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Geisteswissenschaften in den USA. Chad Wellmon (im Bild) von der University of Virginia hielt mit Paul Reitter, Ohio State University, den Festvortrag.

© Foto: Bernd Wannenmacher

Kooperation und Dialog der Wissenschaften: Krisenfest und zukunftsstark

Vor 15 Jahren wurde das Dahlem Humanities Center gegründet. Seither bündelt es die geisteswissenschaftliche Forschung.

Von Annette Leyssner

Von einer „angeblichen Dauerkrise“ der Geisteswissenschaften – ein Unkenruf, der das Fächerspektrum seit jeher begleitet – ist nichts zu spüren bei der Festveranstaltung am 8. November zum 15-jährigen Bestehen des Dahlem Humanities Center (DHC). „Die Rede von der Krise ist so alt wie die Geisteswissenschaften selbst“, konstatierte Paul Reitter, der mit Chad Wellmon den Festvortrag hielt. Die beiden Germanisten Reitter von der Ohio State University und Wellmon von der University of Virginia sprachen zu Perspektiven geisteswissenschaftlichen Arbeitens und der intellektuellen Arbeit als „Berufung“. Kein Grund zur Trübsal – und selbst wenn es Krisen gäbe, setzten diese auch Potenziale frei.

Chad Wellmon konstatierte, dass an US-amerikanischen Universitäten Studierende verstärkt in die naturwissenschaftlichen Fächer und das Medizinstudium strebten, wobei insbesondere die Informationstechnik schon fast mehr junge Menschen anzöge als alle geisteswissenschaftlichen Fächer zusammen. Das könne daran liegen, dass Studierende verstärkt darauf achten, ob sich ein Studium voraussichtlich „rechnet“.

Wenn Menschen in sich Leere verspüren, sind sie gefährdet

Dennoch bestehe die Überzeugung, dass man an Universitäten „excellence in things spiritual“ brauche, was schon 1965 in den Vereinigten Staaten zur Gründung des National Endowment for the Humanities führte, einer Bundesagentur, die Stipendien vergibt. In einer Studie damals wurde die sinnstiftende Funktion der Geisteswissenschaften festgehalten: Eine gesunkene Wochenarbeitszeit und eine gestiegene Lebenserwartung haben dazu geführt, dass die Menschen in den USA mehr freie Zeit hätten – ein Grund zur Beunruhigung. Denn die Frage „Was soll ich in meiner Freizeit machen?“ könne schnell zur Frage werden: „Wer bin ich?“. Und wenn Menschen in sich Leere verspürten, seien sie gefährdet: entweder, sich niveauloser Unterhaltung zuzuwenden oder gar zu Drogen zu greifen. Insofern, so Paul Reitter und Chad Wellmon, würden die Geisteswissenschaften an US-amerikanischen Universitäten immer entscheidende Bedeutung haben.

An der Freien Universität bündelt das Dahlem Humanities Center die geisteswissenschaftliche Forschung. Gegründet wurde es 2007 im Rahmen der Exzellenzinitiative und nach dem Vorbild renommierter Humanities Center, die seit den 1940er-Jahren vor allem an Universitäten im angloamerikanischen Sprachraum einen Platz haben. Es war das erste seiner Art in Deutschland – in der Breite seiner Aktivitäten und der Fächer, die es vernetzt, ist es noch immer einzigartig.

Mit seinem Anliegen, Forschungskooperationen zu stärken, sei das DHC äußerst erfolgreich, sagte Karin Gludovatz, Professorin für Kunstgeschichte und Sprecherin des DHC. So habe es große an der Freien Universität angesiedelte Verbundprojekte maßgeblich angestoßen und begleitet, wie den Sonderforschungsbereich „Episteme in Bewegung“ und den Exzellenzcluster „Temporal Communities. Doing Literature in a Global Perspective“.

 Die Stärkung von Kooperationen, insbesondere auch mit Subsahara-Afrika, ist uns ein wesentliches Anliegen

Karin Gludovatz, Professorin für Kunstgeschichte und Sprecherin des Dahlem Humanity Center (DHC)

Eine zentrale Aufgabe sei außerdem der Aufbau von Kontakten mit wissenschaftlichen Einrichtungen im globalen Süden. „Die Stärkung von Kooperationen, insbesondere auch mit Subsahara-Afrika, ist uns ein wesentliches Anliegen“, sagte Karin Gludovatz. So kooperiert das DHC seit Kurzem mit dem Center for Humanities Research an der University of the Western Cape in Kapstadt – und arbeitet weiterhin zusammen mit Institutionen wie dem Townsend Center der Universität of California Berkeley, der Universität Oxford und der Universität Zürich.

Das Dahlem Humanity Center deckt in seinen Veranstaltungsreihen ein weites Spektrum ab

Das DHC organisiert seit Jahren erfolgreiche Veranstaltungsreihen. In den Formaten „Dahlem Humanities Center Lectures“ oder „Forschung im Dialog“ wird ein weites Spektrum an Forschungsthemen präsentiert, von der Antike bis in die Gegenwart. Historische Zusammenhänge, materielle Kulturen, alte Sprachen und moderne Philologien und Literaturen kommen dabei gleichermaßen in den Blick.

Dass in diesen Formaten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Karrierestufen ihre Arbeit vorstellen, ist dem DHC wichtig. „Das DHC ist Gastinstitution für internationale Forschende und unterstützt mit dem „Dahlem Junior Host Program“ Promovierende dabei, internationale Forschungskontakte zu knüpfen“, sagte Anita Traninger, Romanistik-Professorin und stellvertretende Sprecherin des DHC.

Beide Sprecherinnen betonten das besondere Reflexionspotenzial und die Analysefähigkeiten der Geisteswissenschaften, die es ermöglichen, aktuelle gesellschaftliche Phänomene einzuordnen und sich mit Krisen auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit Forschenden der Universität Zürich wurde die Videoreihe „Re: Now.“ entwickelt. In diesem Format werden Ereignisse der Gegenwart aus geisteswissenschaftlicher Perspektive betrachtet: „Wir fragen danach, was gerade auch die historischen Geisteswissenschaften zu Migration, zur Corona-Pandemie oder zur Klimakrise zu sagen haben“, sagte Karin Gludovatz.

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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