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Der mit weißen, roten und grünen Blumen geschmückte Sarg wurde am Mittwoch von Berlusconis Villa in Arcore aus durch die ganze Stadt gefahren.

© imago/Matteo Gribaudi/IMAGO/www.imagephotoagency.it

Update

Viktor Orban unter den Trauergästen: Tausende Menschen nehmen Abschied von Berlusconi

Silvio Berlusconi bekam am Mittwoch ein Staatsbegräbnis. Über manche der Ehrungen, die ihm die Regierung in Rom zuteilwerden lässt, streitet Italien seit Tagen heftig.

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Etwa zehntausend Menschen hatten sich seit dem Vormittag auf dem Domplatz in Mailand eingefunden, um wenigstens aus etwas Distanz dabei zu sein. Am Mittwoch wurde Silvio Berlusconi von seiner Familie, Freund:innen und von der versammelten politischen Klasse – mit ein paar Ausnahmen – mit einer feierlichen Messe im Dom seiner Heimatstadt verabschiedet.

Der mit weißen, roten und grünen Blumen geschmückte Sarg wurde am Mittwoch von Berlusconis Villa in Arcore aus durch die ganze Stadt gefahren und in den Mailänder Dom gebracht.

Unter den Trauergästen waren unter anderen der italienische Präsident Sergio Matarella und Regierungschefin Giorgia Meloni. Die Europäische Kommission wurde durch EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni vertreten.

Als einige der wenigen ausländischen Gäste waren der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, Katars Emir Tamim bin Hamad al-Thani und der irakische Präsident Abdel Latif Raschid angereist.

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nimmt am Staatsbegräbnis des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi teil.

© REUTERS/Yara Nardi

Die Berlusconi-Anhänger auf dem Vorplatz des Doms verfolgten die Trauerfeier auf zwei großen Leinwänden, einige Menschen weinten. Nach der Trauerfeier kamen Berlusconis fünf Kinder aus der Kirche und winkten der Menge. Viele Menschen applaudierten, als der Leichenwagen davonfuhr. Berichten italienischer Medien zufolge soll Berlusconis Asche auf seinem Luxusanwesen in Arcore bei Mailand bestattet werden.

Begleitet wurde der Abschied, praktisch seit Montag, als der Mehrfachpremier 86-jährig starb, von heftigem Streit. Dass er Italien jahrzehntelang geprägt und tief verwandelt hat, stand dabei außer Zweifel, für Berlusconis Anhänger:innen wie für das Gegenlager. Aber dass das zum Besten Italiens war, wie er selbst sein Leben lang verbreitete, bezweifeln sehr viele im Land.

Dass er jetzt mit einem Staatsbegräbnis verabschiedet wird, hat viele Gemüter erregt. Doch die Regierung unter Giorgia Meloni setzte das durch. In Rom wurden für eine Woche beide Parlamentskammern geschlossen und der normale Regierungsbetrieb eingestellt.

Alles, so schrieb die römische Tageszeitung „La Repubblica“ am Mittwoch, „für die letzte Verbeugung vor dem Monarchen“. Das habe es so noch nie gegeben. „Zwangstrauer“ nannte es die Kommentatorin Serenella Mattera.

Es wird einem angst, wenn man eine Kaserne der Steuerpolizei mit Trauerflaggen sieht für einen, der wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde.

Riccardo Ricciardi, Politiker der Fünf-Sterne-Bewegung

Ein Zwang, dem sich nicht alle beugen. Selbst Unterschriftenlisten zirkulieren dagegen. Die Pflicht, für „Berluskaiser“, den „Kaiman“ und aberkannten „Cavaliere“ die Flaggen auf halbmast setzen zu müssen, lehnte etwa Tomaso Montanari ab. Der Kunsthistoriker ist Rektor der Università per Stranieri in Siena.

Warten auf den Trauerzug: Fans des Verstorbenen auf dem Mailänder Domplatz am Mittwoch.

© AFP/PIERO CRUCIATTI

In einem offenen Brief schrieb er an die Mitglieder seiner Uni, auch wenn jeder Tod Kummer bereite, bleibe ein Urteil über die Taten des Toten zu Lebezeiten doch nötig:

„Ja, Berlusconi hat Geschichte gemacht. Aber das hat er damit getan, dass er die Welt und Italien deutlich schlechter hinterlassen hat, als er sie vorfand.“ Und der Professor zählt auf: Mitgliedschaft in der putschistischen Loge P2, seine mafiosen Beziehungen, die Verachtung für die Justiz. Und es sei ohnehin auch zu reden über seinen Hang zur „Verwandlung von allem in Ware, angefangen mit den Körpern der Frauen in seinen Fernsehsendern“.

Eine Universität, die sich vor Berlusconis Geschichte verbeugt, ist keine Universität.

Tomaso Montanari, Rektor der Università per Stranieri in Siena

Berlusconi habe den Faschismus salonfähig gemacht, als er dessen Nachfolger:innen in seine Regierung holte, er habe die Lüge systematisch als politische Methode etabliert und sein persönliches Interesse über alles gestellt.

Er sei alles in allem „das krasse Gegenteil eines Staatsmanns“ gewesen, ein „grotesker Zerstörer des Projekts der Verfassung“ Italiens. Jeder müsse seinem Gewissen folgen. Deswegen, so Montanari weiter, werde er die Anweisung zur Trauerbeflaggung nicht befolgen, denn „eine Universität, die sich vor einer solchen Geschichte verbeugt, ist keine Universität“.

Im Oppositionslager ist man ähnlicher Meinung. „Es wird einem angst, wenn man eine Kaserne der Steuerpolizei mit Trauerflaggen sieht für einen, der wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde“, kommentiert Riccardo Ricciardi von der Fünf-Sterne-Bewegung.

Ricciardis Parteichef, der frühere Premier Giuseppe Conte, wird nicht an den Trauerfeierlichkeiten für Berlusconi teilnehmen. Gut vertreten werden am Nachmittag im Mailänder Dom die Sozialdemokrat:innen sein, an ihrer Spitze Parteichefin Elly Schlein.

Die frühere Gesundheitsministerin Rosy Bindi nannte die Staatstrauer „unangemessen“. Sie sei beim Tod von Staatspräsidenten üblich und bei schwerem Unglück wie jetzt in der Emilia-Romagna.

Selbst des ersten Premiers der italienischen Republik Alcide de Gasperi sei so nicht gedacht worden. Bindi kritisierte auch eine unkritische „Heiligsprechung“ Berlusconis, die sich in vielen Medien abspiele, den staatlichen Sender Rai eingeschlossen.

Beim Publikum kamen das Übermaß der Gedenksendungen im TV-Angebot, jedenfalls die erste Welle am Todestag, offenbar nicht gut an. Das Talkshow-Special von Altmoderator Bruno Vespa auf Rai 1 schaffte gerade einmal eine Quote von 10,5, die Berlusconi-Sender mussten sich sogar mit Ziffern zwischen 8,3 und 3,5 zufriedengeben. (mit AFP)

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