen schwulen Western von ihm, so soll Almodóvar seine Entscheidung damals begründet haben. Inzwischen sind fast 20 Jahre verstrichen, die amerikanische Filmbranche gibt sich immer noch prüde (siehe zuletzt „Maestro“), aber auch der spanische Regisseur ist älter und etwas weniger provokant.

Die hübsche Vignette „Strange Way of Life“ wurde vom französischen Modehaus Saint Laurent produziert, und in seiner Künstlichkeit erinnert der Film auch ein wenig an eine touristische Western-Attraktion. Seine beiden Stars haben sichtlich Spaß daran, mit Genremotiven wie dem machistischen Schweiger und „High Noon“-Duellen zu spielen.

Wenn Silva zu Jake „Ich wusste, ich würde eines Tages durch die Wüste reiten, um dich zu sehen“ sagt, versagt seine atemlose Stimme fast vor Leidenschaft. Auf einen solch homoerotisch-elektrifizierten Satz musste man bis zu einem Almodóvar-Western warten.

 Tilda Swinton in „Die menschliche Stimme“.
 Tilda Swinton in „Die menschliche Stimme“.

© StudioCanal

Und nicht zuletzt dank „Strange Way of Life“ findet nun auch „Die menschliche Stimme“, die Adaption eines Einakters von Jean Cocteau, noch seinen Weg in die Kinos. Die beiden bilden ein formidables Double-Feature. Tilda Swinton führt in den Kulissen eines Lebens den Monolog einer verlassenen Frau, die titelgebende Stimme. Ihr Gegenüber am anderen Ende der Leitung bleibt eine Leerstelle.

Der Tonfall von Almodóvars Kammerspiel – das Apartment stellt sich bald als Set in einer Lagerhalle heraus – ist tragischer als sein Western. Die Kamera umkreist ihren emotionalen Fixpunkt Swinton, die zwischen Gewaltanwandlungen und tiefster Verzweiflung schwankt. Im Baumarkt kauft sie eine Axt, den Anruf ihres Verflossenen verpasst sie schlafend.

„Die menschliche Stimme“ ist ganz um das Gesicht von Swinton herum komponiert, die sich in den hübsch ausstaffierten Interieurs und ihren perfekten Kleidern über das Kulissenhafte erhebt. Für Almodóvar sind beide Filme nicht mehr als Fingerübungen, aber auch die kleine Form beherrscht er meisterlich. Sie haben die große Leinwand verdient.

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