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Die EU diskutiert über einen neuen Kurs in der Asylpolitik. Mehr Abschiebungen und Grenzzäune sind im Gespräch.

© dpa/Daniel Maurer

Zäune, Abschiebungen, Grenzen: EU streitet sich weiter über Flüchtlinge

Seit 2015 hat die Europäische Union keinen funktionierenden Asylpakt. Jetzt soll in Brüssel erneut diskutiert werden. Können sich die Länder nach der Katastrophe in Lampedusa einigen?

Die Migrationspolitik ist eine der ganz großen Baustellen in der Europäischen Union. Seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 ist es der Gemeinschaft trotz mehrerer Anläufe nicht gelungen, sich auf einen funktionierenden Asylpakt zu einigen.

Nun kocht das Thema erneut hoch, was nicht nur damit zusammenhängt, dass die Zahl der Migranten in Richtung Europa zuletzt wieder zugenommen hat. Aus diesem Grund treffen sich die 27 EU-Staaten in dieser Woche erneut in Brüssel zu einem Sondergipfel, um nach Lösungswegen zu suchen.

Noch immer ist eine der Hauptrouten für die Migranten der gefährliche Weg über das Mittelmeer. In diesen Tagen sind erneut mindestens acht Menschen ums Leben gekommen. Die italienische Küstenwache habe die Leichen an Bord eines Bootes entdeckt, sagte der Bürgermeister der Insel Lampedusa, Filippo Mannino.

924.000
Asylanträge wurden vergangenes Jahr in der EU gestellt – ein Anstieg um fast 50 Prozent.

Er beklagte, dass fast wöchentlich tote Migranten geborgen würden. Italien ist seit Jahren ein Hauptziel für Flüchtlinge, die aus Afrika in die Europäische Union kommen wollen. Im vergangenen Jahr kamen etwa 105.000 Migranten in Italien an.

Giorgia Meloni reiste vergangene Woche nach Libyen, um mit Regierungschef Abdul Hamid Dbaiba über eine engere Zusammenarbeit in Sachen illegale Migration über das Mittelmeer zu sprechen.

© Reuters/Hazem Ahmed

Mit Spannung wird deshalb erwartet, wie sich Italien auf dem Migrationsgipfel in Brüssel positionieren wird, denn Giorgia Meloni ist zum Gesicht einer härteren Politik gegenüber den ankommenden Flüchtlingen geworden.

Zuletzt ist die ultrarechte Politikerin selbst nach Libyen gereist, um dort mit Regierungschef Abdul Hamid Dbaiba über eine engere Zusammenarbeit der beiden Länder zu sprechen. Vereinbart wurde, dass Italien und Libyen künftig noch konsequenter gegen Bootsmigranten vorgehen.

EU-Rückführungsquoten bleiben unter der Zielmarke

In Brüssel sieht man in diesem Pakt offenbar kein Problem. EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte, dass für den Schutz der EU-Außengrenzen Vereinbarungen mit nordafrikanischen Staaten wichtig seien.

Auch die aktuelle schwedische Ratspräsidentschaft hat das Thema Migration ganz oben auf die Liste der Prioritäten gesetzt. Geschuldet ist das wohl der Tatsache, dass die Regierung in Stockholm von der Unterstützung durch die rechtspopulistischen Schwedendemokraten abhängt. Beim ersten Treffen der EU-Innenminister unter schwedischer Regie ging es jüngst um die schnellere Abschiebung ausreisepflichtiger Migranten. 

Ylva Johansson, schwedische EU-Innenkommissarin, hält die Rückführungsquote der EU für ausbaufähig.

© dpa/Henrik Montgomery

„Wir haben eine sehr niedrige Rückführungsquote und ich sehe, dass wir hier erhebliche Fortschritte machen können“, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson in Stockholm. Umstritten ist allerdings, wie viel Druck die EU auf Herkunftsländer ausüben sollte, mit denen die Zusammenarbeit schwierig ist, und wie sehr andererseits Anreize für Zusammenarbeit geschaffen werden sollten.

Seien wir ehrlich und offen, Zäune funktionieren.

Miltiadis Varvitsiotis, stellvertretender griechischer Außenminister

Die EU versucht schon seit Jahren, mehr Ausländer ohne Bleiberecht abzuschieben, kommt aber kaum voran. 2019 lag die Quote ausreisepflichtiger Menschen, die die EU tatsächlich verließen, bei 29 Prozent. 2021 waren es - wohl auch coronabedingt - nur 21 Prozent. Dabei hatte die EU-Kommission noch 2018 ein Ziel von rund 70 Prozent ausgerufen.

Mehr Rückführungen wären aus Sicht vieler EU-Staaten auch deshalb wichtig, weil die Asylsysteme vieler Länder völlig überlastet sind. Die Zahl der Asylanträge stieg im vergangenen Jahr um fast 50 Prozent auf 924.000. Viele Menschen hätten kein Recht auf internationalen Schutz und überlasteten die Aufnahmekapazitäten, sagte Johansson.

Wir brauchen nicht mehr Abschottung und schon gar keine EU-finanzierten Mauern.

Cornelia Ernst, flüchtlingspolitische Sprecherin von Die Linke im Europaparlament

Auch die Konservativen im Europaparlament haben das Thema Migration für sich entdeckt. So fordert der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik.

EU-Konservative fordern härtere Maßnahmen

Vor dem Sondergipfel schlug der stellvertretende CSU-Vorsitzende einen Drei-Punkte-Plan vor, der Zäune an den Außengrenzen, Asylanträge außerhalb der EU und eine Neuauflage der europäischen Seenotrettung vorsieht. 

Zäune seien immer „das letzte Mittel“, erklärte Weber, „aber wir brauchen sie überall dort, wo Schlepperbanden erfolgreich versuchen, europäisches Recht zu umgehen.“ Weber forderte zudem „substanzielle Änderungen bei den Asylverfahren“ vor, die nicht zwingend in der Europäischen Union stattfinden müssten.

Manfred Weber, Vorsitzender der konservativen EVP im EU-Parlament, will härter gegen illegale Migration vorgehen.

© AFP/Odd Andersen

Er schlug die Eröffnung von EU-Büros etwa in Tunesien oder Ägypten vor, in denen Menschen aus Afrika Asyl in Europa beantragen können. Als dritten Punkt nannte der CSU-Politiker die Seenotrettung, die auch im Mittelmeer „eine hoheitliche Aufgabe des Staates“ sei und nicht zivilen Hilfsorganisationen überlassen werden dürfe.

Birgit Sippel, Europaabgeordnete der SPD, ist angesichts dieser Vorschläge empört. In der Migrationspolitik würden plötzlich wieder „die altbekannten Ideen aus der Mottenkiste“ geholt, sagt sie. Was Europa brauche sei ein humanes und effektives Migrationsmanagement.

Auch Cornelia Ernst, flüchtlingspolitische Sprecherin von Die Linke im Europaparlament, wendet sich gegen die Ideen ihren CSU-Kollegen Manfred Weber.

Wir haben eine sehr niedrige Rückführungsquote und ich sehe, dass wir hier erhebliche Fortschritte machen können.

Ylva Johansson, schwedische EU-Innenkommissarin

Europa befindet sich nicht in einer „Migrationskrise, sondern in einer Krise der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“, betont sie. Ihr Fazit: „Wir brauchen nicht mehr Abschottung und schon gar keine EU-finanzierten Mauern.“

Auch die Bundesregierung lehnt den Bau von Grenzzäunen ab. „Von den Vorschlägen halten wird nichts“, sagte Europastaatssekretärin Anna Lührmann (Grüne) bei einem Treffen am Montag in Brüssel. Dagegen sagte der stellvertretende griechische Außenminister Miltiadis Varvitsiotis: „Seien wir ehrlich und offen, Zäune funktionieren.“

Sie sollten von der EU-Kommission finanziert werden, „weil sie die Menschen daran hindern, die europäischen Grenzen illegal zu überqueren.“ Der Ruf nach dem Bau von Zäunen und Mauern zum Schutz der EU-Außengrenzen wird immer lauter. Aus diesem Grund dürfte das Thema auch beim EU-Sondergipfel diese Woche in Brüssel eine zentrale Rolle spielen.

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