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Augusta Ada, Countess Lovelace (1815 - 1852)

© UK Government Art Collection Website / Wikicommons

Vordenkerin des digitalen Zeitalte: Die Pionierin des Programmierens als Namenspatronin

Wissenschaftlicher Koordinator Dennis Mischke über das neue Ada Lovelace Center for Digital Humanities an der Freien Universität Berlin.

Von Pepe Egger

Herr Mischke, was ist eigentlich gemeint, wenn wir von Digital Humanities, digitalen Geisteswissenschaften, sprechen?

Digital Humanities, das ist ein interdisziplinäres Querschnittsthema und neues Forschungsgebiet, in dem sich die traditionellen Geisteswissenschaften in ihrer ganzen Breite mit computeraffinen Fächern treffen: also mit der Informatik selbst, aber auch mit Computerlinguistik, Data Science, Mathematik oder der Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Es geht dabei darum, die Vorteile, die das digitale Zeitalter mit sich bringt, dafür zu nutzen, neue Erkenntnisse zu gewinnen oder aber alte Forschungsfragen der Geisteswissenschaften neu zu stellen. Das machen die Digital Humanities mithilfe digitaler und computationaler Verfahren: So können wir uns Texten auf eine neue Art und Weise nähern. In diesem Sinne sind Digital Humanities eine Erweiterung der Wissenschaftspraxis der klassischen Geisteswissenschaften, der Hermeneutik und Quellenexegese.

Was ist das Besondere am Ada Lovelace Center for Digital Humanities, kurz ADA, das im Juni eröffnet wurde?
Die Arbeit in den Digital Humanities ist sehr von unmittelbarer, interdisziplinärer Zusammenarbeit geprägt. Hier liegt vielleicht der eigentliche Methodenumbruch des Feldes: Digital Humanities sind absolutes Teamwork. Digitale Forschungsprojekte benötigen eine Vielzahl von Fähigkeiten: von der Entwicklung und Implementierung von Software über Datenerfassung bis zum Betrieb von IT-Infrastrukturen. Diese Expertisen und Kapazitäten können Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler natürlich nicht alle mitbringen. Gleichzeitig sind die Forschenden aus der Informatik selbstverständlich auch keine Dienstleister, sondern bringen eigene Fragen, Methoden und Verfahren ins Spiel und bereichern die Betrachtung unserer – nun digitalen – Gegenstände. Diesen Begegnungen einen Raum und Rahmen zu geben, ist eine wichtige Aufgabe des ADA. Mit verschiedenen Formaten möchte das Zentrum eine interdisziplinäre Laborkultur des kollaborativen Forschens und Lehrens über Disziplinen und Fachbereichsgrenzen hinaus realisieren.

Wie verändern sich dadurch die Geisteswissenschaften?
Erst einmal wird ihr Werkzeugkasten dadurch erheblich erweitert. Zugleich entwickeln die Digital Humanities auf diese Weise eine besondere Sprechfähigkeit im digitalen Zeitalter. Sie vollziehen dabei eine dreifache Bewegung: Die Digitalisierung der Gegenstände, die Digitalisierung der Methoden und – durch diese beiden Schritte – die Möglichkeit, Digitalisierung grundsätzlich zu reflektieren.

Landen Sie irgendwann bei der Künstlichen Intelligenz, die ja von ganz anderswo herkommt, nämlich von der Informatik und der Computerlinguistik?
Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen spielen eine immer größere Rolle in den digitalen Geisteswissenschaften: Man nutzt große Datenmengen und Verfahren des maschinellen Lernens und Mustererkennens, um Kategorisierungen und Klassifizierungen neu zu denken und zu überprüfen. Interdisziplinäre Brücken zur Spracherkennung und zum „natural language processing“ eröffnen ein neues, immer wichtigeres Feld. Aber auch hier gilt es, den Sinn und Nutzen von Technologien kritisch zu hinterfragen. Nicht alle Fragen der Geisteswissenschaften lassen sich mit Computern stellen. Künstliche Intelligenz ist kein Universalmittel.

Verlieren die Geisteswissenschaften dabei nicht den ihnen eigentlichen Kern, wenn sie sich nun den sogenannten exakten Wissenschaften annähern?
Ja und nein. Eine alte Frage wird neu gestellt: Die Frage nach dem Zählen, der Quantifizierung und der Positivismus-Streit werden in dem Moment wieder virulent, da wir Verfahren aus den exakten Wissenschaften anwenden, um Aufgaben in einem komplexeren Forschungsdesign zu erfüllen. Die Philosophin Sybille Krämer hat es auf den Punkt gebracht: Die Zahl hat auch in den Geisteswissenschaften schon immer ein Heimatrecht gehabt. Dabei wird in den Digital Humanities das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet, und die bisherigen Forschungsfragen und Methoden der Geisteswissenschaften werden nicht für obsolet erklärt: Sie werden erweitert. Die Interpretation, die Deutung von Texten, Quellen und Zusammenhängen wird immer bleiben, auch wenn sie jetzt um Daten und neue Visualisierungen ergänzt werden.

Warum haben Sie Ada Lovelace zur Namenspatronin des ADA erwählt?
Ada Lovelace, die von 1815 bis 1852 lebte, ist eine beeindruckende Frau und historische Figur: Sie hat nicht weniger als das Programmieren erfunden. Sie war die Tochter der britischen Mathematikerin Anna Isabella Noel-Byron und des Schriftstellers Lord Byron, einer der wichtigsten Vertreter der englischen Romantik. Selbst Mathematikerin, hat sie für Charles Babbage, der einen der ersten mechanischen Computer erfunden hatte, das erste Programm geschrieben. Sie war eine Vordenkerin, nicht nur des digitalen Zeitalters und der Interdisziplinarität zwischen Musik, Poesie, Mathematik, sondern auch für die digitalen Geisteswissenschaften.

Für den Inhalt des Textes ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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