zum Hauptinhalt
Bangladesch hat inzwischen höhere Durchschnittslöhne als Indien.

© AFP/MUNIR UZ ZAMAN

Vom Armenhaus zum Wirtschaftswunder: Der besondere Aufstieg von Bangladesch

Im Januar wählt Bangladesch eine neue Regierung – doch die amtierende Premierministerin lässt die Opposition unterdrücken. Wohin steuert das Land?

Von Leo Wigger

Anfang Oktober weihte Sheikh Hasina, die Premierministerin von Bangladesch, umringt von Pressevertretern den neuen Terminal am Hazarat-Shahjalal-Flughafen in der Haupstadt Dhaka ein. Es war ein Bild mit Symbolwert.

Nur: Bis am neuen Terminal 3 tatsächlich Flüge abheben, dürfte noch einige Zeit vergehen. Das Gebäude ist kaum mehr als im Rohbau fertiggestellt. Gefeiert wurde trotzdem. In Bangladesch stehen Wahlen an. Und die Regierung unter der Führung der Awami-Liga kann jede gute Nachricht gebrauchen.

Der Urnengang am 7. Januar läutet das südasiatische Superwahljahr 2024 ein: Pakistan, Indien und Sri Lanka wählen bis Ende des Jahres ebenfalls neue Parlamente beziehungsweise Präsidenten.

Höhere Durchschnittslöhne als Indien

Bangladesch kann mit Blick auf die jüngste Vergangenheit dabei auf große Erfolge zurückblicken. Der 170-Millionen-Einwohner-Staat galt nach einem blutigen Unabhängigkeitskrieg gegen Pakistan im Jahr 1971 lange als das Armenhaus Südasiens.

Das mehrheitlich muslimische Land konnte zuletzt ein fast märchenhaftes Wirtschaftswachstum verzeichnen und weist heute ein höheres Durchschnittseinkommen auf als der mächtige Nachbar Indien.

11
Milliarden Euro betrug allein 2022 das Handelsvolumen von Bangladesch mit Deutschland, größtenteils in der Textilbranche.

Das Land am Golf von Bengalen, nur etwa anderthalbmal so groß wie Ostdeutschland, hat mittlerweile eine größere Wirtschaftskraft als der gesamte Maghrebraum. Allein 2022 belief sich das Handelsvolumen mit Deutschland auf rund 11 Milliarden Euro, größtenteils in der Textilbranche. Tendenz: steigend.

Über 20 Millionen Menschen leben in Dhaka. In den Straßenschluchten der Eliteviertel wie Gulshan oder Banani schießt ein luxuriöser Glasturm neben dem anderen aus dem Boden. Die Hauptstadt gleicht einer einzigen Baustelle.

Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina Wazed.
Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina Wazed.

© imago/Belga/IMAGO/POOL PHILIP REYNAERS

Seit knapp 15 Jahren regiert Sheikh Hasina das Land. Doch im Land macht sich Wechselstimmung breit. Lebenshaltungskosten, grassierende Korruption und geringe Aufstiegschancen machen nicht nur den ärmeren Bevölkerungsschichten zu schaffen.

Selbst Vertreter der regierenden Awami-Liga gehen im vertraulichen Gespräch kaum noch davon aus, aus freien Wahlen als Sieger hervorgehen zu können. Doch die Regierungspartei klammert sich an die Macht.

Klima der Unterdrückung

„Das Ergebnis dieses Witzes einer Wahl steht jetzt schon fest: Die Parlamentssitze werden zwischen der Regierungspartei und ihren Verbündeten aufgeteilt“, befürchtet der bekannte Politikwissenschaftler Ali Riaz, der an der Ilinois State University in den USA lehrt.

10.000
Angehörige der Opposition wurden knapp allein seit Ende Oktober, laut Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, durch die Sicherheitsbehörden verhaftet.

Allein seit Ende Oktober verhafteten die Sicherheitsbehörden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fast 10.000 Angehörige der Opposition, mindestens 16 Menschen starben, darunter auch zwei Polizisten.

Mehr als 5000 Menschen wurden verletzt. Dazu kommen über die letzten Jahre Hunderte außergerichtliche Ermordungen (extra-judicial killings) und Verhaftungen unter dem Mantel des Kampfes gegen digitale Falschinformationen.

Auch der Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure, wie auf den Friedens-Nobelpreisträger Muhammad Yunus, oder zuletzt die Textilarbeitsrechtlerin Kalpona Akter, steigt. Selbst Starjournalisten wie der beliebte Talkshowhost Zillur Rahman geraten ins Fadenkreuz der Behörden. Dabei ist Rahman kaum weniger kritisch mit der Opposition.

Polarisiertes System

Das Parteienspektrum ist stark fragmentiert. Seit der Unabhängigkeit wechseln sich, von Militärdiktaturen unterbrochen, zwei Politdynastien an der Macht ab. Beide beziehen ihre Legitimation über wichtige Personen des Unabhängigkeitskrieges von 1971 und beide werden von Frauen angeführt.

Die säkulare Awami-Liga unter Sheikh Hasina, der Tochter des Führers der Unabhängigkeitsbewegung Mujibur Rahman, sowie die Bangladesh Nationalist Party (BNP) unter der Führung der greisen Khaleda Zia, Ehefrau des ehemaligen Präsidenten Ziaur Rahman, der in einer Radioansprache erstmalig die Unabhängigkeit ausgerufen hatte. Der tiefe und sehr persönliche Hass zwischen beiden Dynastien geht bis in die frühen Jahre der Unabhängigkeit zurück.

Die Bangladesh Nationalist Party (BNP) hat ein Führungsproblem.

Amena Mohsen, Wissenschaftlerin an der Universität Dhaka.

Die BNP wird die Wahlen wohl boykottieren. Sie versucht stattdessen, mit Blockaden und Streiks den Protest auf die Straße zu tragen. Viele Führungskader der Partei befinden sich in Haft.

Dabei war die Menschenrechtsbilanz der BNP zu ihren eigenen Regierungszeiten kaum besser. Immer wieder erschütterten Korruptionsskandale die Partei. Der Parteivorsitzende Tarique Rahman, Sohn von Grande Dame Khaleda Zia, hält die Reihen der Partei mit harter Hand aus dem Exil in London geschlossen. „Die BNP hat eine Führungsproblem“, sagt Amena Mohsen von der Universität Dhaka. Für die Zuspitzung der Situation seien beide Parteien verantwortlich.

Indisch-amerikanische Interessenkonflikte

Ein weiterer Faktor, der die Wahlen beeinflusst: Geopolitik. Bangladesch versucht, zwischen den Großmächten zu lavieren und unterhält enge, aber komplexe Beziehungen zu China, den USA, Indien und der EU. Auch die Verbindung zu Russland ist freundschaftlich. Moskau lieferte jüngst Uran für das erste Atomkraftwerk des Landes.

Der Eindruck ist, dass die USA in einigen Ländern Fragen nach Menschenrechten stellen und in anderen nicht.

Amena Mohsen, Wissenschaftlerin an der Universität Dhaka.

Die Vereinigten Staaten und die EU machen sich im Kontext der zunehmenden Systemrivalität mit China mit Nachdruck für freie Wahlen stark. Im Mai verhängten die USA sogar Sanktionen gegen Personen, die „den demokratischen Wahlprozess in Bangladesch untergraben.“

Doch die Amerikaner haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. „Der Eindruck ist, dass die USA in einigen Ländern Fragen nach Menschenrechten stellen und in anderen nicht“, sagt Wissenschaftlerin Amena Mohsen.

Unvergessen ist in Bangladesch, dass die US-Regierung während des Unabhängigkeitskrieges 1971 zu Zeiten des kürzlich verstorbenen Henry Kissinger die Augen vor den Gräueltaten der pakistanischen Armee verschloss. Mehrere Hunderttausend Menschen starben.

Indien hat sich nach einigen Turbulenzen dagegen klar hinter die Awami-Liga gestellt. Hauptgrund dafür dürfte ein einflussreicher Verbündeter der BNP sein: die islamistische Bangladesh Jamaat-e-Islami. Der hindunationalistischen Regierung unter Narendra Modi graut es vor einem Erstarken des politischen Islams im Nachbarland. Sie verstärkte daher ihre Unterstützung für Sheikh Hasina, auch wenn ihre Awami-Liga in der Vergangenheit bei Bedarf ebenfalls mit den Islamisten kooperierte.

Und so läuft derzeit alles darauf hinaus, dass die alte Regierung in Dhaka auch die neue sein dürfte. Nicht wenige Beobachter befürchten dann eine weitere Säuberungswelle gegen Andersdenkende. Der Frust auf der Straße wird sich dagegen kaum endlos unterdrücken lassen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false